SAP-Allianz und Übernahmen sichern Wachstum

IDS Scheer fährt die Ernte ein

26.03.2004
MÜNCHEN (ajf) - Kaum eine deutsche Softwarefirma hat die Branchenkrise so souverän gemeistert wie die IDS Scheer AG. Das Thema Prozess-Management ist in Anwenderkreisen en vogue, zudem wird die Company seit Jahren solide geführt. Eine enge Allianz mit der SAP AG soll die positive Entwicklung fortschreiben.

Seit nunmehr 20 Jahren versucht der Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer, IT-Verantwortliche vom Charme schlanker und durchgängiger Geschäftsprozesse zu überzeugen. Lange Zeit stießen seine Thesen zwar auf Interesse, der durchschlagende Erfolg blieb allerdings aus. Doch unter dem Druck der Wirtschaftskrise ist in den letzten Jahren Scheers Saat aufgegangen, und reiche Ernte wurde eingefahren. Schließlich "hat es dann doch geklappt", bringt Rüdiger Spies, Vice President der Meta Group, die Entwicklung auf den Punkt.

Antizyklisch durch die Krise

Geklappt hat es vor allem für die 1984 gegründete Firma IDS Scheer, die stets profitabel war und sich aus den Turbulenzen des IT-Markts heraushielt: Während des Hypes herrschte Ruhe, und der Crash in der Krise blieb aus. Als viele börsennotierte IT-Firmen ihr Kapital in strategischen Übernahmen verpulverten, hielt sich die Company zurück und rechnete mit spitzem Bleistift: 2000 wurden fünf kleinere Firmen übernommen, 2001 sagte IDS Scheer eine bereits angekündigte Akquisition in den USA sogar wieder ab, und 2003 kauften die Saarländer die französische Groupe Expert sowie das Osteuropa- und Nordamerika-Geschäft von Plaut. Letzteres war profitabel und günstig, denn Plaut brauchte Geld. IDS Scheer zahlte in allen Fällen bar.

Der Erfolg des Unternehmens hat viele Väter und einen August-Wilhelm Scheer. Dieser verfeinerte über Jahre die Kunst, Marketing zu betreiben, ohne in platte Werbung zu verfallen: Marketing für den Standort Deutschland, für Saarbrücken, für sein Unternehmen, die örtliche Hochschule, den Softwaremittelstand, die IT-Branche im Allgemeinen und nicht zuletzt auch in eigener Sache. Scheer ist ein Aushängeschild und eine Integrationsfigur, er kennt viele, und noch mehr kennen ihn. Zudem sorgt er firmenintern für Bewegung: Man wisse nie, welche Ideen er als nächstes aus dem Hut zaubert, berichtet ein Manager. Dies verhindere Stillstand im Unternehmen.

Den Erfolg der Company auf die Person Scheers reduzieren zu wollen, griffe allerdings zu kurz. Einer der tragenden Pfeiler ist das 1992 erstmals eingeführte Toolset "Aris", das außerhalb und auch in der Company gerne als "Malwerkzeug" bezeichnet wird, obwohl niemand wirklich die Qualität des Konzepts anzweifelt. Die Software dient dazu, Unternehmensabläufe zu designen, zu implementieren und zu kontrollieren. "Sie haben die Prozessmodellierung zur Kunst erhoben", urteilt ein Wettbewerber. Heute bildet die Aris-Familie die Grundlage für das Beratungsgeschäft der Saarländer: "Die Kunden brauchen jemanden, der damit umgehen kann", begründet Meta-Group-Analyst Spies die steigende Nachfrage nach Consulting-Diensten aus dem Hause IDS Scheer.

Im vergangenen Geschäftsjahr belief sich der Anteil der IT-Beratung am Gesamtumsatz auf 74 Prozent. Allerdings war diese Zahl durch Zukäufe stark angestiegen. "Aris allein macht nichts Schlechtes, aber auch nichts sonderlich Gutes", umschrieb ein Vorstandsmitglied das Geschäftsmodell der Firma. Die Tools lohnen sich vor allem, wenn der Anwender Beratungsleistungen dazunimmt: "Wir verkaufen keine Technologie, wir verkaufen Ergebnisse." Vergangenes Geschäftsjahr wurden Ergebnisse im Gegenwert von 221 Millionen Euro abgesetzt.

