IT in der öffentlichen Verwaltung/Massenhaft Dokumente zum Auf-den-Mond-Schießen

IHK: Papier elektronisch ab- und Volltextarchiv aufbauen

17.05.1996

Angesichts der gewachsenen Ansprüche an die Behörden kommen IT-Konzepte, deren Problemlösungskompetenz scheinbar wie gerufen kommt: elektronische Dokumentenarchivierung und automatische Vorgangssteuerung.

Nicht nur dem Amtsschimmel geht es an den Kragen - auch in Banken und Versicherungen, Institutionen aus Industrie, Handel und mittelständischer Wirtschaft rückt man den überkommenen Strukturen auf den Pelz. Überall dort, wo ausufernde Datenströme und der Zwang zur angemessenen Organisation der akkumulierten Wissensbestände eine unheilige Allianz eingehen, greift man zu den feilgebotenen Lösungsversprechen. "Jeden Tag produzieren wir Papierberge, die sich aufeinandergestapelt bis zum Mond türmen", bilanziert Ludwig Nastansky, Professor an der Universität Paderborn. Allein dieser Hinweis müßte genügen, um in Scharen zur elektronischen Alternative überzulaufen. Das Papierproblem brennt denn auch dem überwiegenden Teil jener Anwender unter den Nägeln, bei denen die Zeit seit der preußischen Verwaltungsakte stillzustehen scheint. Wer in diesen Kreisen allerdings technologisch überzeugen will, muß schon mehr als nur modischen Schnickschnack bieten.

Hans Werner Knecht, der für Verwaltung und Datenverarbeitung zuständige Geschäftsführer der IHK Düsseldorf weiß nur zu gut, daß vor allem die sich türmenden Papierberge sowie die damit einhergehende Platznot Druck machen und rasche Abhilfe fordern. Die primäre Frage lautet: "Wo lagern wir - zugriffssicher - unsere wichtigen Dokumente? "

Die zweite Frage ist nicht weniger brisant: "Wie können wir dafür sorgen, daß die gewünschte Information schneller als bisher auf den Tisch der zuständigen Stelle gelangt?"

Angestammte Arbeitsabläufe und die teilweise nach wie vor wahllose Verschwendung von Papier in Frage zu stellen - ein durchaus kühnes Unterfangen, mit dem man sich beileibe nicht nur Freunde macht. Allein das Beharrungsvermögen des Mediums Papier, das sich allen Unkenrufen zum Trotz ungeteilter Beliebtheit erfreut und der Industrie satte Einnahmen sichert, veranlaßt zu vorsichtigem Abwägen.

Obwohl sich rund um den Globus elektronische Post, Faxversand und elektronischer Datenaustausch zu einer Selbstverständlichkeit des geschäftlichen Alltags gemausert haben und dieser Trend auch vor den privaten Haushalten nicht haltmachen wird, wird die Arbeit mit Papier ihren Platz behalten.

Wenn also das konsequent papierlose Büro nach heutigem Kenntnisstand nur in sehr kühnen Träumen eine Rolle spielt, dann sollte man jeden Versuch unterlassen, die an den Gebrauch von Papier gewöhnten Mitarbeiter mit einschneidenden Korrekturen der Arbeitsabläufe zu beunruhigen. Wo also strategische Konzepte und Zielsetzungen, etwa die Reduzierung der Personalkosten und die IT-gestützte Beschleunigung der Geschäftsprozesse mit dem Ziel einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, keine besondere Rolle spielen, können sowohl konventionelle als auch neue, elektronische Formen der Informationsverarbeitung Hand in Hand gehen.

Insbesondere für die Verwaltungsbürokratie scheint das elektronische Archiv wie maßgeschneidert zu sein. Doch auch hier gibt es Tücken: Selbstverständlich muß alles zuerst auf den Scanner. Allein diese obligatorische Vorbereitung eines elektronischen Archivs ist ziemlich kostenintensiv. IHK-Manager Knecht: "Bis heute sind etwa 20000 Akten eingescannt. Bei durchschnittlich zehn bis 20 Seiten Umfang pro Akte haben wir mit unserem Dienstleister einen sehr guten Preis von unter fünf Mark vereinbaren können."

