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ICT World Forum: Der Aufschwung kommt langsam, aber sicher

23.03.2004
Die auf dem ICT World Forum versammelte Unternehmensprominenz war sich einig: Langsam, aber sicher kommt der Aufschwung. In zahlreichen Keynotes schwangen sich die Chief Executive Officers (CEOs) von Telekom- und Softwareanbietern außerdem zu den Anwälten ihrer Kunden auf.

Von Werbegeschenke sammelnden Privatanwendern bleiben die Besucher des ICT World @ CeBIT Forum gänzlich verschont. Weit ab vom Messegeschehen traf sich das Who is Who der IT- und Telekommunikationsanbieter am anderen Ende der Stadt, um Strategien und Visionen zu präsentieren. Die CEOs von Lucent, T-Mobile, BT Global Services und anderen Branchengrößen gaben sich dabei vorsichtig optimistisch. So konnte Patricia Russo, CEO von Lucent, vom ersten positiven Quartal seit vier Jahren berichten. Die noch vor zwei Jahren schwer angeschlagene France Télécom kehrte ebenfalls in die Gewinnzone zurück. CEO Thierry Breton sieht sein Unternehmen wieder auf der Erfolgsspur. Es gelang ihm, die Schulden seines Unternehmens innerhalb eines Jahres von 68 auf 44 Milliarden Euro zu senken. Darüber hinaus erzielte France Télécom im vergangenen Jahr einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro. Außerdem hat Breton das Entwicklungsbudget seines Unternehmens um 20 Prozent

erhöht. Rekordzahlen vermeldete der IT- und Elektronikdistributor Ingram Micro. Das vergangene Jahr war laut Gregory Spierkel, Vice President Emea, das erfolgreichste in der gesamten Firmengeschichte.

Auch bei den anderen Anbietern aus dem Telekommunikationsumfeld herrschte eindeutig Optimismus vor. Russo vermeldete vor allem starke Zuwächse bei breitbandigen Internet-Zugängen und Wireless-Diensten. Sie rief außerdem dazu auf, nicht länger auf "die Killerapplikation" zu warten. Die Techniken seien vorhanden und müssten nur genutzt werden. Den Fokus legt Russo daher weniger auf technische Aspekte der viel diskutierten Konvergenz von Daten und Sprache. Es gehe vielmehr um die Befriedigung der Kundenbedürfnisse. In diesem Zusammenhang bedeute Konvergenz die Bereitstellung von Services aller Art, zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf jedem beliebigen Endgerät.

Auch René Obermann, CEO von T-Mobile, stellte die Technikdiskussion in den Hintergrund. Im Markt für Geschäftskunden ständen nicht neue Technologien wie UMTS im Mittelpunkt, sondern die Bereitstellung von mobilen Services. Diese müssten in erster Linie sicher, einfach und lösungsorientiert sein. Bis 2007 werde der Anteil der Datenübertragung am Umsatz seines Unternehmens von derzeit 23 auf rund 40 Prozent steigen.

In das gleiche Horn stieß Debitel-CEO Peter Wagner. Auf der CeBIT würden zwar wieder jede Menge neuer Techniken vorgestellt, wahre Innovation seien dies allerdings nicht. Die lägen vielmehr in einer Verbesserung des Kundennutzens. Viele Telekom-Anbieter müssten daher ihre Strategien überdenken.

Auch aus dem Lager der Softwarehersteller konnten die Kongressveranstalter klangvolle Redner gewinnen. Wer sich jedoch von Tom Siebel, CEO des CRM-Spezialisten Siebel Systems, SAP-Vorstandsmitglied Peter Zencke oder Craig Conway, CEO von Peoplesoft, aufregende Neuigkeiten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Wie schon die Telekom-Chefs schwangen sich alle drei zum Anwalt ihrer Kunden auf. So griff beispielsweise Zencke das Problem auf, dass viele Anwenderunternehmen 90 Prozent ihres IT-Budgets für den Betrieb und die Wartung bestehender Systeme aufwenden müssten und deshalb zu wenig Raum für Innovationen hätten. Außerdem müssten Endanwender immer noch als menschliche Schnittstellen Daten von einer Applikation in die nächste schaufeln, weil es an der geschäftsprozessorientierten Integration der Systeme mangele. Abhilfe soll hier SAPs Integrationsplattform "Netweaver" schaffen, an deren Weiterentwicklung laut Zencke zurzeit 3000 Entwickler arbeiten.

