Zwischen den MS-DOS-Partnern gibt es keine Gemeinsamkeiten mehr

IBM und Microsoft: Steit über die OS/2-Stategie unrühmlich beendet

01.11.1991

LAS VEGAS/MÜNCHEN (see/ jm) - Über ungelegte Eier gackerten die IBM und Microsoft auf der Comdex, Las Vegas, und der Systems in München. Denn die voll funktionsfähige OS/2-Version 2.0 der IBM kommt nicht vor April '92, und Microsofts Windows NT dürfte frühestens Ende '92 fertig sein. Freut sich immerhin Microsoft-Deutschland-Chef Christian Wedell: "Der Nachfolger ist im gleichen Jahr da."

Mit großem Ballyhoo kündigte die IBM ihre 32-Bit-Version 2.0 von OS/2 an. Sowohl der Zungenschlag der Präsentation als auch wesentliche Merkmale des Produktes werfen ein Schlaglicht auf die Beziehungskrise zwischen Big Blue und Microsoft. Das nunmehr völlig grafikgesteuerte OS/2 2.0 unterstützt ohne Änderungen, so die IBM, sämtliche Applikationen, die bisher unter allen Releases von DOS, Windows sowie unter OS/2 1.2 und 1.3 gelaufen sind.

Mit diesem Versprechen und mit den in OS/2 enthaltenen DOS- und Windows-Emulationen trachtet die IBM nach Meinung von Beobachtern der Ankündigung massiv danach, der unbotmäßigen Gates-Company den Wind aus den Segeln zu nehmen. IBM-Vice-President Earl Wheeler rührte die Werbetrommel einmal mehr mit dem bereits bekannten Werbespruch, OS/2, Version 2.0, sei "auch ein besseres DOS als DOS und ein besseres Windows als Windows". Kontert Wedell: "Der Anwendungs-Softwaremarkt wird zunehmend geprägt durch die Windows-APIs (Application Programming Interfaces) - dem wird sich auch die IBM stellen müssen."

Big Blue lieferte OS/2, Version 2 0, in einer Vorabversion an 20000 Tester aus und stellt sie ab Dezember 1991 auch solchen Kunden zur Verfügung die das 32-Bit-Betriebssystem für ihre Softwareplanung jetzt schon dringend benötigen.

In der nun ausgelieferten Version verfügt OS/2, Version 2.0, allerdings noch nicht über die Windowing-Technologie: Das heißt, will der Anwender unter OS/2 etwa eine Windows-Anwendung "fahren", muß er die Windows-Box anklicken, und es erscheint die gewohnte DOS-Erweiterungsoberfläche auf dem Monitor.

In der für März 1992 avisierten Ausführung soll es, wie bei Unix-Systemen schon lange gewohnt, möglich sein, unter der Presentation-Manager-Oberfläche in verschiedenen Fenstern - Zitat eines IBM-Mannes: "Das ist dann gutes Windowing" - Windows-, DOS- und OS/2-Anwendungen parallel ablaufen zu lassen .

Bei den Preisen scheint Big Blue ein kleines Versteckspiel mit dem Anwender betreiben zu wollen: Vor der Presse in München betonten IBM-Sprecher, egal von welcher Betriebssystem-Plattform man auf OS/2, Version 2 0, upgraden wolle, es würde den Anwender nur 300 Mark kosten. Das bedeutet, auch ein DOS-Anwender kann für diesen Preis, der nur unerheblich über dem der Windows-3.0-Version liegt, IBMs neues Multitasking-32-Bit-Betriebssystem erstehen. Meinte ein Insider: "Die wollen mit OS/2 2.0 kein Geld verdienen, sondern nur eins: Microsoft fertigmachen." Wichtig ist vor allem auch, daß der Anwender in Zukunft keine Windows-3.0-Version mehr zu kaufen braucht, um Windows Anwendungen unter OS/2 2.0 ablaufen zu lassen.

Für den Dumping-Preis lediglich die Basisversion

Der Haken bei der Sache: Für diesen Dumping-Preis erhält der Kunde nur die Basisversion OS/2, Version 20, SE. Erst in der ES-Ausführung (Extended Services) allerdings ist OS/2 überhaupt sinnvoll, nämlich - O-Ton IBM - "in unternehmensweiten Netzen" einsetzbar.

