Interview

"IBMs Vertriebsstruktur macht uns Sorgen"

07.03.1997

CW: Den typischen AS/400-Anwender sehen viele in der mittelständischen Industrie. Spiegelt sich das in Ihrer Mitgliederstruktur wider?

Hellriegel: Unsere Mitgliederschaft kann nicht an der Zuordnung zum Mittelstand festgemacht werden. Die AS/400 wird mittlerweile auch häufig in großen Konzernen eingesetzt, insbesondere an Substandorten und Tochtergesellschaften mittelständischer Größe. Deshalb gehören eigentlich alle namhaften deutschen Unternehmen zu unseren Mitgliedern.

CW: Sie haben auf der Common-Jahreskonferenz im November 1996 heftige Kritik an der Qualität des Betriebssystems OS/400, Version 3, Release 1 und 2, geübt. Hat IBM die Mängel inzwischen behoben?

Hellriegel: Unsere Kritik richtet sich in erster Linie auf systemnahe Programmprodukte, insbesondere auf "Client Access/400". Das Betriebssystem selbst hat zwar eine Reihe kleinerer Fehler aufgewiesen, zeigte aber zu keinem Zeitpunkt Schwächen operativer Art. Client Access weist jedoch Instabilitäten auf, die man zwar in der PC-Welt gewöhnt ist, nicht aber bei der AS/400. IBM ist sich dieser Fehler bewußt und dabei, die Client-Systeme zu verbessern. Die Probleme fallen fast immer in den PC-seitigen Elementen an. Dies liegt nach meiner Meinung auch an unzureichenden Betriebssystemen wie DOS und Windows. Auch mit OS/2 gibt es Schwierigkeiten.

CW: Könnten die Probleme mit einem Thin Client wie der von IBM angekündigten "Network Station" gemildert werden?

Hellriegel: Der Netzwerk-Client ist nicht nur bei der AS/400, sondern auch bei anderen Systemen ein Hoffnungsschimmer. Die traditionellen Host-Anwendungen mit einem zentralen Rechner und einer Vielzahl dummer Bildschirme waren das Stabilste, was es in der DV-Geschichte je gegeben hat. Sobald PC-Systeme angeschlossen wurden, gab es Probleme. Dieser Schwachpunkt kann durch eine Network Station ausgeschaltet werden.

CW: Etliche Anwender haben auf der Common-Konferenz lange Wartezeiten beim Support und eine ungenügende Beratung und Betreuung moniert. IBM hat inzwischen mit einem neuen Vertriebskonzept für den Mittelstand reagiert. Sind Sie damit zufrieden?

Hellriegel: Vertriebsorganisation und technischer Support sind zwei Paar Schuhe. Beim Softwaresupport hat IBM in den letzten Jahren einen enormen Personalabbau betrieben. Vorwiegend ältere Mitarbeiter, die das eigentliche Know-how hatten, sind ausgeschieden. Der Primärsupport wurde schon vor Jahren auf Telefon umgestellt. Bestimmte Probleme lassen sich aber am Telefon nur unzureichend schildern. Wenn dann noch ein mit Mängeln behaftetes Produkt wie Client Access den Support belastet, führt das automatisch zu Wartezeiten. Wir erwarten aber, daß die angekündigten Verbesserungen in Kürze greifen.

CW: Wie steht es mit der Vertriebsstruktur?

Hellriegel: Die Vertriebsstruktur macht uns in der Benutzerorganisation erhebliche Sorgen. Wir sehen hier eine ähnliche Situation, wie sie vor zehn Jahren schon einmal bestand, als IBM sogenannte Vertriebspartner einsetzte, die primär Softwarelösungen anboten und daneben auch die IBM-Hardware verkauften. Diese Partner hatten relativ schwache Systemkenntnisse. Im Prinzip wird dieses Konzept heute wieder aufgenommen, nur viel flächendeckender. Wir befürchten, daß sich die IBM damit gleichzeitig ihrer bisherigen Verantwortung als Generallieferant entzieht.

CW: Es geht der IBM also nicht um einen effizienteren Vertrieb, sondern um Kostensenkung?

Hellriegel: Ja, in unseren Augen ist es so. Es ist ja erstaunlich, daß es die IBM geschafft hat, binnen zwei Jahren aus einer relativ schlechten Situation wieder in die Gewinnzone zu kommen. Das Geheimnis war der Abbau von Personal. Damit geht zwangsläufig ein Qualitätsverlust einher.

CW: Common hat mit dem Requirement-Prozeß ein von der IBM anerkanntes Verfahren für Anwenderforderungen etabliert. Welche Änderungen verlangen die Anwender?

Hellriegel: Der weitaus größte Teil der Wünsche betrifft Details am Betriebssystem oder Betriebssystem-nahen Produkten. Auffällig ist, daß zum Thema Client-Server oder Client-Server-Entwicklung sehr wenige Vorschläge kommen. Der Grund liegt wohl darin, daß nur wenige Mittelständler und auch größere Unternehmen tatsächlich damit entwickeln. Ein sehr viel größerer Teil der Requirements betrifft traditionelle prozedurale 3GL-Sprachen, vor allem RPG.