IBM und der Normalfall

27.01.1989

Die Reaktionen an der Wall Street auf das IBM-Jahresergebnis (Seite 1) fielen eher lau aus. Hatten die IBM-Watcher mehr erwartet? Ja, keine Frage. So drückt das Urteil der Börse (der IBM-Kurs blieb auf gleichem Niveau) etwas von, der Normalität aus, die im Verhältnis zwischen den Branchen-Beobachtern und Big Blue mittlerweile herrscht. Es wird gesehen, daß dem DV-Giganten bei aller Stärke nur noch wenige Optionen bleiben, die großen Anwenderunternehmen sowie die Konkurrenten nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

Das Markt-Szenario ist heute gekennzeichnet durch zwei Faktoren, die einen Durchmarsch der IBM verhindern. Der eine: Die Mainframe-Kunden (4381, 308X, 3090) folgen nicht mehr wie in Trance dem (aus IBM-Sicht) jeweils optimalen Migrationspfad, sie sind im Gegenteil auf Kostenminimierung aus. So funktioniert nicht mehr, was Zyniker einmal "VB-gesteuerte Systemplanung" genannt haben, bleibt Kapazitätswachstum aus, das exakt den IBM-Ankündigungslinien folgt.

Zugegeben: 308X- und 3090-Anwender sind, was ihre Anwendungssoftware betrifft, gefangen in der geschlossenen Betriebssystemwelt der IBM. Daß ein PCM-Anbieter wie der japanische Konzern Fujitsu Zugang zum MVS-Code erhält, mag da ein gewisser Trost sein - an der grundsätzlichen "Lock-in"-Problematik ändert sich freilich nichts.

Doch eine Lösung zeichnet sich ab - und damit wären wir beim zweiten Punkt: der Entwicklung des Markts in Richtung offener Systeme (Unix, Unix-Ähnliches, auch AIX!). Die Freiheit für eine taktische Rechnerauswahl besteht ja nur, wenn es echte Alternativen gibt, wenn vergleichbare Angebote vorliegen, es für den Anwender also etwas zu beeinflussen gibt. In Unix-Umgebungen wird das möglich sein. Damit würde die IBM ihre Monopolstellung bei systembezogener Software einbüßen. Wann das jedoch sein wird, bestimmen die Anwender letztlich ganz allein.

IBM-Boß John Akers übt sich denn auch in Bescheidenheit und Selbstzweifel, wenn er von einer stärkeren Sensibilisierung der blauen Sales-Armee für die Belange der Kunden als Leitmotiv der langfristigen IBM-Strategie spricht. Das beweist nur, daß er gute Nerven hat - und gute Manieren.