Sierra-Kunden müssen weiter auf Datenbankkomfort bei IMS verzichten:

IBMs MVS/XA-Komponente XRF noch nicht stabil

29.08.1986

MÜNCHEN - Die zum dritten Quartal 1986 geplante Auslieferung der MVS/XA-Komponente "Extended Recovery Facility" (XRF) der IBM ist vorerst geplatzt. Grund: Der Software, die einen kontinuierlichen Backup beim Einsatz des Datenbanksystems IMS/VS gewährleisten sollte, fehlt es an Qualität. Die Testergebnisse zwingen den Marktführer, das Datum für die "generelle Produktverfügbarkeit" auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Mit "Extended Recovery Facility" verzögert sich bei einer strategisch wichtigen XA-Komponente erstmals gravierend das "Early Support Program" (ESP), so die IBM-interne Bezeichnung für den Betatest. Marktkenner vermuten, Big Blue habe bereits bei der XRF-Ankündigung, die im Februar letzen Jahres zusammen mit den "Sierra"-Rechnern 3090-200 und 3090-400 erfolgte, die Komplexität der Software unterschätzt.

Dies wurde jetzt auch aus der IBM-Deutschland-Zentrale in Stuttgart auf Anfragen der COMPUTERWOCHE indirekt bestätigt: "Die internen Tests im IBM-Labor in Poughkeepsie (USA) sowie die Erfahrungen mit dem ESP bei einigen Kunden auch in Deutschland haben gezeigt, daß für die unterschiedlichen XRF-Systemumgebungen intensive Vorbereitungsarbeiten und Tests mit der betroffenen Software wie VTAM, MVS/XA und IMS 2.1 notwendig sind." Detaillierte Informationen, so hieß es, seien im ersten Quartal 1987 zu erwarten.

Bei dem Recovery-Produkt handelt es sich um eine Serie von Erweiterungen anderer IBM-Erzeugnisse. Es sind dies IMS/VS Version 2, MVS/SP 2.1.3, MVS/XA DFP Release 2 sowie die SNA-Programme ACF4F/VTAM 3 und ACF/NCP Version 4. Mit XRF sollten MVS/XA-Kunden eine Software erhalten, die beim Einsatz von IMS/VS eine hohe Verfügbarkeit des Datenbanksystems sicherstellt, insbesondere bei der Transaktionsverarbeitung. Ziel war es, bei Systemausfall einen sofortigen Backup bieten zu können, um die Wiederanlaufzeiten auf wenige Minuten zu reduzieren.

Im heutigen Szenario ohne XRF-Unterstützung wird der Service bei einem IMS-Systemabsturz für die Endbenutzer abrupt beendet. Der Anwender muß auf Diagnose-Dumps warten, um den Ausfall zu analysieren. Danach wird für das IMS mit den zugehörigen Regions ein Restart notwendig; die Sessions für die Terminals müssen neu aufgebaut werden. Diese Aktivitäten können je nach Anwendung bis zu mehreren Stunden dauern.

XRF-Freigabe nicht vor Ende 1988

Betroffen sind vor allem die IMS-Großkunden des Branchenriesen, die umfangreiche Datenbanken für ihre Finanz-Transaktionen verwenden. Dazu zählen Banken, Broker und Versicherungsgesellschaften. Marktanalysten rechnen allerdings kaum mit einer XRF-Freigabe vor Ende nächsten Jahres. "XRF ist eines der wenigen Softwareprodukte, die IBM nicht rechtzeitig ausliefern kann", kommentiert Thomas Henkel, Analyst bei der amerikanischen Yankee Group. "Es ist aber auch eine Komponente, die der Anbieter besser verzögert auf den Markt bringt, als daß er ein schlechtes Produkt ausliefert."

Die Situation hätte für IBM zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können, spekuliert etwa der Londoner Informationsdienst "Computergram". Da die Applikation besonders für Multiprozessorrechner der Sierra-Reihe geeignet sei, könne leicht der Fall eintreten, daß die Kunden darum ersuchen, die Auslieferungen der 3090-Jumbos zu vertagen. Dies wird jedoch aus Anwenderkreisen, zumindest für den deutschen Markt, nicht bestätigt.

Dennoch dürfte dem Branchenprimus nach Meinung von Marktbeobachtern das Bekenntnis über die Produktverzögerung mehr als unangenehm sein. Seit längerem von IBM zunehmend auf die XA-Schiene gedrängt, verlangten die Anwender nunmehr eine optimale Funktionalität des Betriebssystems. Das sei aber unter anderem nur gegeben, wenn XRF in seinem vollen Funktionsumfang für den Markt zur Verfügung stehe.

"XRF ist zwar keine dominierende, aber eine für IBM strategisch wichtige Komponente im MVS/XA-Geschäft", erläutert beispielsweise Klaus Hüttenberger von der Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt. "Dadurch wird MVS/XA erstmals hundertprozentig sinnvoll nutzbar bei Mehrrechner-Konzepten oder bei Einbindung von anderen Systemen unter XA." Zwar gebe es auch bei IMS entsprechende Recovery-Funktionen, doch seien auftretende Probleme bei Rechnerkopplungen oder bei einer in mehrere Subsysteme unterteilten Datenbank dadurch nicht in den Griff zu bekommen.

Nach Ansicht der International Data Group (IDC) hindert die jetzige Verzögerung des "Extended Recovery Facility" die großen IBM-Kunden keinesfalls daran, auch weiterhin auf das Top-Betriebssystem des Marktführers zu migrieren. Viele Anwender sähen in MVS/XA die Grundlage, auf der IBM künftige Verbesserungen von MVS und dessen wichtigsten Subsystemen durchführen werde, zumal die Funktionalitätslücke zwischen MVS/SP und MVS/XA mittlerweile nicht mehr zu übersehen sei.