Zielt Allianz auf offene Standards oder Kampfansage an EMC?

IBM und Compaq schließen Pakt für Speichernetze

14.07.2000
MÜNCHEN (ba) - IBM und Compaq wollen zukünftig in puncto Speicherstrategien an einem Strang ziehen. Vorrangiges Ziel sei es, die Interoperabilität der Produktlinien zu garantieren und offene Standards zu entwickeln. Analysten und Kunden hoffen auf neuen Schwung bei den Anbietern, die zuletzt in Sachen Standardisierung eher auf der Stelle traten. Doch wie das Bündnis funktioniert, wird sich erst in der Praxis zeigen. EMC zeigt sich jedenfalls unbeeindruckt vom Schulterschluss der Konkurrenten.

IBM und Compaq haben am 6. Juli dieses Jahres überraschend bekannt gegeben, in Zukunft gegenseitig die Interoperabilität ihrer Speicherprodukte zu garantieren. Das gilt für Hard- und Softwarekomponenten in einem Storage Area Network (SAN). Ferner planen beide Unternehmen, die Produkte des neuen Partners in das eigene Portfolio einzubauen und zu vertreiben. So wird Big Blue beispielsweise die Speichersubsysteme mit der "Modular Array Technology" aus Compaqs "Storageworks-8000"-Linie sowie die "Versastore"-Technologie anbieten. Auch die "Sanworks"-Speicherapplikationen der Texaner sollen in die IBM-Produktlinien einfließen. Compaq will im Gegenzug Big Blues "Shark"-Speichersysteme sowie die Management-Applikationen aus dem Hause Tivoli neben den eigenen Storage-Produkten verkaufen.

Parallel zu dieser ab sofort geltenden Cross-OEM-Vereinbarung wollen beide Bündnispartner etwa eine Milliarde Dollar investieren, um die Speicherprodukte in den Testlabors aufeinander abzustimmen. Laut Bernhard Hinderer, Produkt-Manager für den Speicherbereich bei Compaq, sollen die ersten auf gemeinsamen Standards basierenden Geräte bereits im zweiten Halbjahr 2000 auf den Markt kommen. Über die Vertragsdauer wollte sich keine der beteiligten Parteien äußern. Compaq-Vertreter sprachen lediglich von einem langfristigen Bündnis.

Die Analysten beurteilen die Aussichten für die frisch geschmiedete Speicherallianz unterschiedlich. Nach Meinung von Nick Allen, Vice President für den Storage-Sektor bei der Gartner Group, gibt es bei diesem OEM-Deal nur Gewinner. Die Kunden könnten zukünftig auf eine breitere Produktpalette bauen, deren Interoperabilität gesichert sei. Compaq sei nun in der Lage, mit den Shark-Systemen ein Highend-Produkt anzubieten, und verbreitere die Basis für seine Versastor-Technik. IBM auf der anderen Seite ergänze sein Portfolio im Open-Systems-Bereich, wo die Armonker bislang hinterherhinkten.

Auch Norbert Deuschle, Speicherexperte der Meta Group Deutschland, schätzt die Vereinbarung als bedeutsam ein: "Das ist ein Versuch zweier Großer im Speichergeschäft, im Sinne der Kunden zusammenzuarbeiten." Durch das Bündnis gebe es von jetzt an ein stärkeres Gegengewicht zur von EMC dominierten Fibre Alliance (FA). Deuschle glaubt jedoch nicht, dass sich die Fronten verhärten werden. So beständen auf der technischen Seite bereits Berührungspunkte zwischen beiden Lagern.

Was die künftige Entwicklung der Standards betrifft, ist Deuschle optimistisch. "Die Karten sind jetzt etwas klarer verteilt", glaubt der Marktforscher. Die Allianz zwischen Compaq und IBM werde den Open-SAN-Gedanken weiter fördern. Auch die Storage Networking Industry Association (Snia) werde von dem Bündnis profitieren, und letztendlich könne sich auch EMC nicht selbst ins Abseits stellen und gemeinsamen Standardbemühungen verweigern. Dies würden die Kunden heute nicht mehr tolerieren.

Als direkten Angriff auf EMC will Deuschle die Allianz nicht unbedingt werten. Allerdings werde der Druck auf das Storage-Unternehmen aus Hopkinton, Massachusetts, größer. Gerade die breiteren Vermarktungsmöglichkeiten der Shark-Systeme würden die Symmetrix-Manager von EMC zu spüren bekommen, glaubt der Marktforscher. Auch Bob Zimmermann, Analyst bei der Giga Information Group, geht davon aus, dass EMC sich etwas einfallen lassen muss, um den Erfolg seiner Symmetrix-Serie auf lange Sicht zu garantieren.

