Leichte Rückschläge im Hardwaregeschäft

IBMs schöne Fassade zeigt bei näherem Hinsehen Risse

16.05.1997

Vor einigen Jahren bereits totgesagt, hat IBM 1996 ein gutes Ergebnis geliefert: Der Umsatz wurde auf rund 76 Milliarden Dollar (plus 5,6 Prozent) gesteigert, und mit rund 5,3 Milliarden Dollar erzielte Big Blue einen sehr respektablen Gewinn (plus 20 Prozent). Analysten und Börse haben es mit Genugtuung zur Kenntnis genommen: Die Kehrtwende innerhalb von vier Jahren nach einem Verlust von rund acht Milliarden Dollar 1993 darf sich das neue Management als bemerkenswerte Leistung anrechnen lassen.

Eine der wesentlichen Entscheidungen der Mannen um Chairman Louis Gerstner war die Rücknahme des von internationalen Beraterfirmen beeinflußten Beschlusses, das Unternehmen in einer Vielzahl voneinander unabhängiger Einheiten zu führen. Gerstner integrierte die bereits zum Teil verselbständigten Bereiche wieder in ein gemeinsames Unternehmenskonzept. Die Rezentralisierung, die auch gegenüber den bis dahin relativ selbständig operierenden Auslandstöchtern praktiziert wurde, erwies sich als der richtige Weg.

Sieht man sich die IBM-Zahlen näher an, so zeigt sich, daß der Hardware-Anteil zurückgeht. Liegt er im US-Geschäft, wo der OEM-Anteil höher ist als anderswo, noch bei 50 Prozent, so ist er außerhalb der Vereinigten Staaten auf 45 Prozent gesunken. Dagegen liegt der Software-Anteil konstant bei rund 17 Prozent der Einnahmen, weist aber mit 68,7 Prozent eine weiter gestiegene Bruttomarge aus. Dies ist die deutlich profitabelste Sparte der IBM.

Ein anderes Verhältnis zeigt das Profil des Servicebereiches: Einer konstanten Wachstumsrate steht die insgesamt schwächste Bruttomarge gegenüber. Der Service generiert bereits im zweiten Jahr in Folge höhere Umsätze als der Softwaresektor, arbeitet aber durch die hohe Personalbindung nach wie vor defizitär. Eine höhere Gewinnspanne erzielte IBM im Wartungs-Business, dessen Umsätze sich jedoch rückläufig entwickeln. Offenbar geht die höhere Qualität des Equipments zulasten dieser Geschäftszweige.

Diese Tendenz korreliert mit den ebenfalls rückläufigen Verkaufszahlen im Server-Geschäft, und innerhalb dieses Segmentes mit der Ausmusterung wartungsintensiver Alt-Mainframes, die allmählich durch CMOS-Maschinen ersetzt werden. Konstant zeigt sich auch das Finanzierungsgeschäft, das die zweithöchste Bruttomarge bietet.

Aufgeschlüsselt nach Regionen stellten die USA und Asien im vergangenen Jahr die wichtigsten Wachstumsmärkte für die IBM dar. Das Geschäft auf dem amerikanischen Kontinent außerhalb der USA verlief konstant, während sich Europa als das problematischste Glied im internationalen Verbund erwies. Hier gingen sowohl Umsatz als auch Ertrag gegenüber dem Vorjahr zurück.

Im Servicegeschäft wächst IBM ohne große Gewinne

Wie ist nun das IBM-Ergebnis zu interpretieren? Grundsätzlich zeigt sich, daß der Produktumsatz einschließlich Hardware, Software, Wartung und Produktfinanzierung konstant geblieben ist. Wachstum wurde in erster Linie durch den Servicebereich bewirkt. Allerdings ließen sich hier keine großen Gewinnspannen erzielen, da der Personalkosten-Anteil offenkundig zu hoch ist. Für das IBM-Geschäft ist dieser Bereich also derzeit nicht wegen seines Ertragsbeitrags, sondern wegen der möglichen langfristigen Kundenbindung interessant. Dennoch dürfte Big Blue in Zukunft mehr Gewicht auf die Profitabilität des Servicegeschäfts legen - dies gilt besonders für großvolumige Outsourcing-Verträge.

Die Kategorien Software, Wartung und Finanzierung weisen zwar die höchste Profitabilität aus, sind aber tendenziell Mainframe-abhängig und daher einer zunehmenden Erosion ausgesetzt. Mit Netzwerk- und Client-Server-Computing, in das gegenwärtig und in naher Zukunft beim Anwender die meisten Investitionen fließen, lassen sich nicht solch hohe Umsätze erzielen wie mit Großrechnersoftware, -wartung und -finanzierung.

IBMs Strategie muß daher zwangsläufig darauf ausgerichtet sein, die etablierte Basis möglichst lange zu erhalten; zumindest so lange, bis die in Leasingverträgen gebundene Technik abgeschrieben ist. Erst dann sind, wenn überhaupt, von IBM signifikante Technologieschübe im Server-Bereich zu erwarten.

