An TCPIP führt auch für Big Blue kein Weg vorbei

IBMs Networking Division entdeckt die offenen Welten

18.10.1996

Als historischen Moment bezeichnete Lothar Mackert, Leiter Marketing und Vertrieb Netzwerkprodukte bei der IBM Deutschland, auf dem "Netzwerktag" in München die Neuerscheinungen seines Hauses. Noch nie in der Firmengeschichte habe IBM so viele Neuankündigungen an einem Tag vorgenommen.

Doch wichtiger als die Quantität der Neuerscheinungen war eine andere Botschaft: IBM, die offene Networking-Company. Das Unternehmen schreibt sich nun die Unterstützung offener Welten und gängiger Technologien auf seine Fahnen. So gehört in Armonk nun auch endlich TCP/IP zum guten Ton, und man verspricht dem Anwender die Koexistenz zwischen TCP/IP- und SNA-Welt. Allerdings dürfte dieser Schritt weniger aus innerer Überzeugung erfolgt, als vielmehr durch die Macht des faktischen, sprich den durchschlagenden Erfolg des TCP/IP-Protokolls im Markt, erzwungen worden sein.

Dementsprechend wurde die Company auf dem Netzwerktag nicht müde, die Vorteile der eigenen SNA-Welt gegenüber dem TCP/IP-basierten Internet zu betonen. Aus IBM-Sicht spricht für SNA vor allem der verbindungsorientierte Aufbau, gepaart mit verläßlichen Antwortzeiten sowie der Möglichkeit, einzelnen Verbindungen Prioritäten zuzuweisen. Ein weiteres Plus für SNA sieht man in den im Vergleich zu TCP/IP-Umgebungen besseren Management-Möglichkeiten. Alles Eigenschaften, die zwar auch bei TCP/IP Einzug halten werden, doch erst mit der Protokollversion 6.0, so die IBM-Interpretation. Folglich, behauptete Antoine Granatino, General Manager Networking Marketing und Sales bei IBM Europe, sei das IP Next Generation auch keine Fortschreibung des klassischen TCP/ IP-Protokolls, sondern ein neues Protokoll, "das wir auch SNA II taufen könnten".

Doch nicht nur in Sachen TCP/IP folgt die geläuterte IBM der Marktentwicklung. Mittlerweile unterstützt der Konzern auch Ethernet-Konkurrenz zum hauseigenen Token Ring. Mit dieser Haltung hatte Big Blue erst kürzlich für Verwirrung gesorgt, als das Unternehmen der Gigabit Ethernet Alliance beitrat. Der Vermutung, IBM wolle womöglich als Wolf im Schafspelz eine zu rasante Entwicklung des schnellen Ethernet bremsen, widersprachen Konzernvertreter in München heftig. Grund für das Engagement sei lediglich, daß den Kunden ein One-Stop-Shopping ermöglicht werden solle - ansonsten bleibe für IBM ATM die strategische Netztopologie der Zukunft. In diesem Zusammenhang preist man vor allem die Multimedia-Eignung, die das zellbasierte Verfahren vor anderen Technologien auszeichne.

Was den derzeitigen Disput in Sachen Routing versus Switching anbetrifft, fährt die Company ebenfalls zweigleisig. Während IBM mit ersten Produkten das eigene Konzept des Switched Virtual Network (SVN) mit Leben erfüllte, stellte das Unternehmen gleichzeitig einen Router für unter 1200 Dollar vor.

Die Netzwerker bevorzugen aber klar das Switching-Verfahren, da dieses auf Layer 2 des OSI-Schichtenmodells basiert und daher eine bessere Performance bietet als Router, die protokollabhängig auf der Ebene 3 arbeiten.

Auf Produktebene läßt sich IBMs Ankündigungsorgie am ehesten als eine Sammlung von Edge-Devices bezeichnen, mit denen das Unternehmen vom Kernnetz beziehungsweise Backbone-Bereich nun an die Ränder der Campusnetze vordringt. Dabei zielt die Strategie in zwei Stoßrichtungen: Angestrebt ist eine ATM-Offensive im LAN- und Campus-Bereich, sowie eine verbesserte Connectivity im WAN.

Um zusätzliche Protokolle zu integrieren und einen nahtlosen Anschluß an die Weitverkehrsnetze zu realisieren, erhielten fünf WAN-Produktfamilien Zuwachs: Einen Übergang zur Multiprotocol-Switched-Services-(MSS)-Umgebung bietet der "2216 Nways Multiaccess Connector 400", der alle wichtigen Protokolle unterstützt. Die Netzanbindung von System/390-Großrechnern optimieren die "3746 Nways Controller" und der "3172 Interconnect Controller" mit erweitertem IP-, SNA- und ATM-Gateways. Darüber hinaus integrieren neue "2210 Nways Multiprotocol-Router" und der "2217 Multiprotocol-Concentrator" alle Zweigstellen eines Unternehmens in ein einziges Weitverkehrsnetz. Die benötigte Kapazität für künftigen multimedialen Datenverkehr sichert der erweiterte "IBM 2220 Nways Breitband-Switch", der Bandbreiten dynamisch zuweist und WANs konsolidiert. Der "9729 Optical Wavelength Division Multiplexer" ermöglicht Unternehmen schließlich die Nutzung eines einzigen Lichtwellenleiters für 20 simultane Datenleitungen.

Der zweite Schwerpunkt der Neuerscheinungen liegt in der Erhöhung der verfügbaren Übertragungskapazitäten in Campusnetzen mittels ATM. So unterstützt die "827x-Nways-Switch"-Familie jetzt sowohl ATM und Fast Ethernet als auch FDDI und CDDI. Damit ermöglicht die Baureihe ein uneingeschränktes Switching zwischen unterschiedlichen Protokollen. Kern dieser Backbone-Netze ist der Superhub "8260 Nways Hub".

Das Angebot ergänzt der "IBM 8300 Video Access Node". Außerdem neu in diesem Bereich ist das "IBM 8260 Video Distribu- tionsmodul" für den IBM 8260 Hub und die 8285-Workgroup-Switches. Abgerundet wird das LAN-Portfolio durch zahlreiche neue Netzkarten für ATM, Token Ring und Ethernet.