Elektronische Archivierung und schnelle Recherche in Volltextdatenbanken sind für die IHK Düsseldorf inzwischen wohl die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zu schlankeren und schnelleren Verwaltungsleistungen geworden.

Ein Blick auf das DV-gesteuerte Leistungsprofil der Kammer läßt erahnen, wie groß der Aufwand für Erfassung, Dokumentation und Wiedervorlage von Daten ist. Die IHK betreut rund 56000 aktive und weitere 50000 nicht mehr existierende Firmen, deren historische Daten immer wieder für bestimmte Vorgänge herangezogen werden müssen. Zu der Verwaltung der Mitgliederstammdaten zählen Adreßdaten und Kapitalverhältnisse, Produkt- und Dienstleistungsspektren. Ferner ist die IHK Düsseldorf für die Abwicklung der Beitragserhebung zuständig. Weil Mitgliedsbeiträge abhängig vom wirtschaftlichen Ertrag bemessen werden, reichen die vorgehaltenen Daten der Unternehmen bis zu zwölf Jahre zurück. Bilanzerstellung und Prüfung durchs Finanzamt können schon ein paar Jahre dauern. Der Abgleich von Vorauszahlungen und aktueller Bemessungsgrundlage ist ebenso gewährleistet wie eventuelle Korrekturen aufgrund nachträglicher Betriebsprüfungen. Weitere IHK-Leistungen auf DV-Basis betreffen den Bereich der Berufsbildung, wo Ausbildungsverträge, Prüfungseinladungen sowie Zwischen- und Abschlußprüfungsergebnisse registriert werden. Zu guter Letzt regelt die Datenverarbeitung die Aussendung des wöchentlichen Infoblatts und der monatlichen Kammerzeitung.

Unverändert laufen solche Anwendungen über den Großrechner. Wie rund 70 andere deutsche Kammern und Institutionen des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT) wickeln auch die Düsseldorfer ihre Leistungen über den Mainframe der IHK Gesellschaft für Informationsverarbeitung in Dortmund ab. Hier sind die Stammdaten aller in Deutschland registrierten Unternehmen gespeichert. Anfragen aus dem Ausland zum Beispiel nach bilateraler Kooperation lassen sich hervorragend über den zentralen Daten-Pool abwickeln. Aber auch IHK-intern nimmt die Nachfrage der Mitarbeiter nach bestimmten Informationen rapide zu. Hohe Zugriffsraten verzeichnet das auf CD-ROM gespeicherte Firmen-Informations-System FIS, das monatlich neu aufgelegt wird und einen wichtigen Teil der in Dortmund gespeicherten Daten vorhält. Diese Lösung ist im Vergleich zu den teuren Abfragezeiten auf dem Mainframe wesentlich günstiger.

Das Einscannen läuft auf Hochtouren

Seit zwei Jahren wird am Rhein die Vernetzung von über 100 PC-Arbeitsplätzen vorangetrieben. Der Prozeß soll, so Geschäftsführer Knecht, Ende 1996 abgeschlossen sein. Textverarbeitung und Tabellenkalkulation laufen unter Windows, als Standard wird Microsoft-Software eingesetzt.

Die Entscheidung zur Einführung eines Archivsystems ist in erster Linie auf das Raumproblem zurückzuführen - Unmengen von Papier können nicht mehr zugriffssicher gelagert werden. Knecht: "Wir wollten keinen zusätzlichen Raum mieten oder anbauen, sondern den existierenden Platz rationeller nutzen." Easy-Archiv vom gleichnamigen Anbieter aus Mülheim überzeugte Knecht insbesondere wegen des erfolgreichen Einsatzes in anderen Kammern sowie aufgrund der Tatsache, daß Vertriebspartner eingebunden waren, die branchenspezifisches Know-how vorweisen konnten.

