Kleiner Schritt in Richtung einheitliche Benutzeroberfläche:

IBM will mit SAA-Aperitif zur 9370 animieren

30.10.1987

MÜNCHEN (CW) - Einen Anwendungsverbund strebt die IBM jetzt mit ihrer systemübergreifenden Systems Application Architecture (SAA) an. Kleine Schritte für das im März dieses Jahres angekündigte Portabilitätskonzept Ó la Big Blue bedeuten auch die jüngst vorgestellten Erweiterungen des dafür designierten Betriebssystems Virtual Machine (VM).

Eine Sensation fand nicht statt; die weltweit vorgestellten Neuheiten für die IBM-Produktpalette waren eher bescheiden: die Erweiterung des Finanzsystems 4700, ein neues Desktop-Publishing-System sowie ein verbessertes Einstiegsmodell des Systems /36. Hinzu kamen vehemente Bekenntnisse zur Mittelstandsrechner-Reihe /3X als "strategische Produkte" und zum Kommunikationsstandard Open Systems Interconnection (OSI). Zusammen mit der Aussicht auf eine SAA-Zukunft ohne Schnittstellenprobleme sind das die "Blüten" in einem, so Big Blue, "bunten Strauß von Produktankündigungen".

Im Bereich Systemsoftware heißen die Neuheiten "VM/SP Version 6" und "VM/IS Release 5.1". Die neue SP-Ausführung erweitert nach Angaben des Branchenriesen das Betriebssystem unter anderem um Bausteine und Schnittstellen für die Anwendungsentwicklung und die systemübergreifende Kommunikation nach SAA-Regeln. VM/IS, das System, unter dem der Abteilungsrechner 9370 läuft, werde vor allem um ein SAA-konformes "Cross System Product" (CSP) zur interaktiven Entwicklung und Ausführung von Anwendungen erweitert.

Darüber hinaus kündigte IBM an, daß der Transaktionsmanager "CICS" demnächst ebenfalls unter VM verfügbar sei. "Das ist der Start für portable Anwendungsentwicklung", meinte Wolfgang Heisterberg, Produktmarketing-Leiter Systemsoftware bei der IBM Deutschland. Aber die Ziele sind noch höher gesteckt: Nicht nur Portabilität allein wird angestrebt, sondern darüber hinaus ein Anwendungsverbund verschiedener Systeme.

Während SAA im Gegensatz zu den herstellerneutralen Betriebssystemen ein "Closed Shop" bleiben wird, öffnet sich der blaue Riese im Kommunikationsbereich in Richtung herstellerunabhängiger Standards. In München wurden drei neue Lizenz-Programme vorgestellt, die Anwendungslösungen im Rahmen der OSI-Normen bieten sollen. Im einzelnen handelt es sich um eine "Message Transfer Facility" (MTF) für VM und VSE, um eine Anpassung des Bürokommunikationssystems "Profs" an den X.400-Standard und um ein zweites Release des Kommunikationsmonitors "GTMOSI".

In den USA sind die Reaktionen auf das weltweite Announcement des Branchenprimus eher zurückhaltend. "Diese Ankündigungen sind keineswegs weltbewegend, aber sie sorgen dafür, daß die Anwender nicht das Interesse an der 9370 verlieren", kommentiert beispielsweise Robert Tasker, Chief Computer Analyst bei der Yankee Group. Bis zum Ende dieses Jahres würden etwa 5000 bis 6000 Abteilungsrechner an die Kunden ausgeliefert. Die Verbindungen zur Mainframe-Familie 370 seien allerdings erst ansatzweise definiert. Folglich müsse IBM in erster Linie darum bemüht sein, diese Lücken zu stopfen.

Kritik äußern die US-Analysten auch an CICS/VM. Zwar verleihe das SW-System der 9370 nun auch Transaktionsverarbeitungsfähigkeiten, doch hielten sich die Einsatzmöglichkeiten in diesem Bereich noch sehr in Grenzen: Rund 60 Transaktionen pro Minute seien das Maximum, das der User erwarten könne. Einen weiteren Schönheitsfehler sehen die Marktforscher von Gartner darin, daß VM/IS 5.1 benötigt wird, um mit CICS/VM arbeiten zu können. Diese Systemkomponente werde jedoch frühestens im Mai 1989 zur Verfügung stehen.