IBMs AS/400 - ein Auslaufmodell?

22.11.2005
Im Interview mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann lobt IBM-Topmanager Mark Shearer die Vorzüge der I-Series-Server, vormals AS/400. Andreas Zilch von der Experton Group hält die Plattform für ein Auslaufmodell.

CW: Nur Windows und Linux werden langfristig als Betriebssysteme überleben, prognostizieren einige Analysten. Wo sehen Sie die Zukunft der I-Series-Plattform?

"Der Lebenszyklus der AS/400 geht zu Ende"

Andreas Zilch, Vorstand beim Marktforschungs- und Beratungshaus Experton, mag die optimistische Einschätzung von IBM-Manager Shearer nicht teilen. "Es gibt keine Renaissance der AS/400, die installierte Basis schrumpft stetig", urteilt der Experte. Die Anzahl der in Deutschland installierten Systeme sei von rund 20 000 Ende der 90er Jahre auf unter 10 000 gesunken.

Auch das Argument der niedrigeren Verwaltungskosten für IBMs Midrange-Systeme sei zu relativieren: "Das klingt ja so, als hätte es in den letzten 15 Jahren kein System-Management auf anderen Plattformen gegeben." Die von Shearer genannten Einsparungen von 30 bis 70 Prozent beim Betrieb von Business-Anwendungen hält er nicht für realistisch. "Das ist - bis auf wenige Sonderfälle - absoluter Quatsch."

Dass I-Series-Server in Unternehmen als Konsolidierungsplattform dienen können, ist für Zilch ein "uraltes" Argument, das die abnehmende Marktbedeutung der Produkte schon in der Vergangenheit nicht verhindern konnte. Die "neuen" Möglichkeiten, etwa Linux-Anwendungen in logischen Partitionen (LPARs) auf den Maschinen zu betreiben, sollten Kunden kritisch hinterfragen. So koste das Einrichten und der Betrieb einer LPAR im Vergleich immer noch mehr als die Anschaffung eines dedizierten Intel-Servers.

Zilch: "Die AS/400 oder I-Series ist seit mittlerweile 20 Jahren ein IT-System, dass bei den Anwendern höchste Kundenzufriedenheit genießt und historisch zu den besten Server-Plattformen überhaupt zählen wird. Trotzdem müssen sich sowohl die Anwender, als auch IBM daran gewöhnen, dass der Lebenszyklus langsam zu Ende geht." (wh)

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www.computerwoche.de/go/

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545925: I-Series kommt mit Power 5;

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SHEARER: I-Series-Server mit dem Betriebssystem i5/OS lassen sich mit einem Minimum an IT-Personal betreiben. Das unterscheidet sie von allen anderen Plattformen. In den vergangenen Jahrzehnten betrug der Hardware- und Softwareanteil an den IT-Budgets rund 70 Prozent. Heute entfallen 70 Prozent auf das Personal, das die Systeme verwaltet.

CW: Welche Einsparungen versprechen Sie konkret?

SHEARER: Aktuelle Berichte von IT-Analysten haben Kostenvorteile zwischen 30 und 70 Prozent identifiziert, wenn eine Business-Anwendung in einer I-Series-Umgebung läuft. Nicht wenige Unternehmen beschäftigen Dutzende von Spezialisten, um ihre Industriestandard-Server zu managen.

CW: Ausgefeilte Verwaltungswerkzeuge gibt es auch in der Windows- und der Linux-Welt, von Unix ganz zu schweigen. Der Vorsprung von integrierten Systemen wie der I-Series schmilzt.

SHEARER: Das Gegenteil ist der Fall. I-Series-Nutzer brauchen beispielsweise keine dedizierten Datenbank- oder Sicherheitsadministratoren. Viele Dinge, die in der Linux- oder Windows-Welt manuelle Eingriffe erfordern, sind auf der I-Series-Plattform automatisiert.

CW: Immer mehr Unternehmen entscheiden sich nach einem Vergleich der Gesamtkosten (TCO = Total Cost of Ownership) für billige x86-Server. Selbst ein Großanwender wie Google nutzt für seine kritischen Anwendungen eine Vielzahl gekoppelter Lowcost-Rechner. Warum soll ein Umstieg auf eine Intel- oder AMD-basierende Plattform nicht auch für I-Series-Nutzer attraktiv sein?