EMC reagiert dennoch gelassen auf die Ankündigung der Konkurrenz. Laut Malte Rademacher, Marketing-Leiter in Deutschland, ändert sich vorerst fast nichts an der eigenen Wettbewerbssituation. Vielmehr zeige die Vereinbarung, dass es bei Compaq und IBM im Speichergeschäft bislang nicht wunschgemäß gelaufen sei. Compaq gebe praktisch zu, im Highend-Sektor kein konkurrenzfähiges Produkt zu besitzen. IBM auf der anderen Seite habe offensichtlich nicht die anvisierten Absatzzahlen für seine Shark-Speicher erreicht und offenbare auch seine Defizite im Storage-Midrange-Sektor. "Da tun sich zwei Fußkranke zusammen", resümiert Rademacher.

Mark Frederickson, Sprecher des US-amerikanischen Speicherriesen, schlägt in die gleiche Kerbe: "Das Bündnis ist ein Verzweiflungsakt zweier Firmen, die Löcher in ihren Produktlinien haben." Auch von der einen Milliarde Dollar, die das Bündnis in die Forschungslabors investieren will, zeigt sich Rademacher wenig beeindruckt. EMC werde allein in den nächsten beiden Jahren über 2,5 Milliarden Dollar in die Entwicklung und Forschung sowie die Interoperability-Labs stecken. Wenn zwei Computergiganten wie IBM und Compaq nicht mehr als eine Milliarde Dollar zusätzlich für den Speicherbereich lockermachten, zeige dies, dass beide Unternehmen im Grunde Server-Companys blieben.

Was die Standards betrifft, glaubt Rademacher, bereits in acht bis zwölf Monaten wesentliche Fortschritte zu sehen. Die Vorschläge der FA lägen bereits bei der Snia und der Internet Engineering Task Force (IETF), und es sei nur die Frage, wie schnell die bürokratischen Mühlen konkrete Ergebnisse hervorbrächten. Wann das genau sein wird, kann der EMC-Manager nicht abschätzen. "Diese Standardgremien führen ein Eigenleben, so dass eine Vorhersage sehr schwierig ist." Allerdings hofft Rademacher auf erste Entscheidungen noch in diesem Herbst.

Der Wettbewerb macht Rademacher keine Angst. Dort könne EMC sogar von der Speicherallianz der Wettbewerber profitieren. Nach Ansicht von Steve Duplessie, Gründer der Enterprise Storage Group, werden die Vertriebsmannschaften von IBM und Compaq in den nächsten Monaten kein leichtes Leben haben. Beide Seiten führen das gleiche Produktportfolio und müssen dennoch gegeneinander arbeiten. Lachender Dritter bei dieser Auseinandersetzung könnte EMC sein, glaubt der Analyst.

Auch Deuschle warnt vor möglichen Vertriebsproblemen. Beide Parteien dürften nicht vergessen, dass sie auch Gegener seien. So stehen sich die Unternehmen gerade im Server-Geschäft als Konkurrenten auf dem Markt gegenüber, erklärt der Analyst. Erst in der Praxis werde man sehen, wie das Abkommen auf der Vertriebs- und Marketing-Seite funktioniere. Reibungspunkte seien aber vorprogrammiert.

Compaq und IBM präsentieren sich vorerst jedoch als die großen Speicherwohltäter, die nur die Interessen der Anwender im Blick hätten. Compaq-CEO Michael Capellas räumt ein, dass die Interoperabilitätsprobleme den Anwendern bislang schlaflose Nächte und Kopfschmerzen bereitet hätten. Doch dies werde nun anders. Linda Sanford, General Manager für den Storage-Bereich bei IBM, betont, die Allianz werde alle Standardbemühungen im Einklang mit der Snia betreiben und nicht versuchen, diese zu ersetzen. Compaq-Manager Hinderer lädt andere Hersteller ein, sich dem neuen Bündnis anzuschließen. "Wir sind kein exklusiver Klub, wo sich zwei zusammenraufen, um damit den Markt abzuschotten."

Die Resonanz auf diese Einladung ist jedoch verhalten. EMC-Mann Rademacher will zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht so recht an eine einmütig agierende Speichergemeinschaft glauben. IBM bleibe der Hauptwettbewerber. Zwar gebe es auf der Lieferantenseite Beziehungen, auf der Vertriebsseite jedoch stehe man beim Kunden in einem "knochenharten Wettbewerb".

SAN-Anbieter haben von Streitigkeiten profitiertDie Anwender interessieren sich jedoch kaum für die Streitereien und Schachzüge der Hersteller. Sie sind die ewigen Standarddiskussionen leid. Viele Speicherverantwortliche haben es aufgegeben, dort selbst eingreifen zu wollen. Ulrich Dahmann, Leiter für Organisation und Informationstechnik am Münchner Klinikum Großhadern, betreut momentan die Ausschreibung für ein SAN-Projekt. Wichtigste Voraussetzung für ihn ist: Alle Bestandteile des Speichernetzes müssen von einem Anbieter kommen, von der Hardware bis zu den Services. Der Anbieter müsse die Funktion des Speichernetzes garantieren. Mit dieser Strategie will sich Dahmann jeden Streit um mögliche Interoperabilitätsprobleme von Anfang an vom Hals schaffen.