Auch im Hardwaregeschäft muß IBM auf der Hut sein: Der klassische Mainframebereich bröckelt in jeder Hindsicht. Am oberen Ende der Leistungsskala interessieren sich die Großkunden zunehmend für die leistungsstarken Skyline-Maschinen von Hitachi/Comparex, am unteren Ende machen NT-orientierte Server-Firmen der IBM angestammtes Terrain streitig. Eigentlich müßte die IBM ihre 100-MIPS-CMOS-Prozessoren schneller auf den Markt bringen, als es das eigene Leasingportfolio verkraften und die Techniker unter Umständen entwickeln können.

Durch den Umstieg auf CMOS-Technologie hat die IBM bei ihren Mainframe-Kunden einen Umsatzrückgang von zehn Prozent hinnehmen müssen. Die Freude mancher IBMer, daß der Mainframe als Server eine Renaissance erfährt, ist zwar sachlich nicht unbegründet, doch deutlich höhere Steigerungsraten wären nötig, um aus dieser Tendenz finanzielle Vorteile zu erzielen.

Die Frage, in welchen Regionen IBM in Zukunft das stärkste Wachstum zu erwarten hat, ist leicht zu beantworten: Als kontinuierlichem Wachstumsmarkt kann Big Blue vor allem mit Asien rechnen, doch auch im amerikanischen Heimatmarkt hat das Unternehmen weiter gute Karten - nicht zuletzt durch die Aufhebung der Antitrust-Bestimmungen (siehe Seite 38).

Trotz traditionell starker Präsenz hat IBM gegenwärtig und wohl auch in naher Zukunft die größten Schwierigkeiten in Europa. Die Betreuung des heterogenen Marktes ist nicht bewältigt worden: Globalisierung wurde nicht aus der Sicht der europäischen Kunden, sondern aus der des amerikanischen Lieferanten definiert.

IBM übertrug den amerikanischen IT-Konformismus eins zu eins auf Europa, wo jedoch ein weitaus vielfältigeres Verständis von Informationstechnik vorzufinden ist. Während der gesamte Markt um zehn Prozent wuchs, ging IBMs Resultat absolut zurück. IBM mußte in einigen Segmenten einen deutlichen Verlust an Marktanteil hinnehmen.

Dazu mag auch der Dienst am Kunden beigetragen haben, der bei der IBM in den vergangenen Jahren gelitten hat. Während sich die größten Kunden noch der gelegentlichen Betreuung durch einen international zuständigen Topmanager erfreuen, gehen Mittel- bis Großkunden leer aus, Kleinkunden werden an Vertriebspartner verwiesen. IBM muß aufpassen, in puncto strategischer Vorgaben nicht weiter Akzeptanz beim Kunden zu verspielen und zu einem bloßen Produktlieferanten abzusinken.

Allen Problemen zum Trotz ist das Jahr 1996 für die IBM letztendlich gut gelaufen. Dennoch wird Big Blue seine Geschäftspolitik in Europa neu überdenken müssen. Hoffnungen darf der IT-Mogul auf den Servicebereich setzen, da vor allem mittlere und kleinere Anwender der Komplexität vernetzter Umgebungen Tribut zollen und Outsourcing-Leistungen beziehen müssen.

Die Anzahl wirklich originärer IBM-Erzeugnisse dürfte zurückgehen, der Anteil zugekaufter Produkte mit IBM-Label dagegen steigen. CMOS, RISC und Intel werden die tragenden Chiparchitekturen sein. Im Client-Server-Bereich hat sich der Power-PC-Chip nicht durchgesetzt, so daß die IBM hier wohl oder übel verstärkt auf Intel setzen muß.

AS/400-Geschäft bleibt stabil

Das Geschäft mit der AS/400 dagegen bleibt nach der Umrüstung auf RISC-Prozessoren stabil und könnte sogar weiter wachsen. Mit einem stärkeren Nachfrageschub für ihre CMOS-Technologie kann IBM erst rechnen, wenn die Altportfolien bei den Kunden abgeschrieben sind.

Wie an den Intel-Prozessoren wird IBM auch an Microsofts Windows NT nicht vorbeikommen, aber mit einer konsequenten Java-Strategie versuchen, die Betriebssystem-Diskussion zurückzudrängen. Über OS/2 dürfte in Armonk nicht mehr viel geredet werden.

Ob IBM im Internet- und Intranet-Geschäft erfolgreich sein kann, ist noch nicht absehbar. Hier könnte der Computergigant frühzeitig angreifen, nachdem man im Client-Server-Rennen gegen Microsoft wegen der teilweise ideologisch begründeten Großrechnerbindung viel Zeit verloren hatte.

*Ulrich Dickamp ist Geschäftsführer der UDM Unternehmensberatung für Informationstechnologie GmbH in Frankfurt am Main.