SHEARER: Man muss zwischen verschiedenen Workload-Arten unterscheiden. Die meisten Unternehmen werden künftig eine Kombination aus Scale-up- und Scale-out-Techniken nutzen, also eine Mischung aus leistungsstarken Einzelmaschinen und vielen kleinen Rechnern. Für einige Anwendungen kommt beispielsweise ein Blade-Center in Betracht, das zu großen Teilen aus Standardkomponenten besteht. Andere Applikationen wie Core Banking oder ERP, die große und sichere Datenbanken benötigen, laufen besser in einem Scale-up-Modell. Aus meiner Sicht besteht die ideale Lösung darin, Preis-Leistungs-Vorteile eines Blade Centers mit den Scale-up-Vorzügen einer I-Series zu kombinieren. Einige unserer Kunden sind dabei, Linux- und Windows-Applikationen auf I-Series-Server zu reintegrieren.

CW: Sie sprechen von Konsolidierung. Dafür gibt es im IBM-Portfolio auch andere Server-Plattformen, beispielsweise die Unix-basierende P-Series oder die Z-Series-Mainframes.

SHEARER: Ich rede von Unternehmen, die bereits eine I-Series-Installation nutzen, um beispielsweise eine Core-Banking-Applikation oder ein Fertigungssteuerungssystem zu betreiben. 43 Prozent dieser Kunden arbeiten gleichzeitig mit Unix-Rechnern, 90 Prozent auch mit Intel-Servern. Es gibt große finanzielle und technische Anstrengungen, diese Systeme auf einer konsolidierten Plattform zusammenzuführen.

CW: Ebenso gut wäre es denkbar, Kernanwendungen von der I-Series in eine Windows- oder Linux-Umgebung zu migrieren.

SHEARER: Es ist erheblich billiger, Kernanwendungen auf i5/ OS zu belassen, als sie auf eine andere Plattform zu migrieren.

CW: Gartner bezeichnet die Unterstützung unabhängiger Softwarehersteller (ISVs = Independent Software Vendors) für die I-Series-Plattform als große Hürde für IBM. Wie gehen Sie mit dem Problem um?

SHEARER: Es ging bei der I-Series, ebenso wie bei den Vorgängern System 36 oder AS/400, immer um Lösungen. Wir haben im Februar ein Programm gestartet, mit dem wir mehr als 100 Millionen Dollar investieren, um neue Softwarehäuser für die I-Series-Plattform zu gewinnen. Seitdem sind mehr als 400 neue Anwendungen auf den Markt gekommen.

CW: Wie passt IBMs breit angelegtes Linux-Engagement in diese Strategie?

SHEARER: Linux ist eine natürliche Ergänzung in dieser Multi-Betriebssystem-Umgebung. Wir unterstützen Linux auf der I-Series. Viele unserer Kunden haben Apache-, Datei- und Druck-Server in Partitionen neben i5/OS konsolidiert. Etliche Z-Series-Nutzer sind ja ähnlich vorgegangen.

CW: Der Hardwareanteil an IBMs Konzernumsatz geht seit Jahren zurück. Können Sie sich ein Unternehmen vorstellen, das nur noch Software und Dienstleistungen offeriert?

SHEARER: Nein. Nehmen Sie das Beispiel I-Series. 58 Prozent unserer Server-Kunden nutzen solche Systeme als primäre oder sekundäre Server. Für jeden Dollar, den sie für I-Series ausgeben, kaufen sie für mindestens einen weiteren Dollar Software-, Finanzierungs- oder Serviceprodukte von IBM. Die I-Series ist ein wichtiger Türöffner, um Kunden das gesamte IBM-Portfolio feilzubieten.

CW: In den vergangenen Jahren hat sich IBM von etlichen Hardwarebereichen getrennt, darunter das PC-Geschäft, Drucker und Festplatten. Zukäufe fanden fast ausschließlich im Software- und Servicesegment statt. Zeichnet sich damit nicht ein klarer Trend ab?

SHEARER: Unsere Geschäftsstrategie sieht vor, dass wir uns auf hochwertige Hardware-, Software- und Serviceprodukte konzentrieren. Unternehmensbereiche, die IBM verkauft hat, konnten sich im Wettbewerb nicht stark genug unterscheiden. Andere Bereiche, die einen hohen Differenzierungsgrad aufweisen, haben wir behalten und verstärkt.

CW: Trotzdem kommt IBMs Gewinn zum größten Teil aus den Software- und Servicebereichen.

SHEARER: Das muss man differenziert betrachten. Wir machen sehr viel Geschäft mit Datenbanken, weil wir diese gemeinsam mit Hardware verkaufen. Es gibt große Interdependenzen zwischen IBMs Produktlinien. Das ausgewogene Produktportfolio bietet für IBM langfristig das beste Geschäftsmodell.