Aufteilung in Rechnerklassen löst die Probleme nicht

IBMs neue Server-Strategie lässt die Anwender kalt

03.03.2000
MÜNCHEN/WIEN (wh) - Mit der Aufteilung in drei Rechnerklassen versucht IBM, seiner kränkelnden Server-Sparte neues Leben einzuhauchen. Damit einher geht eine Umstrukturierung der Vertriebsorganisation. IT-Verantwortlichen helfen diese Maßnahmen wenig, kritisiert die IBM-Benutzervereinigung Guide Share Europe.

Einmal im Jahr, so scheint es, präsentiert IBM der Öffentlichkeit eine neue Server-Strategie. Angesichts enttäuschender Finanzergebnisse sahen die US-Manager offenbar Handlungsbedarf. Die jüngsten Überlegungen haben zu einer Unterteilung in drei Klassen geführt: Data- oder Transaction-Server, Portal- oder Web-Server und so genannte Special-Function-Server (siehe Grafik).

Auf den Maschinen der ersten Kategorie sollen Unternehmen geschäftskritische Anwendungen fahren, erläuterte Europachef Mike Lawrie auf einer Konferenz der Benutzervereinigung Guide Share Europe (GSE) in Wien. Dazu zählt er etwa Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme, Supply-Chain-Management-(SCM-) oder Customer-Relationship-Management-(CRM-)Software.

Etwas überraschend positioniert IBM in dieser Klasse nahezu die gesamte Server-Palette: S/390-Großrechner, AS/400-Server, Highend-Modelle der RS/6000-Familie ("S80"), Sequents Numa-Q-Server sowie die Intel-basierten "Netfinity"-Rechner.

In der zweiten Klasse der Web- oder Portal-Server finden sich die Midrange-Varianten der RS/6000-Linie, Netfinity-Server unter Windows NT und Linux sowie speziell für Web-Serving-Aufgaben ausgelegte Rechner wie die Pizzazz-Rechner. Dabei handelt es sich um eine Lowend-Variante der RS/6000 unter IBMs Unix-Derivat AIX. Unter dem Begriff Special Function Server versteht der Hersteller in erster Linie Speichersysteme wie die "Shark"-Disk-Arrays und spezielle Rechner für Aufgaben wie Web Caching oder Datei- und Druckdienste.

Stefan Auer, President der GSE bezweifelt den Nutzen dieser Klassifizierung. "Das ist jetzt einfach mal wieder nett verpackt. Nach wie vor ist nichts gelöst. Die IBM hat offensichtlich noch immer das Problem: Wo packt sie welche Systeme hin?" Die Ausführungen Lawries deutet er so: Im Bereich der Web-basierten Lösungen präferiere der Hersteller offenbar Unix-Systeme. Daneben definiere IBM eine Kategorie mit sehr starkem Daten- und Transaktionsverkehr und hohen Anforderungen an die Verfügbarkeit. "Hier hätte man nun eigentlich einen anderen Server erwartet", wundert sich Auer. "Aber die IBM schreibt auch in der Klasse der Transaktions-Server wieder sämtliche Plattformen nebeneinander (...) Aus der Vielfalt der Rechnerlinien hat man jetzt drei Bubbles gemacht."

Aus Sicht der Anwender stünden ganz andere Fragen im Vordergrund, kritisiert der GSE-Vertreter. "Unsere Mitglieder würde vielmehr interessieren: Was sagt die IBM jetzt in meinem konkreten Fall? Welches ist der Server der Wahl? Wo habe ich die beste Kontrolle über das System? Wie realisiere ich ein bestimmtes Projekt unter Einbindung der gesamten Infrastruktur?"

Die Einteilung in Server-Klassen geht einher mit einer Umstrukturierung der Vertriebsorganisation: IBM hat die bisherige Gliederung nach Produktgruppen (S/390, AS/400, RS/6000) zugunsten einer Ausrichtung an Teilmärkten aufgegeben. Seit Januar 2000 sind Vertriebsgruppen für die Segmente Enterprise Systems, Midmarket und das Web-Server-Geschäft eingerichtet, berichtet Francis Kuhlen, Vice President Enterprise Systems Sales Central Region. Im Enterprise-Systems-Markt betreut der Hersteller Großkunden direkt. In der Central Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) sind dies etwa 160 Unternehmen, weltweit rund 1500. Kleinere Firmen sind im Midmarket-Segment zusammengefasst und sollen über Partner bedient werden.

