IBMs Rückzug vom Heimcomputermarkt

29.03.1985

Die IBM Corp. hat dem neckischen Spiel ein Ende bereitet. Der PC jr. IBMs Kleinster, wird nicht mehr produziert (Seite 1). Angesichts der hohen Lagerbestände als Folge des schleppenden Junior-Geschäftes war diese Entscheidung konsequent. US-Analysten glauben indes nicht an einen endgültigen Rückzug des Rechnerriesen aus dem Heimcomputerbereich. Sie vermuten vielmehr, daß Big Blue nur andere Optionen zur Erschließung neuer Märkte nutzen will.

Mag sein. Der "Baustopp" des PC jr. bringt IBM sicherlich keine Nachteile. Ganz in diese Interpretation paßt die Aussage der IBM Corp., daß die Produktionseinstellung keinen Einfluß auf das Geschäftsergebnis im ersten Quartal 1985 habe. Amerikanische Wirtschaftsblätter beeilen sich denn auch, hinzuzufügen, daß die PC-Verkäufe insgesamt für den Mainframe-Marktführer "Peanuts" seien.

Die Wortspielerei liegt nahe: "Peanut" war bekanntlich der IBM-interne Codename für den Junior-PC. Andererseits hat gerade die amerikanische Wirtschaftspresse viel dazu beigetragen, daß der "Personal Computer" zur Wunderwaffe der IBM hochgejubelt wurde. Man versteht diejenigen, die sich nun von dem Rückzug überrascht zeigen. Nicht alle können so schnell vergessen, wie verbissen die IBM-Strategen um ein besseres Image des PC jr. kämpften und den Erfolg geradezu herbeiredeten.

Doch die IBM hatte offensichtlich keine Strategie. Darüber läßt sich, auch aus deutscher Sicht, trefflich streiten. Die Stuttgarter haben den PC-Filius bekanntlich nicht im Programm, womöglich allein deshalb nicht, weil sie keine passende Produktbezeichnung finden konnten.

Die "blauen" Verkäufer reden mit vielen Zungen. Daß der Personal Computer zu den strategischen IBM-Produkten gehört, wie das System /36 und die 308X-Mainframes, wird nicht nur von Wirtschaftsjournalisten geglaubt. Was etwa unabhängige System- und Softwarehäuser sowie Fachhändler dem Marketinggenie IBM als Strategie zum Marktmachen honoriert haben, würden sie vermeintlich "unsicheren Kantonisten" wie Apple oder Commodore nie nachsehen.

Eine Watschen für die Third-Party-Branche wäre es schon, Big Blue würde den PC-Löffel freiwillig hinschmeißen. Ein solider Anlaß wäre gegeben, wenn sich die Kisten nicht in ausreichenden Stückzahlen verkaufen ließen. Der Anlaß scheint gegeben. Nicht nur im Heim computer-Busineß. Auch im MDT-Markt tut sich der PC-Primus schwer. Im Massenmarkt der Stand-alone-Systeme ist die Automatik (Stichwort: drei Buchstaben) dahin. Auf den Dezentralisierungstrend (Mikro-Mainframe-Kommunikation) muß man nicht hinweisen: Schnee von gestern (DDP!) - für Mother Blue freilich das Butterbrot der frühen und der späten Jahre.

Die IBM weiß das. Marktbeobachter, die den Multi kennen, wissen das auch. Von einer "Alles-oder-nichts-Position", von einer Schlüsselrolle gar des PC für die IBM-Politik kann nicht die Rede sein. Zitat: "Wenn der Großrechnergigant heute den PC-Laden dichtmachte, dann hätte dies nur geringe Auswirkungen auf die Gesamtsituation des Unternehmens, das von seinen Dickschiffen lebt. Werbeträger Charlie Chaplin wäre beschäftigungslos, Karl. E. Michel, in Stuttgart zuständig für das PC-Marketing, könnte die Zeit bis zum Vorruhestand in Ruhe aussitzen - das wär?s denn auch."

(CW Nr. 25 vom 15. Juni 1984, Kolumne).

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.