Im Personal-Computer-Markt vollzieht sich der Bereinigungsprozeß schneller als erwartet:

IBMs "PC Junior" kommt - Texas Instruments geht

11.11.1983

MÜNCHEN - Mit der Ankündigung ihres Niedrigpreis-Mikros "PC-Junior" (Codename "Peanut") läutete IBM jetzt eine neue Runde im derzeitigen Catch-as-chatch-can amerikanischer Personal-Computer-Anbieter ein. Von einschneidenden Verlusten bereits seit längerem gebeutelt, zieht sich Texas Instruments gleichzeitig aus dem Homecomputergeschäft zurück. Während rund ein Dutzend anderer PC-Produzenten mit Ertragseinbrüchen kämpfen und Branchengrößen wie Atari und Commodore Lieferengpässe verzeichnen, beantragt mit der Computer Devices Inc. ein weiterer Hersteller Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des US-Konkursrechtes.

Der von Marktbeobachtern prognostizierte Ausleseprozeß in dem von Positionskämpfen gekennzeichneten Personal-Computer-Geschäft tritt offensichtlich schneller ein als erwartet. Auf der Liste krisengeschüttelter PC-Hersteller kommt beinahe wöchentlich ein neues Unternehmen hinzu. Daß IBM es mit ihrem PC Junior (PC JR) in diesem Gerangel erneut schaffen wird, einen Markt aus den Angeln zu heben, wird von Branchenanalysten geradezu als zwangsläufig angesehen. Dabei birgt die neue Low-cost-Maschine Big Blues keineswegs technologische Überraschungen. Der ab Frühjahr 1984 zunächst nur in den USA verfügbare Rechner wurde von der in Los Angeles ansässigen Teledyne Inc. gefertigt und ist in seiner Basisversion mit einem 64-KB-Speicher ausgerüstet. Das Keyboard (62 Tasten) funktioniert kabellos mit einem Infrarot-Empfänger und ist individuell programmierbar. Der Preis für das Grundgerät beträgt 669 Dollar.

Die größere JR-Version besitzt einen 128-KB-Speicher und arbeitet unter dem Betriebssystem PC-DOS (Release 1.2). Sie soll 1269 Dollar kosten. Beide Rechner basieren auf dem Intel-Prozessor 8088. Wie von der IBM verlautet, sei der unter dem

Codenamen "Peanut" seit längerem erwartete PC Junior sowohl für den Heim- und Schulgebrauch als auch für kommerzielle Anwendungen in der Umgebung der anderen PCs des Marktführers vorgesehen.

Mit den neuen Produkten begibt sich der Branchenprimus in ein Marktsegment, das bislang vorrangig von Anbietern wie Apple, Commodore, Tandy oder Texas Instruments bedient wurde. Preislich wird der Junior direkt mit dem kürzlich eingeführten .,Adam" von Coleco, dem Apple IIe und dem Tandy-Modell 4 konkurrieren.

Amerikanische Marktwatcher gehen davon aus, daß es in der "Lowcost-Riege" der Personal-Computer-Hersteller schon bald noch erheblich turbulenter zugehen werde. Als erster namhafter Anbieter warf bereits Texas Instruments das Handtuch Der US-Halbleiter-Produzent machte im dritten Quartal seines laufenden Geschäftsjahres einen Verlust von 337,9 Millionen Dollar, der sich lediglich durch eine Steuergutschrift. von mehr als 200 Millionen Dollar Zt. einem Nettoverlust von immerhin noch rund 110 Millionen Dollar reduzierte. Wie die Texaner mitteilen, hänge dieser Einbruch überwiegend mit den "enttäuschenden Ergebnissen" im Homecomputer-Geschäft zusammen.

Um weitere Verluste zu vermeiden, stellte das Unternehmen inzwischen die Produktion ihres TI 99/4A ein und bietet nun die Rechner zu Schleuderpreisen an. Kostete der TI-Mikro nach zwei vorangegangener Preissenkungen in Deutschland unlängst noch rund 500 Mark, so wird er von einigen Kaufhäusern inzwischen für unter 300 Mark verhökert In den USA gehen TI-Systeme gar schon für 20 bis 70 Dollar über den Ladentisch. Drastische Preisreduktionen werden auch bei der Software verzeichnet.

