CW-Gespräch mit Giesecke & Devrient-Chef Willi Berchtold

"Ich bin nicht der Chefverkäufer von G&D"

15.11.2002
Geht es nach den Vorstellungen der hiesigen IuK-Industrie, soll Deutschland auch mit Hilfe großer Chipkartenprojekte wie digitale Bürgerkarte und Patientenausweis reformiert werden. Mit Willi Berchtold, Geschäftsführer des Chipkartenherstellers Giesecke & Devrient (G&D), sprach CW-Redakteur Gerhard Holzwart.

CW: G&D hat im wahrsten Sinne des Wortes die "Lizenz zum Gelddrucken", als zeitgemäßer Hightech-Konzern werden Sie jedoch weniger gesehen. Gibt es deshalb Bestrebungen, das Chipkarten-Business massiv auszubauen?

BERCHTOLD: Das mit dem fehlenden Image eines Hightech-Konzerns sehe ich nicht so. Sie unterschätzen den Banknotenbereich, was die dortigen technischen Innovationen angeht. Wir sind überzeugt von beiden Geschäftsfeldern und werden sie gleichermaßen ausbauen.

CW: Bleiben wir einen Moment bei den Smartcards. Wie würden Sie hier die Marktentwicklung der vergangenen beiden Jahre skizzieren?

BERCHTOLD: Als irrational. Wenn Sie das Marktvolumen in puncto ausgelieferte Stückzahlen sowie Umsätze zueinander ins Verhältnis setzen, werden Sie feststellen, dass der Preiskampf und damit der Margendruck weiter zugenommen haben. Dieser Preiskampf wird von Wettbewerbern angezettelt, die es sich absolut nicht leisten können.

CW: Sie spielen auf Hersteller wie Gemplus an, die zuletzt Verluste im dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich ausweisen mussten.

BERCHTOLD: Über die Bilanzen einzelner Firmen kann sich jeder selbst ein Urteil bilden. Wenn ich Produkte auf Dauer deutlich unter dem Herstellungspreis anbiete, ist das jedenfalls nur sehr schwer mit kaufmännischen Regeln zu vereinbaren.

CW: Wie schätzen Sie die weitere Marktentwicklung ein?

BERCHTOLD: Diese Frage ist in vielerlei Hinsicht schwierig zu beantworten. Zum einen muss man sich die einzelnen Segmente wie Zahlungsverkehr, Gesundheitswesen und natürlich Telekommunikation genauer anschauen. Vor allem von der Erholung des letztgenannten Bereichs hängt vieles ab. Dann sollte man aber auch noch über das Thema persönliche Identifikation, also ID-Systeme, reden - das Geschäft, das in den kommenden Jahren am deutlichsten zulegen wird.

CW: Welche Konsequenzen hat das für G&D?

BERCHTOLD: Die Stärke unseres Unternehmens war und ist es, dass wir in all diesen Segmenten vertreten sind - und das wir in Zukunft verstärkt auch auf das Lösungsgeschäft setzen. Insofern ist mir um die Zukunft nicht bange, wenngleich wir aktuell natürlich auch die eine oder andere Schwierigkeit zu meistern haben.

CW: Bei G&D wird derzeit in nennenswertem Umfang Personal abgebaut. Müssen Sie das tun, um den auch für das Geschäftsjahr 2002 versprochenen Profit im Chipkartengeschäft zu erreichen, oder gibt es dafür strukturelle Gründe?

BERCHTOLD: Wie Sie wissen, hatten wir im vergangenen Geschäftsjahr eine Sonderkonjunktur durch den Druck der Euro-Banknoten zu verzeichnen. Wir haben hier unsere Kapazitäten über befristete Beschäftigungsverhältnisse aufgestockt, die in diesem Jahr ausgelaufen sind. Wir sprechen über 340 befristete Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich. Zudem besetzen wir Stellen, die durch normale Fluktuation frei werden, nicht neu.

CW: Was verstehen Sie unter Lösungsgeschäft?

BERCHTOLD: Die Tatsache, dass es heute einfach nicht mehr genügt, nur irgendwo auf der Welt ein Produkt, zum Beispiel eine Chipkarte zu liefern. Sie müssen vielmehr, so wie wir es beispielsweise in Ägypten getan haben, als Generalunternehmer zusammen mit weiteren Technologiepartnern ein ganzes Projekt verantworten. In dem genannten Fall handelte es sich nicht nur um die Produktion neuer Personalausweise. G&D hat das komplette System zur Herstellung der Ausweise geliefert - von der landesweiten Datenerfassung der einzelnen Bürger, der Produktion der Ausweiskarten über die Personalisierung, bis hin zur Ausgabe der Ausweise und der Bereitstellung der Lesegeräte für die Ausweiskarte.

