x86-Server stehen zur Disposition

IBM und Lenovo: Warum der Server-Deal richtig wäre

20.05.2013
Von 
Bernhard Haluschak war bis Anfang 2019 Redakteur bei der IDG Business Media GmbH. Der Dipl. Ing. FH der Elektrotechnik / Informationsverarbeitung blickt auf langjährige Erfahrungen im Server-, Storage- und Netzwerk-Umfeld und im Bereich neuer Technologien zurück. Vor seiner Fachredakteurslaufbahn arbeitete er in Entwicklungslabors, in der Qualitätssicherung sowie als Laboringenieur in namhaften Unternehmen.
Die lange kolportierte Übernahme von IBMs x86-Server-Sparte durch Lenovo ist vorerst geplatzt. Dabei hätten beide Hersteller von dem Deal profitiert.

Schon seit einigen Monaten flammten immer wieder Gerüchte auf, IBM wolle seine x86-Server-Sparte an Lenovo verkaufen. Am 19. April 2013 verdichteten sich die Informationen über einen bevorstehenden Deal und es wurden sogar konkrete Summen bekannt. So berichtete Bloomberg von einem Verkaufspreis, der zwischen 2,5 und 4,5 Milliarden US-Dollar liegen solle. Andere Quellen gingen von weit höheren Summen aus. Doch am 1. Mai 2013 berichtete das Magazin Fortune, dass der Mega-Deal vorerst gescheitert sei, da sich die Parteien nicht über die Kaufsumme hätten einigen können. Weder IBM noch Lenovo gaben dazu einen Kommentar ab. So bleibt es offen, ob die Parteien wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren werden. Betrachtet man die Fakten, die die Grundlage für die Verhandlungen gewesen sein dürften, wird schnell deutlich, dass beide Seiten von dem Deal profitiert hätten.

IBM-Chefin Ginni Rometty ist schon seit Längerem unzufrieden mit der finanziellen Performance der Server-Sparte. Im Visier stand dabei immer das System-x-Server-Geschäft. Genaue Profit-Zahlen veröffentlicht IBM nicht. Es wird jedoch schon länger spekuliert, dass der Hersteller vor allem mit Commodity-Produkten wie Ein- und Zwei-Wege-Tower- und Rack-Servern mit x86-Technologie jedes Quartal viele Millionen Dollar verliert. In seiner mehr als hundertjährigen Geschichte hat sich IBM immer wieder von unprofitablen Geschäftseinheiten getrennt. Im Jahr 2002 verkaufte der Konzern beispielsweise seine Festplattensparte an Hitachi. 2005 ging die milliardenschwere PC-Sparte an Lenovo.

Das IBM-System-x-Business insgesamt erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 5,6 Milliarden Dollar. Nach Schätzungen von Gartner wäre das etwas mehr als ein Drittel der gesamten System-Verkäufe, die etwa 15,6 Milliarden Dollar in die Kasse spülen. Dabei ist indes zu beachten, dass der Umsatz der System-x-Sparte seit Langem rückläufig ist. Insofern würde der Deal sehr gut in die Gesamtstrategie der IBM-Führung passen.

Lenovos Server-Geschäft ist in jüngster Zeit schnell gewachsen. Der chinesische Hersteller fährt eine aggressive Expansionsstrategie und will vor allem in den Vereinigten Staaten und Europa Boden gutmachen. Mit IBMs System-x-Sparte gewönne das Unternehmen auch den zugehörigen Channel und die Marke und würde damit auf einen Schlag zum drittgrößten Server-Hersteller der Welt aufsteigen. IBM andererseits möchte Zugang zu chinesischen Provinzen und Staaten, um seine Smarter-Planet-Beratungsleistungen und zugehörige Big-Data-Plattformen anbieten zu können. Der Server-Verkauf könnte IBM vieles auf diesem Weg erleichtern.

IBM werde vorerst an der Weiterentwicklung seiner Power-CPUs (Unix/Linux-Server) sowie an den System-z-Prozessoren (Großrechner) festhalten, spekuliert der CPU-Experte Timothy Prikett Morgan. Dazu gehöre auch der Umstieg auf eine Strukturbreite von 22 Nanometern und der damit verbundene Fertigungsprozess. Auf lange Sicht aber, so Morgan, wird sich IBM dies aber nicht mehr leisten wollen. Jeder Sprung auf eine kleinere Strukturbreite koste den Hersteller Milliarden von Dollar; deshalb sei es unwahrscheinlich, dass IBM den Wechsel auf einen 14- oder gar 10 Nanometer-Fertigungsprozess aus eigener Kraft stemmen wolle. Lenovo dagegen könnte diese Aufgaben als Partner in Zukunft womöglich übernehmen.

Lenovo hat seine Server-Sparte am 30. September 2008 ins Leben gerufen. Unter dem Label "ThinkServer" begann der chinesische Hersteller mit vier Systemen. Besucht man heute die Lenovo-Server-Webseite, entsteht der Eindruck, als habe sich in den vergangenen fünf Jahren nichts geändert. Im Lenovo-Portfolio finden sich heute wie damals nur einige Tower- und Rack-Server. Richtig "große" Unternehmenslösungen bietet Lenovo nicht an. So ist es nicht verwunderlich, dass der Hersteller auch nicht zu den Top-Sechs der weltweiten Server-Anbieter gehört. Laut aktuellen IDC-Analysen tummeln sich auf den ersten drei Plätzen IBM (35,6 Prozent), HP (24,8 Prozent) und Dell (15,1 Prozent) mit jeweils zweistelligen Marktanteilen. Dahinter folgen in einem respektablen Abstand die Mitbewerber Oracle (4,1 Prozent), Fujitsu (3,4 Prozent) und Cisco (3,3 Prozent).

