Marketing Support-Programm soll 9370-Flop abwenden:

IBM will fußlahmem VAX-Killer Beine machen

15.04.1988

NEW YORK (ujf) - Bescheiden gibt sich Big Blue neuerdings, was den in der Branche inzwischen als Flop betrachteten Midrange-Rechner 9370 betrifft: Der Konzern sei mit dem Absatz (3500 Stück bis Ende 19.37) zufrieden.

Im Ankündigungsstatement von Bernhard Dorn, Verkaufschef der IBM Deutschland GmbH, hörte sich das von anderthalb Jahren noch ganz anders an: "Von den 550000

Filialen, Zweigstellen und Niederlassungen in der Bundesrepublik habe ich die große Hoffnung, daß viele davon in den nächsten Jahren sagen, ich möchte die 9370 haben." (Siehe auch Kolumne, Seite 9.)

Nichtsdestotrotz lancierte die Marketingabteilung ein jetzt neues Support-Programm, mit dessen Hilfe der Verkauf endlich auf Touren kommen soll. Programmschmieden, die wie VM Software Inc. auf die 9370-Karte gesetzt haben, mußten bereits Lehrgeld zahlen.

Im Januar 1987 schoß der renommierte Branchenanalyst Marc Schulman von der Brokerfirma Salomon Brothers in New York einen kapitalen Bock: Er veranschlagte den Auftragsbestand der IBM auf 30000 Stück 9370-CPUs für den amerikanischen und 15000 Stück für den ausländischen Markt. Seine Kollegen an der Wall Street teilten diesen durch keinerlei Fakten unterstützten Optimismus; bis zum April hatte sich in Analystenkreisen allerdings die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich viele Anwender damit bloß eine frühzeitige Lieferung der noch nicht verfügbaren Computer sichern wollten: Ein Rücktritt war ohne Konventionalstrafe möglich.

Hätten die Prognosen gestimmt, Big Blue käme bis heute mit dem Liefern des in den USA gegen die VAX-Rechner von Digital Equipment positionierten Computer kaum nach. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die IBM sucht händeringend Kunden für den Abteilungsrechner, an dem bislang nur wenige Großabnehmer Interesse zeigten. Als Ende Juli die Shipments der 9370-Modelle 20 und 60 begannen, hatte die IBM den Absatz bis Ende 1987 auf 5000 Exemplare veranschlagt. Statt dessen verließen bis zum Jahreswechsel nur 3500 Stück das Werk.

Abhilfe will Big Blue nun mit einem neuen "Marketing-Support-Programm" schaffen. IBM-Techniker sollen den Kunden helfen, ihre Anwendungen von anderen Rechnern auf die 9370 zu portieren. Außerdem will der Armonker DV-Riese demonstrieren, wie der vermeintliche "VAX-Killer" mit Prozessoren und Netzen anderer Hersteller kommunizieren kann. Doch die von den Anwendern beklagten Nachteile des Mini-370ers sind damit nicht aus der Welt: der zu hohe Speicherbedarf des Betriebssystems, der Mangel an spezieller Anwendungssoftware und an konkreten Produkten, mit denen die versprochene "Connectivity" tatsächlich zu erreichen ist. Zudem: Die Aussicht auf das Midrange-System "Silverlake" oder "Olympic" hat viele Anwender der Modelle /36 und /38 davon abgehalten, über die 9370 in IBMs Mainframe-welt zu wechseln.

Nicht nur in Armonk wünscht man sich Auftrieb für den fußkranken "VAX-Killer". Auch Softwarehäuser und Vertriebspartner, die auf die 370er-Karte gesetzt haben, warten sehnlichst auf ein Ansteigen der Orderzahlen. So hatte sich die VM Software Inc. in Reston/Virginia auf einen Boom eingestellt - und damit gründlich verspekuliert.

Die Absatzflaute der 9370 führte dazu, daß die auf Programme für das Betriebssystem VM spezialisierten Softwerker heute den Gürtel enger schnallen müssen. In der Kasse herrscht Ebbe: Statt der 9,7 Millionen Dollar, die ein Jahr zuvor nach dem Zugriff des Finanzamts übriggeblieben waren, erwirtschaftete die VM Software Inc. im zweiten Quartal gerade noch 116365 Dollar - ein Einbruch um 88 Prozent. Knapp konnte ein Verlust vermieden werden. VM hat sich von dem Nasenstüber inzwischen leidlich erholt, schreibt nach den hellgrauen wieder schwarze Zahlen. Aber das Management hat eine Lehre gezogen: "Wenn das 9370-Geschäft 1988 anzieht, schön. Wenn nicht, dann vielleicht 1989. Doch wir richten unsere Pläne am traditionellen Geschäft aus", sagt VM-Chef Robert Cook. Und sichert sich damit den Beifall der Analysten. Meint Industriebeobachter Ulric Weil: "Auch wenn es 1988 mit der 9370 noch nicht so läuft, steht die Softwarefirma besser da, denn sie hat aus ihren Fehlern gelernt."

VM und andere Softwarehäuser tun zunächst gut daran, sich nicht mehr nach den Prognosen der Analysten und der IBM-Marketiers zu richten. Denn noch Anfang November glaubte die IBM, zusätzlich zu den 1500 bereits installierten Systemen bis Jahresende weitere 5000 bis 6000 Exemplare absetzen zu können. Allein 2000 bis 3000 Bestellungen kamen laut Midrange-Marketing-Mann Peter Scholtes aus der Bundesrepublik. Dennoch fand die Diebold Deutschland GmbH zum Stichtag 1. Januar 1988 gerade 40 (!) Stück 9370 bei bundesdeutschen Anwendern. Der Rest war offenbar noch gar nicht ausgeliefert.

Inzwischen gibt es Anzeichen, daß das Produkt gar nicht in erster Linie bei der Zielgruppe "ankommt", für die es konzipiert war: Abteilungen und Filialen großer Unternehmen. Angelsächsische Medien zitierten kürzlich Edward Kfoury, den Chef der System Products Division von IBMs Geschäftsbereich Enterprise Systems, mit Ergebnissen einer Befragung von Anwendern des Midrange-Rechners. Bei 43 Prozent der interviewten Kunden sei die 9370 deren erstes Computersystem gewesen. Fazit der Schrägstrich-Liebhaber: Die IBM macht sich wieder einmal intern Konkurrenz.