Ziele und Voraussetzungen jedes einzelnen Unternehmens sind maßgeblich:

Ideallösung kann nur im Kompromiß bestehen

12.06.1987

Mit dem Begriff "CIM" wird meist die Vision eines vollautomatisierten, rechnergesteuerten Fabrikbetriebes assoziiert. Grundlage für ein solches Konzept ist der Einsatz von programmierbaren Produktionstechniken, die eine breite Produktpalette mit kleinen Stückzahlen bei kurzen Durchlaufzeiten ermöglichen. Über die Perspektiven von PPS-Systemen im Hinblick auf künftige CIM-Konzepte berichtet Hans Zeiträger*.

Der Denkansatz, für den CIM steht, hat bereits eine hohe Eigendynamik, so daß die Frage nach dem Warum kaum noch gestellt wird. Ein häufig genanntes Argument ist: "Nur mit CIM kann ein Unternehmen dauerhaft seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten." Da alle mehr oder weniger auf dem Weg zu CIM sind, hat der einzelne kaum noch die Möglichkeit, sich dieser Idee zu verschließen. CIM weist den Weg, technische, organisatorische und personelle Probleme zu überwinden.

Wird über das Ergebnis einer idealen CIM-Lösung diskutiert, so kommt man schnell auf die sogenannte "Null-Lösung"; das heißt man erwartet, daß Lieferzeit,

Wiederbeschaffungszeit, Fehlerrate, Vorratshaltung im Lager und im Fertigungsbereich gegen Null gehen. Die wirtschaftlich. vertretbare Losgröße sollte möglichst nahe der Stückzahl Eins liegen. Gegen diese extreme Ausrichtung stehen die daraus resultierenden Anforderungen an Menge und Qualität der erforderlichen Informationen, administrativem Aufwand, Automatisierungsgrad, Absicherung der Risiken, Investitionsaufwand und die Kosten. Die ideale CIM-Lösung kann nur einen Kompromiß darstellen und muß sich notwendigerweise an den Zielen und Voraussetzungen jedes einzelnen Unternehmens orientieren.

In diesem Bereich steht die Entwicklung noch ganz am Anfang. Vorhanden sind bereits CIM-Teilsysteme und -Einrichtungen, zum Beispiel PPS-, CAD-, CAP-Systeme, automatisierte Bearbeitungssysteme, Handhabungsgeräte, Transporteinrichtungen und

-steuerungen, automatisierte Lagersysteme; nicht zu vergessen die Komponenten der Informationstechnologie wie DB/DC-Systeme, Betriebssysteme, Kommunikations- und Entwicklungssysteme. Die CIM-Teilsysteme haben oft schon einen hohen Verbreitungs- und Reifegrad, es gibt auch eine Reihe von Kopplungen und Integrationsansätze; von einem durchgängigen, abgestimmten Informationsfluß über alle CIM-Teilbereiche ist man jedoch noch weit entfernt.

CIM-Zauberei scheitert bald an der Realität

Die erste Euphorie ist vorbei; man hat bemerkt, daß es mit Zauberei ( "CIMSalabim") nicht zu machen ist. Hohe Investitionen für neue Fertigungstechniken und die Qualifizierung der Mitarbeiter sind notwendig. Die sich ergebenden Veränderungen von Ablauf- und Aufbauorganisation können nur in kleinen Schritten realisiert werden. Wichtig ist, daß alle CIM-Teilentwicklungen in ein strategisches Gesamtkonzept eingebettet sind.

In einigen Veröffentlichungen der vergangenen Jahre kam bei der Definition von CIM der Teilbereich Produktionsplanung und -steuerung gar nicht mehr vor. Das lag sicher auch daran, daß man sich in einer flexiblen, hochautomatisierten Produktionsumgebung mit dem Anspruch einer direkten Produktionsveranlassung durch den Kundenauftrag und einer produktionssynchronen Bereitstellung von Material - möglichst direkt vom Lieferanten - und aller sonstiger Ressourcen eine richtige Aufgabe für herkömmliche PPS-Produkte nicht mehr vorstellen konnte. Dies besonders dann, wenn eine geringe Fertigungstiefe und Komplettbearbeitung an den einzelnen Fertigungseinrichtungen als Ausgangsbasis diente. Der Grund für die erwähnte Überlegung lag in der unterschiedlichen Definition von PPS selbst.

Welche Funktionsbereiche sind nun also der Produktionsplanung und -steuerung zuzuordnen?