Obwohl TI-Beobachter mit rund 4000 Entlassungen rechnen, reagierte die New Yorker Börse auf den Produktionsstop der Texaner positiv: Das Unternehmen konnte einen Kursanstieg seiner Aktie von 22,75 auf 124 Dollar verbuchen.

Das Gerangel um Marktanteile im nach wie vor vielversprechenden PC-Busineß zwingt auch noch andere Hersteller in die Knie. Nach Osborne beantragte jetzt die Computer Devices Inc. (CD) in Burlington (Mass.) Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Konkursrechtes. Dieter Kohnert, Geschäftsführer des deutschen CD-Distributors Comko GmbH (Köln) begründet den Kollaps seines neuenglischen Lieferanten mit dem Bau eines Super-Werkes", in dem die Mikros in einem vollautomatisierten Prozeß "nur so hinten rausfallen". Die Errichtung dieser Produktionsstätte habe "Unsummen" geschluckt und die Auslieferung neuer Produkte verzögert. Ärgert sich Kohnert: .Die Distributoren mußten fast ein Jahr lang warten, bis die verfrüht angekündigten Rechner vermarktet werden konnten." Inzwischen feuerten die Kapitalgeber neben CD-Präsident Seaforth M. Lyle nahezu das gesamte Management, vornehmlich bestehend aus Ex-Digital-Equipment-Leuten, die erst im letzten Jahr eingestellt wurden.

Blessuren im zunehmend härteren Mikro-Fight hat auch die Tandy Corporation abbekommen. Trotz zufriedenstellender Quartalsergebnisse sackte der Aktienkurs des PC-Anbieters jetzt um 15 Prozent, nachdem bekannt wurde, daß der Absatz im Oktober nur um zehn Prozent gestiegen sei.

Tiefere Wunden wurden aber offensichtlich der britischen Dragon Data geschlagen, einer Tochter des Spielzeugherstellers Corgy Toy. Wie Herbert Pensel, Geschäftsführer des deutschen "Drachen"-Händlers Norcom GmbH in Nürnberg erklärt, seien die Engländer in eine illiquide Situation geschlittert, nachdem der Absatz in den Sommermonaten massiv zurückgegangen war. Ein "Hilfspaket" soll nun Dragon Data wieder auf Vordermann bringen.

Als Folge von Problemen bei der Vermarktung ihrer Homecomputer ist auch die amerikanische Mattel Corporation, ein anderer weltweit führender Spielzeugfabrikant, in eine Absatzkrise geschlittert. US-Presseberichten zufolge halten die Hausbanken eine "finanzielle Reorganisation" (Chapter 11) nicht für ausgeschlossen. Ein Konkursanwalt sei bereits angeheuert. Der Mattel-Verlust belief sich im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres nach Steuern auf rund 176 Millionen Dollar. Vor Steuern habe die Gesellschaft vermutlich über 200 Millionen Dollar eingebüßt, heißt es in Börsenkreisen.

Federn lassen mußte auch Warner Brother, dessen Atari-Division in den letzten neun Monaten 356 Millionen Dollar verloren hat. Erst vor wenigen Wochen hatte Atari-Präsident John Cavalier mit einem weiteren hochdotierten Manager das Unternehmen verlassen, um als Vice-President bei Apple anzuheuern. Mit dem Weggang des Firmen-Leaders scheinen aber die Probleme des kalifornischen PC-Herstellers keineswegs beseitigt. Atari kann wegen Produktionspro blemen in ihren Werken in Hongkong die vorliegenden Weihnachtsbestellungen für die neu angekündigten Personal Computer 600 XL und 800 XL lediglich zu 60 Prozent erfüllen.

Vor ähnlichen Schwierigkeiten steht auch Commodore. Seit das Unternehmen die Preise für sein System 64 von 595 auf 193 Dollar herunterschraubte, könne die Nachfrage nicht mehr befriedigt werden. Da Commodore in den letzten Monaten eines Jahres zwischen 40 und 50 Prozent seines Umsatzes abwickle könnten Lieferprobleme nach Ansicht von Industriebeobachtern zu nachteiligen Auswirkungen führen. Vor allem, weil der PC-Anbieter durch die Aufgabe von Texas Instruments derzeit die Chance nutzen könne, sich zusätzliche Marktanteile zu sichern.