Die Alma mater zahlt sich aus

Neben dem Kernprodukt spielt der Standort Saarbrücken eine wichtige Rolle, der angesichts des vergleichsweise niedrigen Lohnniveaus schon mal inoffiziell als "Nearshore"-Region bezeichnet wird. Die Nähe und der gute Zugang zur dortigen Hochschule - IDS Scheer war ein Spinoff der Universität - bilden einen wichtigen Erfolgsfaktor. Die Studenten arbeiten für wenig Geld, zudem lernen sie den Umgang mit Aris-Programmen und Geschäftsprozessen: "Das hat einen Multiplikationseffekt", sagt Meta-Analyst Spies, "wenn die Absolventen später in die Wirtschaft wechseln."

Im Gegensatz zu vielen deutschen Mittelständlern wird IDS Scheer schon länger nicht mehr von den Gründern, sondern von einem unabhängigen Management geführt. Bereits 1999 gab der Hochschullehrer die operative Verantwortung ab und zog sich in den Aufsichtrat zurück. Im Folgejahr wurde Helmut Kruppke zum Vorstandssprecher ernannt, ihm wurde Anfang 2001 Ferri Abolhassan für das Auslandsgeschäft an die Seite gestellt, der zuvor Geschäftsführer bei SAP Retail im nahen St. Ingbert war. Das Experiment der Doppelspitze hat sich inzwischen bewährt, was nicht selbstverständlich war, denn beide Manager sind grundverschieden: Kruppke blickt in das Unternehmen hinein, Abolhassan zieht es aus Saarbrücken hinaus.

Manager mit Visionen

Beide Manager haben ihre eigenen Visionen und lassen sich den nötigen Raum, diese auch zu verwirklichen. "Die Doppelspitze klappt natürlich nur, solange die zwei in die gleiche Richtung marschieren", warnt Meta-Mann Spies. Wenn einer Ambitionen zeige, dem anderen das Wasser abzugraben, sei das Prinzip von Check and Balance wirkungslos. Kruppke und Abolhassan teilen sich ein Vorzimmer und lassen die Türen auf - "so haben wir jeden Tag fünf Vorstandssitzungen", sagt Abolhassan.

Die Erfolgsserie der Saarländer hat sich auch an der Börse herumgesprochen, der Aktienkurs wurde in den vergangenen 52 Wochen fast vervierfacht. "Man muss konstatieren, dass IDS Scheer gestärkt aus der Branchenkrise hervorgegangen ist", beobachtet Helmut Bartsch, Finanzanalyst der Stuttgarter BW-Bank. Die Company sei gut positioniert, habe frühzeitig neue Märkte erschlossen und mit der Geschäftsprozessoptimierung ein Thema besetzt, "das gut in die heutige Landschaft passt". Durch die Übernahmen im vergangenen Jahr und die zuletzt vertiefte Partnerschaft mit SAP habe das Unternehmen laut Bartsch gewaltig an Dynamik gewonnen. "IDS ist eines der wenigen Unternehmen vom Neuen Markt", sagt Vorstandssprecher Kruppke, "das seinen Ausgabekurs nochmal gesehen hat."

Zu den Erfolgsrezepten zählt auch die stets enge Anlehung des Unternehmens an den Walldorfer Konzern. Scheer sitzt seit 2002 im Aufsichtsrat der SAP; diese hatte 1997 einen 25,2-prozentigen Anteil an den Saarbrückern gekauft, der inzwischen allerdings auf rund 2,5 Prozent reduziert worden ist. Rund zwei Drittel der Consulting-Umsätze in Deutschland erwirtschaftet IDS gegenwärtig im SAP-Umfeld. "In dieser Kombination steckt für IDS viel Potenzial", meint Meta-Group-Analyst Spies, "wenn die angekündigten Programme halten, was sie versprechen."