Nach AWF-Empfehlung 1985 bezeichnet PPS den Einsatz rechnerunterstützter Systeme zur organisatorischen Planung, Steuerung und Überwachung der Produktionsabläufe von der Angebotsbearbeitung bis zum Versand unter Mengen-, Termin- und Kapazitätsaspekten. Das heißt, neben den PPS-Funktionen im engeren Sinne wie Produktionsprogrammplanung, Materialbedarfsermittlung und Disposition, Fertigungsauftragsfreigabe und -überwachung, Termin- und Kapazitätsplanung sowie Werkstattsteuerung sind der PPS die Funktionsbereiche Kundenauftrags- und Angebotsbearbeitung, Materialverwaltung und Bestellwesen zuzuordnen. Auch wenn man von einer Tendenz zu eigenständigen Werkstattsteuerungs- und Lagerverwaltungssystemen ausgehen muß, gehören diese Systeme zum Funktionsspektrum der Produktionsplanung und -steuerung.

Ausgehend von dieser Definition und der Tatsache, daß sich die beschriebene Vision der Produktionsumgebung, wenn überhaupt, nur sehr langsam und unter Umständen nur in Teilbereichen verwirklichen läßt, hat die Produktionsplanung und -steuerung eine wichtige Teilaufgabe innerhalb von CIM. In den meisten Fällen wird es sogar richtig sein, die CIM-Entwicklung auf der Basis PPS aufzubauen.

Überdeckung auch bei klaren Betriebstypen

Die Anforderungen an PPS sind natürlich - ob mit oder ohne CIM-Umwelt - von den spezifischen Unternehmenszielen und -voraussetzungen abzuleiten. Sie werden zum Beispiel bei einem Einzelfertiger von kundenspezifischen Erzeugnissen, einem Variantenfertiger oder einem Serienfertiger von standardisierten Erzeugnissen jeweils unterschiedlich gelagert sein. Allerdings ist anzumerken, daß in der Praxis oft Mischformen von betriebstypologischen Merkmalsausprägungen anzutreffen sind und auch bei "sauberen Betriebstypen" immer eine Überdeckung von Anforderungskriterien entsteht.

Betrachtet man die Funktionsbereiche von PPS im Hinblick auf CIM, dann sind vor allem die Schnitt- oder Verbindungsstellen zu den anderen CIM-Teilbereichen und die Verbindung der einzelnen PPS-Planungs- und Steuerungsebenen zu sehen. Man kann auch von der Notwendigkeit einer horizontalen und vertikalen Integration sprechen. Weiterhin ergeben sich aus neuen Lösungsansätzen - wie zum Beispiel Just-in-Time-Fertigung (JIT), flexible Automatisierung, neue Fertigungsstrukturen - veränderte Anforderungen an die Funktionalität von PPS-Systemen.

Synchronisation über alle Ebenen notwendig

Teilt man die PPS-Ebenen in Grobplanung (Produktionsprogrammplanung), dispositive Planung und Steuerung (Materialbedarfsermittlung, Kapazitätsplanung, Auftragsfreigabe und -überwachung) sowie operative Planung und Steuerung (Werkstattsteuerung, Lagerverwaltung), ergibt sich zwangsläufig, daß sich Detaillierungsgrad der Verarbeitung, Datenmenge und Vollständigkeitsanspruch von oben nach unten erhöhen. Das heißt aber auch, daß die jeweils obere Ebene ein verdichtetes Abbild der unteren Ebene darstellt. Hier ist eine umfassende Synchronisation notwendig.

Ein Beispiel dafür ist die Termin- und Kapazitätsplanung. Verfügbare Kapazitäten in der Feinplanung auf der Basis von Arbeitsplätzen müssen in der Verdichtung auf zum Beispiel Arbeitsplatzgruppen in der dispositiven Planung abbildbar sein; die Verdichtung der Arbeitsplatzgruppen auf Kostenstellen oder Fertigungsbereiche bildet die Grundlage für die

Ressourcenbetrachtung in der Grobplanung. Die Weitergabe von Änderungen an die obere Planungsstufe ist abhängig vom jeweiligen Detaillierungsgrad der Betrachtung. Umgekehrt muß bei der Kapazitätsbelegung und Terminierung ein Freiheitsgrad definiert sein, der in der jeweils unteren Planungsstufe Handlungsspielräume für eine Optimierung läßt.

- Differenzierte Betrachtung des Auftragsbegriffes

Man unterscheidet bisher zwischen geplanten, genehmigten, freigegebenen, gestarteten und fertiggestellten Aufträgen, fixiert die Aufträge frühzeitig mengenmäßig über verschiedene Ansätze zur Losgrößenbildung und geht bei der Terminbestimmung von der gesamten Ablieferung der Auftragsmenge aus. Das wird künftig in dieser Form unter den Gesichtspunkten von kleinen Losgrößen, kurzen Durchlaufzeiten und optimiertem Materialfluß nicht mehr möglich sein.