Ins Gerede gekommen ist Commodore aber weniger durch den Lieferengpaß als vielmehr durch jüngste Branchengerüchte. Nach Aussagen von Händlern sollen 20 bis 30 Prozent der verkauften Geräte von den Kunden mit Defekten zurückgebracht worden sein. Commodore dementiert und spricht von Einzelfällen sowie von "ungenauen Beschwerden" einiger schlecht versorgter Wiederverkäufer. Diese seien nicht stärker beliefert worden, weil sie mit Zahlungsverpflichtungen im Rückstand lägen. Die Börse reagierte auf die Vorwürfe der Händler prompt: Die Commodore-Aktie fiel um 20 Prozent. Unterdessen ist jedoch eine spürbare Erholung des Kurses eingetreten. Der neuernannte Vice-President und Commodore-Europachef Harald Speyer ist erbost: "Die uns vorgeworfenen Qualitätsprobleme entbehren jeglicher Grundlage.' Es gebe weder in den USA noch in Deutschland derartige Schwierigkeiten.

Dementiert wurden andererseits auch Berichte, nach denen eine überdurchschnittlich hohe Zahl des von der Bostoner Coleco Industries Inc. vertriebenen Homecomputers "Adam" Defekte zu verzeichnen habe. Gerüchte, nach denen die Auslieferungen der Gesellschaft den Erwartungen nicht entsprachen, blieben unbestätigt.

Sicher scheint indes, daß Victor Business Products, die den einst erfolgreichen Sirius vertreibt, augenblicklich tief in der Tinte sitzt. Mußte das Unternehmen, das inzwischen 1500 von ehemals 2900 Mitarbeitern entließ, noch vor wenigen Wochen seine Umsatzzahlen korrigieren, so kennzeichnen erneute Einbrüche das Victor-Geschäft. Zweifel seien auch daran aufgekommen, sagen Börsianer, daß der mit 44 Prozent beteiligte Mischkonzern Kidde Inc. noch bereit sei, weitere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Der US-Multi (Jahresumsatz: drei Milliarden Dollar) wurde von den Victor-Managern bislang gern als kapitalstarker Lebenshelfer dargestellt. Wie der PC-Anbieter mitteilt, habe sich nun ein Gläubigerkonsortium gebildet, mit dem über einen Plan zur Rückzahlung der bestehenden Verbindlichkeiten verhandelt werde.

Die Schlechtwetterfront im Personal-Computer-Geschäft hat auch Auswirkungen auf PC-Marktführer Apple gehabt. Der einstige Branchen-Highflyer mußte trotz eines akzeptablen Jahresabschlusses Einbußen im vierten Quartal des am 30. September ausgelaufenen Geschäftsjahres hinnehmen. Die Kalifornier konnten in diesem Schlußquartal nur noch 5, I Millionen Dollar erwirtschaften, gegenüber 18,7 Millionen Dollar im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Bei Mini-Marktführer Digital Equipment ist die Ertragslage beim PC-Vertrieb unverändert schlecht, wie das Unternehmen mitteilte. Uhrenanbieter Timex klagt ebenfalls über Absatzschwierigkeiten bei der Personal-Computer-Vermarktung. Bei dieser Vielzahl von Hiobsbotschaften erhalten positive Meldungen aus dem Personal-Computer-Markt bereits Seltenheitswert: So fanden sich dem Vernehmen nach jetzt zwei ernsthafte Interessenten für eine Übernahme der angeschlagenen Osborne Computer Corporation. Während offizielle Stellen des Unternehmens bislang nur den kanadischen Osborne-Anbieter Lanpar Technologies Inc. nennen, will der deutsche Statthalter des kalifornischen PC-Produzenten, Sepp Hatzl, wissen, daß sich außerdem noch eine "Inhouse-Gruppe" von privaten Kapitalgebern gebildet habe. Wie Hatzl versichert, solle im Zusammenhang mit der Finanzspritze in den nächsten Tagen das gesamte amerikanische Osborne-Management, einschließlich des Firmengründers Adam Osborne, ausgewechselt werden.