Büro als Ort kreativer Prozesse und transparente Kommunikation, aber:

Ideale Vorstellungen liefern nur Anhaltspunkte

04.01.1985

Was im Büro eigentlich geschieht, ist nach wir vor unklar, behauptet Hartmut Wedekind, Inhaber des Lehrstuhls für Datenbanksysteme an der Uni Erlangen.

Schematisierte Arbeitsabläufe sind zwar längst mit Rechnerhilfe zu bewältigen, effektive Werkzeuge zur Unterstützung kreativer Prozesse und transparenter Kommunikation jedoch seien immer noch Zukunftsmusik. Der Wissenschaftler ist auf der Stiche nach einer tragfähigen "Theorie des Büros".

Ein Büro ist als eine organisatorische Einheit im Gesamtkomplex eines Unternehmens anzusehen. Die Steigerung der Effizienz der Büroarbeit war seit langem Anliegen von Organisationsfachleuten und Arbeitswissenschaftlern. Man kann jedoch feststellen, daß diese Anstrengungen nur von marginalem Erfolg gekrönt wurden - als Resultat war mir die Unterstützung einiger Facetten der Büroarbeit zu beobachten (Schreibmaschine, Diktiergeräte etc.). Was im Büro eigentlich geschieht, ist unklar; dies wird um so deutlicher, wenn man die - teilweise im Ansatz vielversprechenden Versuche verfolgt, die im Büro beobachteten Phänomene zu einer Theorie zu verdichten, die als Grundlage für Büroautomation dienen kann.

Das Büro kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:

- Die externe Perspektive: Das Büro ist eine Verarbeitungsstation für Informationsträger (Dokumente) und ist charakterisierbar nach Mengen, Art und Richtung des Zu- bzw. Abflusses von Dokumenten zu organisatorisch benachbarten Büros beziehungsweise der Außenwelt.

- Die interne Perspektive: Das Büro ist ein Arbeitsplatz zur Durchführung von Arbeitsschritten gemäß dem Unternehmensziel unter Zuhilfenahme geeigneter Werkzeuge und Kommunikationswege.

Die Bemühungen um eine der Büroarbeit zugrundeliegende Theorie durch Untersuchungen menschlicher Aktivitäten im Büro führten zur Formulierung folgender Begriffspaare zur Charakterisierung gegensätzlicher Bürotypen:

- Service-Oriented Office versus Principal Support Office: Man unterscheidet Büros mit stereotypem Dokumentdurchfluß (Betonung der externen Perspektive) von Büros mit unstrukturiertem Arbeitsprofil (Betonung der internen Perspektive).

- Finding Office versus Reminding Office: Man unterscheidet Büros im Sinne eines Archivs (passiv) von Büros im Sinne eine Assistenten (aktiv), wobei über breit angelegtes Fachwissen hinaus auch organisatorisches und soziales Wissen sowie Problemlösungsfähigkeiten vorhanden sein müssen.

- Schematisierte/Reglementierte Transaktionen versus Freie Transaktionen: Man unterscheidet (aus der Sicht einer Bürodatenbank) fest vorgegebene beziehungsweise nur eingeschränkte parameterorientierte Arbeitsschritte von frei aus Elementaroperationen konstituierbaren Arbeitsschritten.

Diese idealisierten Vorstellungen können in der Realität nur als Anhaltspunkte dienen; während schematisierte Arbeitsabläufe beziehungsweise Transaktionsprofile bereits heute durch auf dem Markt verfügbare Systeme bewältigt werden können, sind Entwicklungsvorhaben zur Unterstützung kreativer Prozesse und transparenter Kommunikation in industriellen Forschungsabteilungen in vollem Gange und sollten in den nächsten Jahren zum Erfolg führen.

Der Aufschwung im Bereich Büroautomation der letzten Jahre ist insbesondere auf folgende Gründe zurückzuführen. Erstens: Viele der im Büro zu leistendenarbeiten konnten mit der bis Ende der siebziger Jahre verfügbaren Hardware nicht automatisiert werden; so waren unter anderem keine erschwinglichen Arbeitsstationen für Text- und Bildverarbeitung verfügbar.

