IBMs Haltung zu Unix bleibt dubios

02.10.1992

Wer heute DV - Veranstaltungen besucht, seien es Konferenzen der Hersteller oder Seminare für die Anwender, wird kaum Spannungen spüren - und dabei kracht es in der Branche an allen Ecken und Enden. Da wird viel über den anstehenden Wechsel vom Verkäufer - zum Käufermarkt geredet, kaum über Inhalte. Client-Server, Systemintegration, Downsizing, Outsourcing, offene Systeme: Merkwürdig hohl klingen die Begriffe, die sich eine verunsicherte und orientierungslose DV-Industrie einfallen läßt. Doch es gibt Ausnahmen: Für absurd hält es Wayne Sennett, Vice-president Sales der Computer-Gruppe von Motorola, daß die Anwender bei der Systemauswahl nach wie vor praktisch keine "Choices" haben seine Definition von Offenheit , weil die Geräteschnittstellen nicht normiert sind. Sennett zieht eine Parallele zur TV - Industrie: "Undenkbar, daß die Leute fünf

Fernsehapparate kaufen, um fünf Programme empfangen zu können." Sennett sprach auf dem "European IT Forum '92" der International Data Corporation (IDC) in Venedig. Dem Motorola - Manager fiel es nicht schwer, seine These von der Absurdität zu belegen. Die traurigen Ergebnisse einer verfehlten Produktpolitik der Anbieter Proprietärer Systeme seien überall zu besichtigen: Mainframe - Installationen, die nur noch mit enormem Aufwand betrieben und gewartet werden können; Lock - in - Labyrinthe, etwa bei Datenbanken und Kommunikationssystemen? die keinen Ausgang haben.

Nur, wer ist für die verfahrene Situation verantwortlich zu machen? Wer die DV/Org. Leiter angreift, macht es sich zu leicht. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß viele überfordert sind, wenn über das reine Fachwissen hinaus Cleverneß in DV - politischen Fragen gefordert wird. Diese zeichnete stets den Marktführer IBM aus. Das Marketing - Glück hat Mother Blue offensichtlich verlassen. Es ist schon eine merkwürdige Art von Vergangeneitsbewältigung, die der Alt-Mainframer betreibt. Einerseits macht er Konzessionen, was die Anerkennung der Unix-Welt betrifft (siehe Seite 1: CICS für AIX). Andererseits wird die schon immer dubiose Was-schert-uns-Unix-Haltung konserviert.

Die Kritik an einer "geschlossenen" IBM findet Lucio Stanca "ideologisch". Der Chef der IBM Italia verwies in Venedig auf die Verkaufserfolge der "durch und durch proprietären AS/400" (O-Ton Stanca) und lobte die mündigen AS/400-Anwender - starker Tobak vor dem Hintergrund der von Sennett so treffend beschriebenen Lock-in-situation. Stanca ins Stammbuch: Es gibt nichts wichtigeres als die Existenz von Normen und Standards, die durch Gesetz oder Konsens geregelt sind. Diese haben, angesichts der Mainframe - Krise, Markt im Sinne von "Choises", offene systeme erst ermöglicht. Daran ist nichts Ideologisches.