Wie würde Lenovo von IBM-Servern profitieren?

Lenovo offeriert im hart umkämpften Server-Markt ein übersichtliches Portfolio an x86-Systemen. Im Einzelnen sind das aktuell zwei Tower-Server und vier Rack-Systeme. Die Tower-Geräte wie TS130 und TS430 sind als Single-Socket-Systeme ausgelegt und bieten je nach Modell unterschiedliche Ausstattungsmerkmale. Bei den Rack Servern RD330, RD430, RD530 und RD630 handelt es sich um Zwei-Sockel-Rechner mit Intel-Xeon-Prozessoren, die für unterschiedliche Anwendungsszenarien konzipiert wurden. Neben den kundenspezifischen Ausstattungskonfigurationen bietet der Hersteller auch umfangreiche Garantie- und Support-Leistungen an, die sehr granular an die Kundenwünsche angepasst werden können. Leistungsfähigere Systeme in Form von Vier-Sockel-Servern, wie sie beispielsweise IBM im Programm hat, bietet der Hersteller aber nicht an. Somit adressiert Lenovo mit seinen Produkten eine im Verhältnis zum gesamten Server-Markt relativ kleine Zielgruppe. Darüber hinaus fehlt Lenovo in der DACH-Region schlichtweg der Kundenstamm, der für eine erfolgreiche Server-Strategie erforderlich wäre. Die Übernahme der einschlägigen IBM-Nutzer hätte vor diesem Hintergrund durchaus Sinn ergeben.

IBMs Server-Angebot ist im Vergleich zu Lenovo wesentlich vielfältiger. Im Bereich System-x- Tower-Server stehen den Kunden vier Modelle (System x3100 M4, System x3200 M3, System x3400 M4 und System x3500 M4) zur Auswahl. Die ersten beiden Systeme arbeiten mit nur einem Prozessor, die restlichen zwei können mit bis zu zwei Intel-CPUs bestückt werden. Je nach Modellvariante kann der Kunde auch hier die Konfiguration entsprechend seinen Erfordernissen definieren, inklusive Garantie- und Support-Optionen.

Besonders umfangreich ist das Angebot an IBM-Rack-Servern. Insgesamt bietet der Hersteller aktuell zehn Rack-Systeme an. Davon lassen sich zwei nur mit einer CPU betreiben, sechs erlauben eine Bestückung mit bis zu zwei Prozessoren, die restlichen zwei Systeme erlauben eine Konfiguration mit bis zu vier Recheneinheiten. Bis auf ein Gerät, das mit AMD-CPUs bestückt ist, arbeiten alle übrigen Server mit entsprechenden Intel-Prozessoren. In diesem Segment kann der IBM-Kunde ebenfalls unterschiedliche Systemonfigurationen frei bestimmen und je nach Anwendungsszenario das System mit entsprechenden Features und Support-Optionen ausstatten. Interessant ist die Tatsache, dass IBM für diese Systeme einen breiten Kundenstamm hat. Dieser reicht von kleinen mittelständischen Unternehmen bis hin zu Enterprise-Partnern sowie RZ-Ausrüstern. Die beiden letztgenannten Kundengruppen sind zum Beispiel bei Lenovo unterrepräsentiert.

Ob das Segment der x86-Blade-Server Bestandteil der Verhandlungen zwischen IBM und Lenovo war, ist nicht bekannt. Nach unserer Einschätzung ist dies aber eher unwahrscheinlich, da IBM sich offenbar nur von den sogenannten "Commodity-Systemen" trennen will. Auch benötigt IBM die Blade-Systeme, um das PureFlex- und Flex-System-Angebot aufrechtzuerhalten beziehungsweise weiterzuentwickeln. Denn gerade solche vorintegrierten und flexiblen Gesamtlösungen stoßen bei den IT-Verantwortlichen zurzeit auf großes Interesse. Entsprechende Produkte hat Lenovo nicht im Angebot.

Fazit: Vorteile für IBM und Lenovo

Mit der Übernahme der System-x-Sparte würde Lenovo sein Portfolio an Server-Systemen entscheidend erweitern. Das chinesische Unternehmen könnte auf einen Schlag zum weltweit drittgrößten Server-Hersteller aufsteigen. IBM andererseits hätte ein Sorgenkind weniger und könnte sich auf das Kerngeschäft mit leistungsfähigen Unternehmens-Servern konzentrieren. Zudem würde auch eine hübsche Summe in Big Blues Kasse fließen. Unterm Strich gehörte es schon immer zu IBMs Strategie, sich von Sparten mit Commodity-Produkten zu trennen.

Spannend an einem möglichen Deal ist aber vor allem die Frage, ob IBM-Kunden auch dem "neuen Hersteller" aus China Vertrauen schenken würden. Gerade im Server-Umfeld sind langfristige Planungssicherheit sowie ein zuverlässiger Service und Support für die Kunden oft entscheidend. Würde sich Lenovo diesbezüglich auf ähnlich hohem Niveau wie IBM bewegen, könnte der Hersteller durchaus ein ernstzunehmender Konkurrent für HP und Dell werden.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation TecChannel. (mhr)