IE 5 punktet mit Modularität und XML-Support

IE 5 punktet mit Modularität und XML-Support Browser dienen Portal-Sites als Marketing-Instrument

02.04.1999
CW-Bericht, Frank Niemann Eine technische Revolution gelang Microsoft mit seinem "Internet Explorer 5" (IE 5) nicht. Allerdings setzte der Softwarekonzern die Extensible Markup Language (XML) schneller um als Konkurrent Net- scape. Außerdem erweist sich die Modularität des neuen Release als Wettbewerbsvorteil, denn Portal-Betreiber verlangen nach konfigurierbaren Browsern, die sie mit Links zu den eigenen Inhalten versehen können.

Bei der Technik gab Netscape mit dem "Communicator 4.51" bisher den Ton an, nun zog Microsoft nach. So kupferte der Softwaregigant beispielsweise die Surf-Hilfe vom Konkurrenten ab. Statt der vollständigen Internet-Adresse, beispielsweise http://www.computerwoche.de, tippt der Internet-Besucher nur "Computerwoche" ins Adreßfeld ein, und die Software sucht automatisch nach Web- Sites, in denen der Begriff vorkommt.

Gegenüber seinem Vorgänger zeichnet sich der IE 5 vor allem durch eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit aus. Zum einen startet der Web-Client zügiger von der Festplatte, zum anderen zeigt er Internet-Seiten schneller an. Dagegen dürfte der nun in die Browser-Oberfläche eingebettete "Windows Media Player" aus Sicht des Endbenutzers eher eine Nebensache sein.

Solche Gimmicks lassen eingefleischte Internet-Experten jedoch kalt. So bezeichnet Stephan Tapken, Internet-Consultant bei der Unternehmensberatung Schitag Ernst & Young in Stuttgart, diese neuen Explorer-Features als "wenig wichtig". Nikos Drakos, Research Analyst bei der Gartner Group, urteilt ähnlich: Er hält das neue Release lediglich für ein wenig bedeutsames Update.

Die wichtigste Neuerung bleibt dem "Otto-Normal-Surfer" verborgen, denn der IE 5 unterstützt nun die hochgelobte Extensible Markup Language (XML). Diese Sprache schickt sich an, den Austausch von Daten zwischen Anwendungen zu revolutionieren. Allerdings kritisieren Web-Experten die Umsetzung dieses und anderer Standards im IE 5 heftig (siehe Kasten). Dagegen kann Netscapes Erzeugnis mit XML nichts anfangen - noch nicht, erst der künftige "Communicator 5" wird ebenfalls mit dieser Sprache zurechtkommen. Wann dieser Browser auf den Markt gelangt, steht allerdings noch in den Sternen.

Da viele Unternehmen dieser Sprache eine strategische Bedeutung beimessen, werden sie sich den neuen Browser genau anschauen. "Um XML-Funktionen in den nächsten ein bis eineinhalb Jahren zu nutzen, müssen Firmen sich schon jetzt mit der Technik auseinandersetzen", meint Unternehmensberater Tapken.

Außer XML hält Microsoft noch einen weiteren Trumpf in der Hinterhand. So will die Gates-Company den Browser eng mit dem zukünftigen Büroapplikationspaket "Office 2000" verknüpfen. Von den Vorteilen dieser Integration profitieren, wie könnte es anders sein, nur Internet-Explorer-Anwender.

Jedes neue Release wirft die Frage auf, wie sich das Kräfteverhältnis im Kampf um die Vorherrschaft im Browser-Business verändert. In erster Linie führte bisher die Verknüpfung von Microsofts Browsern mit dem Windows-Betriebssystem und nicht etwa die technische Überlegenheit zur Verbreitung des Web-Clients. Dies kostete Netscape die Vormachtstellung und der Trend setzt sich fort: Laut dem US-Marktforschungsunternehmen Websidestory Inc. nutzen inzwischen rund 67 Prozent der Anwender Browser von Microsoft und nur noch 31 Prozent die Produkte des Konkurrenten. Allerdings liefert Websidestory nur eine grobe Übersicht, die professionelle Nutzer und private Konsumenten über einen Kamm schert. Web-Designer schwören beispielsweise auf die Netscape-Technik, gibt Jan Rikus Hillmann, Senior Designer bei der Berliner Mulitmedia-Agentur Metadesign, zu bedenken.