Die größten Wachstumschancen rechnet sich Kuhlen im Web-Server-Geschäft aus. Hier wolle man auch Marktanteile von Konkurrenten wie Sun Microsystems gewinnen. Vom Wettbewerb unterscheiden möchte sich die IBM zum einen durch die Skalierbarkeit der Rechnersysteme, ein Argument, das sich freilich auch Sun auf die Fahnen geschrieben hat. Angesichts des rasanten Wachstums vieler Web-Companies sei dies ein entscheidender Vorteil, glaubt der Vertriebs-Manager. Zum anderen zähle auch die hohe Verfügbarkeit der Server zu den traditionellen Stärken IBMs. Erfahrungen aus dem Mainframe-Sektor habe man in andere Bereiche wie die RS/6000- oder Netfinity-Rechner übernommen.

Als Gründe für die Umstrukturierung gibt Kuhlen altbekannte Probleme der IBM an. Mit der produktbezogenen Vertriebsorganisation sei es häufig zu Konflikten zwischen den Verkäufern der einzelnen Server-Sparten gekommen. In der neuen Struktur, die eine plattformübergreifende Beratung durch IBM-Mitarbeiter oder Partnerfirmen vorsieht, würde dies vermieden.

Die Einsicht ist indes alles andere als neu. Im Rahmen der Bemühungen um eine einheitliche Server-Strategie bastelt IBM schon seit Jahren an diesen Problemen. Elke Preuss-Giangarra, Vorgängerin von Vertriebschef Kuhlen, hatte erst im November 1999 Defizite im Server-Vertrieb eingeräumt (siehe CW 41/99). Mit der Einführung so gennanter Server Solution Manager (SSM) sollte Abhilfe geschaffen werden. Für die wichtigsten Kunden in Deutschland werde es künftig nur noch einen Ansprechpartner geben, der über Plattformgrenzen hinweg beraten soll, hatte Preuss-Giangarra angekündigt. S/390-Großrechner, RS/6000-, AS/400- und Netfinity-Server würden demzufolge aus einer Hand angeboten. Kuhlen sieht darin keinen Widerspruch zu den jüngsten Maßnahmen. Die veränderte Vertriebsstruktur bezeichnet er als Fortführung des SSM-Konzepts.

GSE-Vertreter Auer sieht auch diese Bemühungen kritisch: "Das funktioniert nicht. Solche Investitionsentscheidungen hängen ja nicht nur an der Maschine, sondern an der gesamten Umgebung, das heißt an den vorhandenen Applikationen, am verfügbaren Personal und dessen Qualifikation".

Das alte Problem der IBM, einen Kunden mit mehreren Vertriebsbeauftragten aus verschiedenen Server-Sparten zu bedienen, stellt sich laut Auer ohnehin nicht mehr. "Als normaler Kunde kriegen Sie diese Betreuung sowieso nicht mehr. Die IBM kümmert sich vorwiegend um die Large Accounts. Alles andere sollen die Partner erledigen." Unter den GSE-Mitgliedern werde diese Strategie heftig diskutiert. Auer: "Wenn es die IBM mit ihren riesigen Ressourcen schon nicht schafft, den Kunden diese breit angelegte Beratung zukommen zu lassen, wie sollen das dann erst die viel kleineren Partner machen?"

Trotz aller Kritik erscheinen die Maßnahmen IBMs dringend notwendig. Im vierten Quartal 1999 musste das Unternehmen im Server-Geschäft einen Umsatzrückgang um 33 Prozent hinnehmen. Der Gewinn brach sogar um 73 Prozent ein. Der große Rivale Sun konnte im gleichen Zeitraum 27 Prozent mehr Einnahmen verbuchen. Insbesondere das Server-Geschäft mit Internet-Companies habe dazu beigetragen, so der kalifornische Hersteller.

"IBM hatte in der Vergangenheit Probleme mit Produkten, die untereinander konkurrierten", kommentierte Thomas Bittman, Analyst bei der Gartner Group gegenüber dem "Wall Street Journal". "Die Organisationsstruktur verschärfte diese Konkurrenzsituation". Jay Stevens von der US-amerikanischen Buckingham Research Group schätzt die Situation ähnlich ein: "Das war schon immer IBMs Problem", so der Analyst mit Blick auf die rivalisierenden Vertriebs-Teams. "IBM muss einiges in der Server Group verändern, um wieder Wachstum verzeichnen zu können."

Abb.: IBM teilt seine Server-Plattformen jetzt in drei Klassen ein. Die Vertriebs-Teams sind nicht mehr nach Produktgruppen, sondern nach Marktsegmenten gegliedert. Quelle: CW