Es ist notwendig, daß sich Aufträge beziehungsweise Bedarfsanforderungen schon in der Materialbedarfsermittlung überlappen können. Weiterhin sind Losgrößenoptimierungen dann nicht mehr sinnvoll, wenn sich erst vor Ort entscheidet, welche Teilmenge zu welchem Zeitpunkt aufgelegt werden soll. In der dispositiven Planung und Steuerung wird es herkömmliche Aufträge geben, Rahmenaufträge, die eine Bedarfsmenge pro Zeiteinheit umschreiben, unter Umständen aufgeteilt in Tagesmengen, und möglicherweise Zusammenfassungen von mehreren Bedarfsansprüchen unterschiedlicher Produkte. Bei der Auftragsfreigabe muß es möglich sein, pro Auftrag gleichzeitig mehrere Ablieferungsmengen und Ablieferungsorte bestimmen zu können. Die Verfügbarkeitsprüfung muß sich nicht nur auf den verfügbaren Lagerbestand, sondern auch - bei Auftragsdurchsteuerung - auf laufende Aufträge beziehen können.

- Dezentrale Werkstattsteuerung

In der kurzfristigen Planung und Steuerung wird es zunehmend erforderlich sein, eine Verfügbarkeitsprüfung und Bereitstellungsveranlassung sämtlicher relevanten Ressourcen beziehungsweise Informationen durchzuführen. Unter dem Begriff "Ressourcen" sind Material, Arbeitsplätze, Maschinen, Personal, Werkzeuge, Vorrichtungen, Prüfmittel, Läger, Transportsysteme, Lager- und Förderhilfsmittel, Handhabungsgeräte und Steuereinheiten zu verstehen. Notwendige Informationen können Arbeitspläne, Fertigungsstücklisten, Rüst-, Arbeits-, Prüfanweisungen, Prüfpläne, technische Zeichnungen und Steuer- beziehungsweise Prüfprogramme sein.

Zentrale PPS-Systeme sind heute unter den Rahmenbedingungen für die Werkstattsteuerung, wie zum Beispiel unterschiedliche Anforderungen pro Produktionsstätte und Produktionsteilsystem, Vollständigkeitsanspruch, kurzfristige Reaktionsmöglichkeiten auf Störungen beziehungsweise auf die aktuelle Fertigungssituation, möglichst verzögerungsfreie Umsetzung des Ist-Zustandes in eine neue Planungssituation, überfordert. In einer CIM-Umgebung wird es zunehmend mehrere eigenständige gleichrangige und/oder hierarchisch aufgebaute Werkstattsteuerungssysteme (Fertigungsleitsysteme) geben.

- Abruforientierung

In Verbindung mit der Just-in-Time-Fertigung ist die produktionssynchrone Bereitstellung zu sehen. Die Abruforientierung - das heißt eine Bereitstellungsveranlassung erfolgt erst dann, wenn "vor Ort" Bedarf besteht beziehungsweise Bedarf absehbar ist - hat hier wesentliche Vorteile. Betrachtet man die Materialbereitstellung, dann können sich Abrufe auf Zentral-, Produktionslager, Lieferanten oder vorgelagerte Produktionsteilsysteme beziehen. Diese Abrufe müssen sich in den vorgegebenen Grenzen bewegen. Die Grenzen sind beim Lieferanten durch Rahmenverträge sowie laufende Bedarfsmeldungen und beim Lager durch Reservierungen zu beschreiben. Abrufe müssen im Steuerungssystem unter den Gesichtspunkten von Materialfluß und Kommissionieraufwand gestaltet werden.

- PPS-Schnittstellen

PPS-Schnittstellen ergeben sich innerhalb von CIM und über die CIM-Funktionsbereiche hinaus. Zu nennen sind die Bereiche Konstruktion und Entwicklung (CAD), Fertigungsplanung (CAP), Qualitätssicherung (CAQ), Fertigungs-, Transport- und Lagereinrichtungen (CAM), Finanz- und Rechnungswesen, Personalwesen, Wartung und Instandhaltung, Marketing und Vertrieb. Wichtig für die Schnittstellenbetrachtung aller Teilbereiche sind die gemeinsame Datenbasis und durchgängige, abgestimmte Informationsflüsse.

Ein Beispiel dafür ist die Stückliste, die normalerweise im Konstruktionsbereich entsteht, in der Fertigungsplanung in eine Fertigungsstückliste umgewandelt wird, in der PPS bei Materialbedarfsermittlung, Verfügbarkeitsprüfung und Materialabruf Verwendung findet und der Kalkulation (Kostenrechnung) als Basis dient. Ideal wäre ein Durchgriff aller beteiligten Systeme auf eine einzige Stückliste; eine zum Teil redundante Datenhaltung in allen Teilsystemen in Verbindung mit aktueller Nachführung von Änderungen ist im Sinne einer CIM-Integration durchaus auch vertretbar.