CW: Welchen Anteil wird das Lösungsgeschäft künftig bei Ihren Smartcard-Umsätzen haben?

BERCHTOLD: Einen signifikanten. Wir dürfen doch nicht die Augen vor den Realitäten verschließen. Als reiner Kartenlieferant haben Sie heute kein Alleinstellungsmerkmal mehr.

CW: Wie geht es denn Ihrer Ansicht nach in der besonders krisengeschüttelten TK-Branche weiter? Als Lieferant von SIM-Karten für GSM-Handys dürften Sie sicher auch ein großes Interesse daran haben, dass UMTS doch noch zu einem Erfolg wird.

BERCHTOLD: Das sehen Sie richtig. Wir haben natürlich auch als Kartenhersteller viel in UMTS-Technologie investiert und nicht vor, diese Gelder abzuschreiben. Ich bin da im Übrigen auch nicht so pessimistisch wie viele andere Zeitgenossen. Spätestens 2004 rechne ich damit, dass sich der UMTS-Zug in Bewegung setzt. Wir werden dann zwar immer noch nicht über die viel zitierte Killerapplikation reden, aber über viele Anwendungen im Consumer-Sektor, die dann vielleicht dem Zeitgeist eines neuen Aufschwungs entsprechen. Denken Sie nur an den Versand von Bildern via Handy. Insofern werden wir dann einen ganz normalen Technologiezyklus erleben.

CW: Der Zug soll sich Ihrer Auffassung nach auch noch in einem ganz anderen Bereich in Bewegung setzen, nämlich bei den Themen E-Government und E-Health. Vor allem in Ihrer Funktion als Vizepräsident des Bitkom rühren Sie hier seit geraumer Zeit die Werbetrommel, was Ihnen der eine oder andere Branchenbeobachter als puren Lobbyismus auslegt.

BERCHTOLD: Es ist die originäre Aufgabe einer Interessenvereinigung, Lobbyarbeit für die von ihr vertretenen Unternehmen zu machen. Ich bin hier aber nicht der Chefverkäufer von G&D - noch dazu, wo ich deutlich gemacht habe, dass es um weitaus mehr als nur eine Chipkarte geht. Es geht um die Belange der gesamten deutschen IuK-Industrie.

CW: Dann müssen Sie sich aber zumindest den Vorwurf gefallen lassen, dass die deutsche IuK-Branche derzeit den Eindruck erweckt, sie würde geradezu verzweifelt nach neuen Absatzmärkten suchen und dabei vor allem den Mittelstand und die öffentliche Verwaltung sowie das Gesundheitswesen entdecken.

BERCHTOLD: Auch dieser Theorie kann ich nichts abgewinnen. Die klassischen Märkte der IuK-Industrie haben noch genügend Potenzial - trotz der momentanen Krise.

CW: Warum wirbt der Bitkom dann mit einer solchen Vehemenz für einen "Masterplan E-Government", wo doch jedermann um die leeren Kassen von Bund und Ländern weiß?

BERCHTOLD: Wir müssen den Standort Deutschland effektiver machen. Es ist doch die Bundesregierung, die in ihrem Programm "Bund Online 2005" die jährliche Kostenersparnis auf rund 400 Millionen Euro beziffert, so dass sich die Investitionen des Projekts, die bei rund 1,6 Milliarden Euro liegen, bereits nach vier Jahren amortisieren würden. Und es ist die Bundesregierung, die 350 Anwendungen definiert hat, die zu einer signifikanten Effizienzsteigerung der Verwaltung beitragen würden. Insofern trifft der Vorwurf nicht zu.

Zur Person

Willi Berchtold ist seit 1. Oktober 1998 Vorsitzender der Geschäftsführung des Münchner Banknoten- und Chipkarten-Herstellers Giesecke & Devrient GmbH. Zuvor war er 20 Jahre für IBM tätig, zuletzt als Geschäftsführer der IBM Deutschland Informationssysteme GmbH und als General Manager für das gesamte Servicegeschäft. Gleichzeitig ist Berchtold Vizepräsident des IuK-Dachverbandes Bitkom seit dessen Gründung am 1. Januar 1999. Vor allem in dieser Funktion macht er sich für eine Modernisierung des Standorts Deutschland stark. Eines seiner zentralen Anliegen ist dabei ein Masterplan "E-Government", mit dessen Hilfe in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen mehr Effizienz Einzug halten soll. Als Geschäftsführer von G&D zeichnete er im Geschäftsjahr 2001 für einen Umsatz von rund 1,12 Milliarden Euro und einem Vorsteuergewinn von 62,0 Millionen Euro verantwortlich.

Abb: Smartcard-Markt bis 2005

Geht es nach den Auguren, wird in Zukunft vor allem der Markt für Personal-ID boomen. Quelle: Booz Allen Hamilton Analyse