IBM: Von der Edelschmiede zum Allesfresser

02.11.1984

Seit nun auch in den Intel- und Rolm-Büros das "Think"-Schild hängt, darf man der IBM durchaus mehr zutrauen als Mainframe-Mipse und Marketendereien, die freilich allemal ausgereicht hätten, die Kunden - bekanntlich nicht wenige - bei der Stange zu halten.

Doch die IBM will mehr. Genauer: Sie will alles. Und so haben Berufsgrantler drei neue Seiten an Big Blue Superstar entdeckt: IBM als Niedrigpreisanbieter, als billiger Jakob. IBM als Joint-Adventurer, als OEM-Abenteurer. IBM als Instant-lnnovator, als Midlife-Knicker.

Beispiel PC AT: Der Prozessor von Intel, ein sensationell niedriger Preis - den vorhandenen Modellen (PC normal, PC/XT) wird früher als erwartet der Garaus gemacht. Da kann die Konkurrenz nur staunen (Seite 1).

Welch eine Vision: Außer bei der "blauen" Aufguß-lBM (360, 370, 303X, 308X, 43XX et cetera, et cetera) darf der Anwender auch bei der "grünen" IBM (PC, PC/XT, PC XT/370 3270-PC, PC AT, PC Portable et cetera, et cetera) der "gelben" IBM (PBX, Btx et cetera, et cetera), der "roten" IBM (Kugelkopfschreibmaschine, Thermo-Schreibmaschine et cetera, et cetera) sowie der "grauen" IBM (IMS, CICS, DL/1 et cetera, et cetera) Bestellscheine abgeben.

Eher noch eine Untertreibung. Es ließe sich ja auch denken, daß IBM "braune" Ware vertreibt, Fernseher, Radios, Video-Anlagen - was halt so zur U-Technik gehört. Hätte den Vorteil (safety first), daß alles aus einer Hand käme. Um bei der Schreckensvision zu bleiben: Arme Inder - die reparieren den 1401-Park in Eigenregie. Armes Albion: Die eiserne Lady ist gegen die Ehe der IBM mit British Telecom.

Da ist die Ironie: Wir bauen hier ja keinen Pappkameraden auf - die Marktzahlen sprechen für sich. Danach ist die IBM drauf und dran, die Konkurrenz als Block (DEC und die anderen) unter die 50-Prozent-Grenze zu drücken (siehe Grafik Seite 1). Wenn in einem Bereich, für den nach seinen Anspruchsmustern eigentlich Individualität und Vielfalt kennzeichnend sein müßten, die Monopolisierung zunimmt, dann funktioniert der Markt nicht mehr.

Gibt es noch Gegenbewegungen? Oder ist der Wettbewerb bereits so verunsichert, daß er selbst nicht mehr an eine Veränderung in seinem Sinne glaubt? Es sieht so aus. Trotzdem: Die Anwender können und wollen auf eine Optimierung durch Auswahl nicht verzichten. Sehen wir es also nüchtern: Die DV-lndustrie braucht das Korrektiv durch eine anspruchsvoll-kritische Nachfrage. Eines ist sicher: Hersteller mit guten Produkten, die der Anwender braucht, werden sich behaupten.

Nehmen wir Apple. Der Mikro-Pionier pfeift auf PC-Kompatibilität, bestreitet eine IBM-Dominanz mit Gründen: Die Ansprüche an die Geräte werden immer individueller (siehe oben), der Mikrobenutzer will keinen Namen, sondern Nutzen einkaufen. Er ist vor allem in der Lage, diesen vergleichend abzuschätzen. Nicht genug Phantasie, sich vorzustellen, daß dabei ein Einheitsdesign entsteht.

Und noch eine Erkenntnis: Das Beispiel Xerox hat gezeigt, daß eine zu aggressive, überzogene Marketingpolitik aus dem Monopol-Paradies direkt ins Tal der Tränen führte. Der "König der Kopierer" hatte eine innere "Größe" erreicht, die immer labiler wurde. Für die IBM könnte die angestrebte Verwandlung von der Edelschmiede zum Allesfresser ein Schritt zuviel sein, ein kleiner Schritt zuviel.