"Kanban"-Ansatz bleibt bei PPS weiter Stiefkind

Die klassischen PPS-Systeme basieren ausnahmslos auf dem MRP- beziehungsweise MRP-II-Prinzip. Grundsätzliche Schwächen dieses Verfahrens liegen in der Unsicherheit bei der Abbildung der Durchlaufzeit, der nicht vorhandenen Gesamtoptimierung über alle Dispositionsstufen und der Tatsache, daß eine Simultanplanung von Material und Kapazität nicht unterstützt wird.

Neuere Lösungsansätze, wie zum Beispiel "Kanban", belastungsorientierte Auftragsfreigabe (BOA), Fortschrittzahlensysteme und Optimized Production Technology (OPT), finden nur zögernd Einzug in die PPS-Standardprodukte. Dabei ist anzumerken, daß diese Vorgehensweisen die klassischen PPS-Systeme nur in Teilbereichen ersetzen beziehungsweise ergänzen.

Ein Großteil der heute am Markt angebotenen PPS-Standard-Softwaresysteme - es sind über 100 - weist Lücken in der Funktionsabdeckung auf. Stellvertretend seien hier Produktionsplanung, durchgehende Variantenlösung, Bedarfsverursachernachweis über alle Stufen, Net-Change-Verfahren, Simulationsmöglichkeiten und Aktionsorientierung genannt. Bei einigen PPS-Systemen kann man eine hohe Funktionsabdeckung konstatieren, sie zeigt sich interessanterweise oft im Zusammenhang mit hohem Verarbeitungskomfort und durchdachter Benutzeroberfläche.

Die kurzfristige Planung und Steuerung ist ein altes Sorgenkind der PPS. Mit der Auftragsfreigabe in Verbindung mit Verfügbarkeitsprüfung und Reservierung von Materialien und Überwachung auf Auftragsebene schließen die PPS-Systeme ihre funktionale Unterstützung des organisatorischen Ablaufs meistens ab. Die frühzeitige Festlegung von Abarbeitungsreihenfolgen, Terminen und Bereitstellungen bietet oft keine realistische Grundlage für die Um- und Durchsetzung im Fertigungs- und Lagerbereich.

Die Produktionsplanung und -steuerung wird ihre wichtige Rolle auch in einer CIM-Umwelt behalten. Die führenden heutigen PPS-Systeme dürften sich behaupten; Voraussetzung ist, daß sie den sich verändernden Bedingungen angepaßt werden. Zentrale Planung und Steuerung in Verbindung mit dezentralen Planungs- und Steuerungssystemen wird sich durchsetzen.

In beiden Bereichen sind parallele Lösungskonzepte notwendig. Tendenziell werden sich Aufgabenbereiche der klassischen PPS-Systeme auf neue Werkstattsteuerungssysteme verlagern. Variable Funktionsabgrenzungen stellen hohe Anforderungen an die Konzeption und Realisierung der Verbindungsstellen.

Die alte Forderung nach "offenen Systemen" läßt sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen. Grundsätzliche Probleme bei der Realisierung und die Interessenslage der Hersteller sprechen dagegen. Dem PPS-Anwender bleiben für die Entscheidung bei der Softwareauswahl zwei Ausrichtungen: zum einen die Entscheidung für Systeme, die einen hohen Funktionsabdeckungsgrad haben, deren Flexibilität im wesentlichen in der "Parameterisierung" liegt und die in ihrer Weiterentwicklung aktuell den CIM-Anforderungen standhalten; zum anderen die Entscheidung für Systeme, die eine Erfüllung der PPS-Grundfunktionen auf hohem Niveau anbieten und ihre Flexibilität vor allem in der Änderungsfreundlichkeit sehen. Im zweiten Fall wird die Möglichkeit für den Anwender, Release-Wechsel nachzuvollziehen, nur sehr begrenzt gegeben sein.

Abschließend bleibt zu bemerken, daß die bestehenden MRP-II-Systeme bisher kaum die Möglichkeit hatten, sich zu bewähren. Für Konzeption, Softwareauswahl, Implementierung und Anpassung sowie erste Anwendungserfahrungen werden in der Regel mehrere Jahre benötigt. Erst wenige Betriebe haben durchgängig eine moderne PPS-Lösung eingesetzt. Wichtig bleibt auch für diese Unternehmen, das in den PPS-Projekten erworbene Know-how zu erhalten. Zukünftige Innovationsschritte der PPS-Anwendungssoftware werden dann auch in einer sich schnell verändernden CIM-Umwelt zeitlich und kostenmäßig leichter zu bewältigen sein.