Viele Unternehmen interessiert der Browser-Krieg zwischen Microsoft und Netscape sowieso nicht: Oft verwenden Firmen beide führenden Produkte parallel, unabhängig davon, wie populär sie gerade sind (siehe CW 46/98, Seite 29). Hohe Marktanteile sind dagegen für die Browser-Hersteller das A und O im Internet-Geschäft. "Aus den Web-Clients sind mittlerweile Marketing-Instrumente für Web-Portale geworden", meint Klaus Blaschke, Geschäftsführer von Netscape Deutschland. Nicht mehr die Features der Browser stehen im Vordergrund, sondern die Portale, mit denen sie verknüpft sind.

Standardmäßig zeigen die Web-Programme die Site des jeweiligen Anbieters an: Netcenter bei Net- scape, Msn.com bei Microsoft. Außerdem landet der User beim Anklicken des "Search"-Button des Browsers automatisch bei der Suchmaske von Netcenter beziehungsweise Msn.com. Letztlich richtet auch die nun in beiden Browsern integrierte Surf-Hilfe eine Suchanfrage an das jeweilige Web-Portal, um zum eingegebenen Begriff passende Links aus dem Netz zu fischen. Auf diese Weise sichern sich die Firmen hohe Hitraten auf ihren Sites.

Andere Portal-Betreiber, wie beispielsweise hierzulande Lycos Bertelsmann und T-Online, verteilen speziell konfigurierte Web-Zugangssoftware an ihre Kunden, die auf den Produkten von Microsoft oder Netscape basiert. Zusätzlich zur Startseite enthalten manche dieser kundenspezifischen Browser spezielle Bookmarks, Frames und Shortcuts, die auf Inhalte des jeweiligen Portals verweisen. Bei Altavistas Internet-Client beispielsweise huschen Nachrichtenschlagzeilen und Börsendaten über eine Bildleiste am unteren Rand des Browser-Fensters, die von der eigenen Portal-Site stammen.

Dem "Customized Browser" gehört die Zukunft, verkündet Netscape-Chef Blaschke. Dem würde ein Microsoft-Vertreter wohl sofort beipflichten, denn nach Ansicht von Barry Parr, Analyst des US-Marktforschungsunternehmens International Data Corp. (IDC), läßt sich der IE 5 einfacher an eine Portal-Site anpassen. Netscape dagegen verwendet proprietäre Funktionen, um den Browser in Netcenter zu integrieren. Dies könnte manche Entwickler dazu bewegen, sich vom Communicator zu verabschieden, glaubt der IDC-Analyst.

Experten vermuten, die jetzige Architektur des Communicator sei einer der Gründe, warum AOL, auch nach der Übernahme von Netscape, am Internet Explorer in der Zugangssoftware des Online-Dienstes festhält. Ironischerweise zählt der Anbieter mit rund 16 Millionen registrierten Mitgliedern zu Microsofts wichtigsten Browser-Abnehmern. Ab der Version 5 wird jedoch auch Netscapes Web-Client ähnlich modular sein wie der IE 5.

AOL benötigt einen flexiblen Browser noch aus einem anderen Grund: Gemeinsam mit dem Kooperationspartner Sun Microsystems will der Online-Gigant Web-Clients für intelligente Endgeräte wie Mobilfunktelefone, Bildtelefone sowie Personal Digital Assi- stants (PDAs) entwerfen. Die Internet-Software muß deshalb an die jeweilige Gerätespezifikation angepaßt werden können.

Probleme mit Standards

Zwar beansprucht Microsoft, XML voll zu unterstützen, doch das Web Standards Project (WSP), eine internationale Vereinigung von Web-Entwicklern, die für die Einhaltung von Internet-Standards eintritt, bestreiten dies vehement. Dem WSP gehört unter anderem Tim Bray an, der Vater von XML.

Die Experten stießen beim Test des IE 5 auf Fehler bei der Interpretation von XML-Daten. Dies erzürnte die selbsternannten Gralshüter der Web-Standards insbesondere deshalb, weil es bereits seit 1997 funktionstüchtige XML-Parser gibt.

Außerdem beanstandet das Web Standards Project die Unterstützung der Hypertext Markup Language (HTML) 4.0 im neuen Browser aus Redmond. Sie führt bei der Darstellung von Inhalten zu Fehlern, die in dieser Sprache erzeugt wurden. "Microsoft hätte die Freigabe des Internet Explorer 5 besser verschieben sollen, um die Standards vollständig in das Produkt zu integrieren", faßt George Olsen, Chef des WSP, die Kritik zusammen.