OS/2 2.0 kostet etwa 1300 Mark und beinhaltet erweiterte Funktionen wie Datenfernverarbeitung, Datenbanken, Anbindung an Großrechner, lokale Netzwerkunterstützung sowie Zugriff auf gemeinsame Ressourcen im lokalen Netz durch den LAN Server/2. Obwohl unter OS/2 2.0 prinzipiell alle DOS-, Windows- und OS/2-Anwendungen gefahren werden können sollen (also auch Datenbanken), wird der Anwender in Zukunft prüfen müssen, ob er mit OS/2 2.0 und über SAA nicht doch wieder an die proprietäre IBM-Host-Umgebung gekettet werden soll.

Rund 100 OEMs und Software-Anbieter kündigten an OS/2 2.0 mit ihren Applikationen beziehungsweise Hardware Umgebungen zu unterstützen. Wichtig war in diesem Zusammenhang das IBM-Versprechen auf der Systems, daß es von OS/2 2.0 nur eine einzige Version geben werde, die für alle OEMs gleich sei und nicht unterschiedliche Anpassungen aufweisen werde. Auch mit dieser Zusage will Big Blue offensichtlich die Aussage stützen, für "alle PS/2- und Personal Computer ein Standard-Betriebssystem konzipiert zu haben".

Unterstützung für OS/2 wollen unter anderem Oracle mit dem entsprechenden Datenbank-Server, Novell mit dem Netware-Requester, Sybase mit dem Open-Server-API, SAP, die Software AG, die Hoesch-Tochter mbp mit einer Visual-Cobol-Version für OS/2- 2.0 und Ingres liefern. Daneben haben als Hardware-Anbieter unter anderem AST, DEC, Olivetti, Intel und NCR bereits ein OS/2-2.0-Committment abgegeben. Wundert sich Wedell: "Wir glauben, daß uns die Hardware-OEMs treu bleiben."

Das 32-Bit-Windows NT wird noch länger als IBMs Konkurrenzprodukt auf sich warten lassen. Steve Ballmer, Leiter der Produktentwicklung bei Microsoft, bekräftigte zwar auf einer Comdex-Veranstaltung, Windows NT werde 1992 ausgeliefert - anläßlich der Präsentation des Mips-RISC-Chips R4000 zeigte Microsoft das NT-System auch bereits auf einem Rechner. Auf ein genaues Datum wollte sich Ballmer hingegen nicht festlegen.

Er stellte hingegen die Frage, ob die IBM tatsächlich - wie versprochen - im März die Vollversion von OS/2 werde anbieten können. Aus diesem Grunde sehe er auch keine Veranlassung, um die Anwendungs-Entwicklungsressourcen auf seiten der unabhängigen Software-Entwickler beziehungsweise die Unterstützung durch Hardware-OEMs zu fürchten.

Diese, so Ballmer, seien erpicht auf ein Produkt, daß ihren Angeboten einen breiteren Marktzugang verschaffe. Wenn die IBM Glück habe, so seine hämische Schätzung, würden 500 000 bis 700 000 Kopien von OS/2 2.0 in kommenden Jahr installiert werden; für Windows 3.0 dagegen erwartet der Entwicklungschef acht Millionen Installationen noch 1991. Und auch Wedell gibt sich optimistisch: "Es wird ein harter Wettbewerb entstehen zwischen der Windows-NT- und der OS/2-Architektur. Wir glauben, daß wir für diesen Wettbewerb gut gerüstet sind.

Ende dieses Jahres können Anwender mit dem 16-Bit-Windows 3.1 rechnen, kündigte Ballmer ferner an. Diese sei im wesentlichen eine voll abwärtskompatible "Abrundung" von Version 3.0. Die Ecken und Kanten bezüglich der Anwendungssicherheit und von Performance-Engpässen seien weitgehend eliminiert worden. Darüber hinaus biete die Oberfläche laut Microsoft Unterstützungsfunktionen für Audio-Anwendungen und eine erweiterte Peripherie-Steuerung. Sound-Applikationen auf Basis der Midi- und PCM-Technologie werden künftig von Windows angesprochen. Es reicht Ballmer zufolge aus, eine Billig-Audiokarte eines Drittanbieters einzubauen. Multimedia-APIs, unter anderem das Microsoft-eigene Media Control Interface, erlauben 3.1 Anwendern die Integration von Animation und Video in Dokumente.