Laut Knecht sprechen mehrere Argumente für den Einsatz dieser Lösung:

-Das Produkt basiert auf einer Volltextdatenbank und ist für die Belange der IHK Düsseldorf sinnvoller als eine auf relationalen Datenbanken basierende Lösung. Texte und durch Stichworteingabe gesuchte Passagen liegen in äußerst kurzer Zeit vor - in der Regel in weniger als zwei Sekunden.

-Man wollte das vorhandene Know-how nutzen und nicht teures neues Wissen einkaufen müssen. Die Archivierungssoftware sollte unter Windows im normalen PC-Netz laufen und nicht Unix voraussetzen: Dies hätte unweigerlich einen weiteren Personalbedarf nach sich gezogen.

Ein dreifacher Kostenvorteil:

-erstens der Einsatz preiswerter Hardware - ein Unix-System wäre ungleich teurer ausgefallen

-zweitens geringere Einführungskosten im Vergleich zu unmittelbaren Wettbewerbsangeboten

-drittens die persönliche Betreuung vor Ort durch den Hersteller und seine Partner.

Die Implementierung des Systems sowie das aufwendige Einscannen aller gewünschten Dokumente läuft auf Hochtouren. An zwei der insgesamt neun derzeit eingerichteten Arbeitsplätze beschäftigt man sich ausschließlich mit der Verschlagwortung der Dokumente.

Zwischen Installation und Nutzen liegen Welten

Von den übrigen Stationen besteht bereits Zugriff aufs Firmenarchiv, während für die Pressearchivierung ein gesonderter Desktop-PC eingerichtet ist. Überhaupt scheint sich die gezielte Beobachtung der Medienaktivitäten inzwischen zu einer Priorität ersten Ranges entwickelt zu haben. IHK-Chef Knecht: "Ob es sich um die geplante Rollfelderweiterung des Rhein-Ruhr-Flughafens handelt oder um den Bau einer Rheinbrücke - die Medien spiegeln das komplette Spektrum an Interessenkonflikten wider und sind insbesondere für die Beratung unserer Kammermitglieder eine wichtige Fundgrube zur Durchsetzung unserer ureigenen Interessen."

Mit der Lösung ist der Zugriff auf eine Vielzahl von Archiven möglich, wobei sich pro Archiv nahezu 2000 Dokumente mit bis zu 999 Seiten oder Objekten hinterlegen lassen. Bis alle Mitarbeiter im Düsseldorfer Haupthaus und den IHK-Außenstellen komplett in den Archivierungs- und Rechercheverbund integriert sind, gehen nur noch wenige Wochen ins Land. Spätestens im Juli soll von jeder PC-Station aus heftig recherchiert werden können. Ob sich die Investition allerdings sofort in bare Münze umwandeln läßt, steht auf einem anderen Blatt. Auch über den zwangsläufig nächsten Schritt in Richtung Workflow-Management will man erst nachdenken, wenn es soweit ist. "Zwischen der Installation einer neuen Technologie und tatsächlichem Nutzen liegen nicht selten Welten", weiß auch IHK-Geschäftsführer Knecht.

Kurz & bündig

Am Beispiel der IHK Düsseldorf sind einige aktuelle Probleme des Archivierens in zentralen Institutionen, die mit großen Mengen von Dokumenten umgehen, aufgezeigt: Papier beansprucht Raum, gestaltet Informationswege lang und zeitraubend, ist in großen Mengen unter Umweltgesichtspunkten unverantwortlich und teuer etc. Dennoch hat der weiße Datenträger immer noch seine Freunde - und in den Kernbereichen von Verwaltungen auch seine Berechtigung. In Düsseldorf arbeiten die Scanner daran, die meisten Papierarchive in elektronische Information zu transformieren allein ein elektronisches Archiv speichert 2000 Dokumente mit bis zu 999 Seiten oder Objekten. So nimmt eine umfangreiche Volltextdatenbank nach und nach Gestalt an. Und die Papierstapel schwinden allmählich.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.