IBM und Unix: Nur Lippenbekenntnisse?

16.02.1990

Die IBM sagt, daß sie an Geschäften im Unix-Markt interessiert sei. Die IBM ist mit AIX- Adaptionen für ihre verschiedenen Workstation-, Abteilungsrechner und Low-end-Mainframe-Angebote einschlägig vorbelastet. Und die IBM rührt momentan für "PS/2 + AIX" die Werbetrommel. Neu ist allenfalls die Wortwahl. Sätze aus einer IBM-Anzeige: "Was in Zukunft zählt, ist ein offenes System. Ziehen Sie jetzt einen Schlußstrich unter die Vergangenheit." Es ist vorauszusehen, welches Echo die PS/2-AIX-Kampagne in der Fachpresse haben wird. Man wird von einer Einsegnung der Unix-Idee durch den Marktführer sprechen. Daß die IBM ihre Entschlossenheit bekräftige, in der Unix-Bewegung einen aktiven Part zu übernehmen, wird zu lesen sein. Wer's wörtlich nimmt, bekundet damit nur eines: Naivität.

Was soll der blaue Riese denn auf die Frage "Wie hältst Du es mit offen Systemen" angesichts der jüngsten X/Open-Empfehlung der Bundesregierung antworten? Daß er jetzt erst recht an seinen proprietären Systemen festhalten werde? Nein, wer so fragt, provoziert Lippenbekenntnisse. Natürlich kann die IBM nicht öffentlich aussprechen, daß ihr die ganze Unix-Sache eigentlich gewaltig stinke - sollte es denn so sein. Andererseits wäre es aus demselben Grund nicht korrekt, wenn man die "Ziehen-Sie-jetzt-einen-Schlußstrich-unter-die-Vergangenheit-lBM" (siehe oben) als OS/2-, DOS/VSE- oder OS/400-Killer hinstellte.

Was die IBM wirklich will, weiß nur die IBM selbst. Aber vielleicht stimmt nicht einmal das. Man sollte sich deshalb an die Fakten halten. Tatsache ist, daß Big Blue über einen sehr großen, sehr gepflegten, durch proprietäre Systeme geprägten Kundenpark verfügt. Die 3090-Großsysteme haben ebenso ihren Anteil daran wie die Midrange-Familien 4300 und AS/400, die Abteilungsrechner 9370 sowie die Arbeitsplatzcomputer der PS/2-Serie. Es ist durchaus legitim, daß ein Hersteller sich seine Einnahme-Quellen erhalten will. Jeder einzelne Anwender hat für sich zu entscheiden, ob IBM-Datenverarbeitung mit proprietären Systemen (PS/2, AS/400, 9370, 4300, 3090) Anfang der 90er Jahre noch die wirtschaftlichste und technisch beste, vor allem aber die zukunftssicherste Betriebsform für verteilte DV darstellt.

Mag sein, daß die IBM mit ihrer PS/2-AIX-Werbung auf Wettbewerber Kunden zielt, auf Nixdorf-, Bull-, Siemens-, DEC-, Hewlett Packard-, Sun- oder Compaq-Anwender also. Verhindern kann sie nicht, daß sich auch ihre eigenen Kunden angesprochen fühlen. Dies gilt weit mehr noch für das neue RISC-System/6000, das kurz vor der Ankündigung steht. Die IBM wird sagen, daß sie an Unix-Geschäften interessiert sei. Das kann man ihr ohne weiteres abnehmen. Nur: Was machen die AS/400- und 9370-Anwender daraus?