Zweitens schloß sich die Heterogenität der Büroarbeitsplätze die Benutzung eines Universalrechners für das gesamte Spektrum der zu bewältigenden Aufgaben aus, desgleichen erwies sich das Konzept eines zentralen innerbetrieblichen Rechenzentrums angesichts des Strebens der Fachabteilungen nach Selbständigkeit als untauglich; effiziente Kopplungsmöglichkeiten zur Erreichung eines Funktions-, Last- und Datenverbundes im privaten wie öffentlichen Bereich stehen erst seit Kurzem zur Verfügung.

Drittens verlangt die Verbesserung der Akzeptanz sowie Unterstützung kreativer Arbeitsprozesse einen hohen Einsatz an CPU-Leistung; dieser wurde zu vertretbaren Kosten erst durch die Massenproduktion billiger Prozessoren möglich.

Derzeitiger Stand der Technik

Eine Standardkonfiguration (Software und Hardware) ist nach dem heutigen Stand der Technik durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

- Hardware

Hochauflösender, grafikfähiger Bildschirm

Leistungsfähiger Mikroprozessor

Pointing Device (Maus, Tableau, Rollkugell)

Audio Generator

Schnittstellen zu Lokalen Netzwerken

File-, Print-, Scan- und Namenserver Gateways zu Inhouse-Hosts, öffentlichen Netzen

(Teletex, Telefax, Telefonnetz, Datex-Dienste)

- Software

Datenbanksystem

Electronic Mail System

Spreadsheet Programme

Anwendungsspezifische Spezialprogramme (Decision Support Systems etc.)

Schnittstellen zu Hostrechnern (Terminalemulation, Verteiltes Betriebssystem).

Weitgehende Designziele

Bei der Neukonzeptionierung von Büroinformationssystemen werden dabei weitergehende Designziele verfolgt, die derzeit noch nicht verwirklicht sind, unter anderem:

- Homogenität der Benutzerschnittstellen

Die Kommunikation von Anwendungsprogrammen mit dem Benutzer sollte losgelöst von der konkreten Systemumgebung erfolgen ("Virtueller Arbeitsplatz"), so daß ein einheitliches und konsistentes Erscheinungsbild des gesamten Spektrums der Anwendungssoftware realisiert wird.

- Adäquatheit des Anwendungsmodells

Den durch die Anwendungssoftware realisierten Konzepten muß eine allgemein anerkannte "Theorie des Büros" zugrunde liegen; eine abschließende Behandlung dieses Problems ist derzeit noch nicht in Sicht.

- Flexible Datenverwaltung

Für die Datenverwaltung im Büro (Bürodatenbanksysteme) muß einerseits die von den herkömmlichen Datenbanken bekannten Manipulations- und Administrationsfähigkeiten auf anspruchsvollere Datentypen (Text, Grafik, digitalisierte Sprache) ausgedehnt werden, andererseits das Problem der lokal und global verteilten Datenhaltung gelöst werden.

- Transparenz der Kommunikationssysteme

Der Büroarbeitsplatz der Zukunft soll über einheitlich flexible Kommunikationswege verfügen; dabei stellt sich insbesondere das Problem der Integration diverser privater und öffentlicher Datennetze zu einem Verbund, der über eine einheitliche Benutzerschnittstelle und Qualität der erbrachten Dienste verfügt.

- Einsatz wissensbasierter Systeme im Büro

Das Büro stellt einen Modellfall für den Einsatz der Techniken der Künstlichen Intelligenz dar, dabei insbesondere bei der Unterstützung der Mensch-Maschine-Kommunikation, der Dokumentenanalyse und der Formulierung und Handhabung von Ablaufbeschreibungen (Office Procedures). Forschungsvorhaben zu diesem Thema laufen in den USA, in erster Linie am Massachusetts Institute of Technology und bei Xerox, sowie in Europa, dabei insbesondere im Rahmen von Verbundprojekten.

Früher als erwartet

Einige der "Designziele", die Hartmut Wedekind in obigem Artikel umreißt, sind in einigen Bürokommunikationskonzepten schon enthalten und in manchen Lösungen teilweise bereits realisiert. Die Vorstellung der ISDN-Inhouse-Kommunikationsanlage durch Siemens dürfte das elektronische Büro jedoch noch einen guten Schritt weitergebracht haben, früher als der Autor dieses wohl erwartet hat.