Peoplesoft-Chef Craig Conway fiel darüber hinaus durch - für europäische Ohren ungewohnt - vergleichende Werbung auf. In Deutschland könne sich niemand vorstellen, dass SAP seine Vormachtstellung im Markt für Unternehmenssoftware verlieren könne. "Doch dass Boeing seine Marktführerposition jemals an Airbus abgeben würde, konnte vor einigen Jahren auch niemand glauben", gab sich der Peoplesoft-CEO angriffslustig. Auf dem amerikanischen Markt liege sein Unternehmen bereits deutlich vor SAP. Obwohl die kartellrechtlichen Prüfungen des feindlichen Übernahmeangebots von Oracle sowohl in den USA als auch in Europa noch laufen, erklärte Conway das Vorhaben schon für gescheitert. Der Deal hätte, abgesehen von vielen anderen Faktoren, sowieso unter einem schlechten Stern gestanden, weil die Firmenkulturen der beiden Unternehmen nicht zusammenpassen würden. Während bei Peoplesoft stets die Kundenzufriedenheit die maßgebliche Rolle

gespielt habe, sei es Oracles CEO Larry Ellison immer nur um die Steigerung seiner Marktanteile gegangen.

Zwischen den mehrheitlich Marketing-lastigen Vorträgen der Hersteller fand sich auch ein Anwendervortrag von Sue Unger, Senior Vice President und Chief Information Officer bei Daimler-Chrysler. Kommunikation sei in ihrem Unternehmen "Big Business", so ihr Credo. Innerhalb des internationalen Konzerns würden täglich eine Million Telefongespräche geführt, zwei Millionen E-Mails verschickt und 110 Videokonferenzen abgehalten. Ent-scheidend sei jedoch die Integration von Prozessen in den vier Kernbereichen Entwicklung, Fertigung, Sales & Marketing und Personal. Hier habe Daimler-Chrysler mittlerweile eine Reihe von großen IT-Projekten gestartet und großteils bereits umgesetzt. So habe das E-Engineering-Portal für den Web-basierenden Austausch von Entwicklungsdaten zwischen einzelnen Unternehmensteilen beispielsweise bei der Entwicklung des neuen "Chrysler Crossfire" bereits gute Dienste geleistet. Für die Personalverwaltung und das Selbst-Management der

Mitarbeiter nutzt der Automobilkonzern das vor einem Jahr in Deutschland ausgerollte Portal "E-Life", das in den kommenden Monaten auch in den USA eingeführt werden soll.

Den insgesamt positiven Ausblick der ICT-Redner bestätigt auch Therese Torris, Senior Vice President Research Europe bei Forrester Research. Den großen Durchbruch in der Nutzung mobiler Dienste sieht Torris entgegen den Ausführungen der Telko-Anbieter jedoch erst 2006. Bislang sei die kritische Masse an Anwendern noch nicht erreicht, ab der entsprechende Angebote zu günstigeren Preisen vermarktet werden können. Die wahre "Revolution" findet laut Torris hinter den Kulissen statt. Die schrittweise Entwicklung von Service-Oriented Architectures führe dazu, dass in 20 Jahren mittelständische Unternehmen Software nicht mehr kaufen, sondern als Dienstleistung beziehen würden. Die Vorstöße von IBM (das auf dem Kongress für sein On-Demand-Computing-Konzept warb), Sun Microsystems (N1), HP (Adaptive Enterprise) und anderen würden mittelfristig eine neue Ära einleiten. (rg)