Der Analyst bezieht sich auf die Ankündigungen der Firmen, dass Aris im Sommer integriert mit SAPs Netweaver-Plattform auf den Markt kommen soll. Hintergrund: Das Wissen um die Geschäftsprozessflüsse, das in den ERP-Systemen fest verdrahtet war, muss erst in das Framework eingebracht werden. Zwar werden mit Netweaver nicht automatisch auch Aris-Lizenzen verkauft, aber die Koppelung ist richtungsweisend; IDS wird zum De-facto-Standard und kann durch die Migration der SAP-Bestandskunden in den kommenden Jahren auf florierende Geschäfte hoffen.

Zudem will IDS verstärkt die eigene Basis angehen, denn bei rund 4000 Anwenderunternehmen sind gegenwärtig zirka 45000 ArisLizenzen im Einsatz. Hier verspricht sich die Company noch Vertriebspotenzial für die neuen Tools der Aris-Familie, etwa für das Prozess-Controlling. "Fast alle Dax-Unternehmen haben Aris gekauft", sagt Firmenchef Kruppke, "doch das sagt nichts über die Durchdringung aus." So soll der Umsatzanteil der Produktsparte, die inzwischen mehr als 40 Einzelwerkzeuge entwickelt hat, in den nächsten Jahren wieder auf über 30 Prozent steigen.

Vor allem der Mittelstand hat sich bislang beim Thema Prozess-Management zurückgehalten, was sich künftig ändern soll. IDS Scheer wurde zum SAP-Systemhaus ernannt und versucht, das eigene Prozesswerkzeug "Aris Smartpath" an den Mann zu bringen. Das Tool stammt aus der Übernahme von Acqra im Jahr 2000 in den USA und läuft auch mit Microsofts mittelständischen ERP-Programmen - hierzulande wird die Variante jedoch vorerst nicht angeboten, um SAPs Expansionsversuch in dem Segment nicht zu torpedieren.

Auch international stehen die Zeichen auf Wachstum: Der chinesische Markt wird gerade erschlossen, im Laufe des Jahres soll Russland folgen. "Bei der Expansion ist jedoch keine Hast angesagt", berichtet Vorstandssprecher Abolhassan. Ende des Jahres 2004 sollen mehr als 60 Prozent der Einnahmen aus dem Ausland stammen. Zwar ist Deutschland der wichtigste Markt, doch waren hier die Umsätze zuletzt rückläufig; zudem sind die Wachstumschancen im internationalen Geschäft größer. In einigen Jahren soll sich die Profitmarge über alle Gesellschaften hinweg bei etwa 15 Prozent eingependelt haben.

Außerdem wäre Geld für weitere Zukäufe vorhanden: Die kurzfristig verfügbaren Mittel belaufen sich auf 80 Millionen Euro, mit bereits genehmigtem Kapital hätte das Management laut Kruppke rund 300 Millionen Euro zur Verfügung. Derzeit ständen allerdings keine Akquistionen an. Jedoch forderte Kruppke auf der jüngsten Bilanzpressekonferenz: "Nehmen Sie eine Botschaft mit - wir können nicht nur reine Cash-Deals machen." Eins jedenfalls scheint nach 20 Jahren sicher: Der Konsolidierungsprozess in der IT-Dienstleistungsbranche wird nicht ohne aktive Beteiligung von IDS Scheer ablaufen.

Die Firma in Zahlen

Der Umsatz von IDS Scheer stieg im vergangenen Geschäftsjahr um 22 Prozent auf 221 Millionen Euro an.

Das Nettoergebnis wuchs um 42 Prozent auf 19,2 Millionen Euro.

Die Dividende wurde von zehn auf 14 Cent je Aktie angehoben.

Im Geschäftsjahr 2004 soll der Umsatz auf 290 Millionen Euro klettern, wobei ein Teil des Wachstums aus den konsolidierten Übernahmen des Jahres 2003 stammt. Auf zwölf Prozent wird die Gewinnmarge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebita) taxiert, mittelfristig sind 15 Prozent angepeilt.

Abb: Mit soliden Zahlen überzeugte IDS Scheer Investoren und Kunden

Der Nettoprofit der Company ist lediglich im Jahr 2001 zurückgegangen - kein Wunder angesichts der damals herrschenden Branchenkrise. Im Folgejahr wurde das Ergebnis mehr als verdoppelt. Quelle: CW