Auch für Harald Feichtinger, zuständig für die Hard- und Softwareplanung bei der Österreichischen Postsparkasse in Wien, ist dies die einzig richtige Strategie. Dieser Partner muss die Funktion des SANs garantieren. "Zeit für langwierige Tests haben wir nicht", begründet der IT-Manager.

Den etablierten Speicherfirmen kamen in der Vergangenheit die Streitigkeiten nicht ungelegen, glauben die Analysten von Merrill Lynch. Nach ihrer jüngsten Einschätzung könnten Firmen wie EMC auf einer breiten Marktbasis von installierten Systemen aufbauen. Da die Speicherkunden mehr oder weniger von den Herstellern abhängig sind, müssten diese nicht fürchten, dass ein Konkurrent die im Netz der eigenen Speicherstrategie zappelnden Kunden wegschnappt. Einmal EMC - immer EMC, so lautet das Fazit. Denn kaum ein Anwender wird seine Speicherinfrastruktur komplett gegen die Geräte eines anderen Herstellers austauschen und damit bereits getätigte Investitionen entwerten.

Neben dem Mangel an Standards kritisieren viele Speicherkunden auch die fehlenden Management-Tools. Philip Kilburn, Systemberater der Bank of America, hat die Hoffnung aufgegeben, von den Speicheranbietern ein Werkzeug zu bekommen, mit dem er seine heterogene Storage-Infrastruktur administrieren kann. "Ich muss 17 Datenzentren verwalten, die auf drei Kontinente verteilt sind", klagt der DV-Mann. "Die Hersteller haben keine Fortschritte gemacht, und wir als Kunden müssen das ausbaden."

Der Zwist der Großen hilft den KleinenVon den Streitigkeiten der großen Anbieter profitiert so manche kleine Firma. Mittlerweile geben auch viele Anwender den Nobodys im Speichergeschäft eine Chance. So sah sich beispielsweise Dick Boyle, Vice President für das Privatkundengeschäft der New Yorker Chase Manhattan Bank, im Rahmen einer Server-Konsolidierung mit der Aufgabe konfrontiert, etwa 3 TB Daten neu zu verteilen. Der Manager entschied sich für ein SAN. Allerdings griff Boyle dabei nicht auf die Produkte der großen Anbieter zurück, sondern baute seine Lösung auf Switches von Gadzoox und der Speicherapplikation "Sansymphony" von Data Core Software auf.

Damit lassen sich laut Hersteller alle in einem Netz zusammengeschalteten Speicherressourcen, egal ob dedizierte Storage-Systeme oder an Server gekoppelte Speicher, als ein Speicherpool verwalten. Das Programm arbeite mit allen verfügbaren Plattenspeichern zusammen und laufe auf Plattformen wie Windows, den Unix-Derivaten AIX, HP-UX, Solaris sowie auf Linux-Systemen, erklärt ein Firmensprecher.

Die Kombination der Switches und Sansymphony habe eine einfache und funktionierende Speicherinfrastruktur geschaffen, erzählt Boyle. "Außerdem kann ich ruhig schlafen, weil ich nur knapp über 200000 Dollar dafür ausgegeben habe und nicht mehr als eine Million."

Kunden warten nicht mehr lange auf ein SANLaut einer von IBM in Auftrag gegebenen Studie der International Data Group (IDG) nimmt die Bedeutung von SANs für die DV-Verantwortlichen in den Unternehmen weiter zu. 51 Prozent der 300 befragten US-amerikanischen IT-Spezialisten gab an, sich mit der Implementierung eines Speichernetzes zu beschäftigen. Vor neun Monaten antworteten 45 Prozent positiv auf die gleiche Frage.

Die Urheber der Untersuchung "Promise of SANs" fragten weiter nach den Vorteilen eines dedizierten Speichernetzes. An erster Stelle nannten die DV-Manager die erhöhte Leistungsfähigkeit eines SANs im Vergleich zu herkömmlichen Speicherarchitekturen. Für 85 Prozent der Befragten bietet die verbesserte Skalierbarkeit einen wichtigen Vorteil. Weitere Argumente für ein SAN sind eine höhere Verfügbarkeit der Daten, die effizientere Verwaltung und Kontrolle des Informationsbestandes sowie Einsparungen bei den Arbeitskosten und dem Speicherequipment.

Laut der IDG-Studie könnten die Armonker die Bedürfnisse der Speicherkunden am ehesten befriedigen. Auf die Fragen, welcher Hersteller die Interoperabilität beziehungsweise offene Standards am besten voranzutreiben vermöge, lag Big Blue mit 16 und 15 Prozent der Antworten vorne. Die nachfolgenden Firmen EMC, Hewlett-Packard, Compaq und Sun Microsystems kamen auf Werte zwischen vier und 14 Prozent.

Das sind keine besonders überzeugenden Quoten. Rechnet man die Zahl der Nennungen der großen Anbieter zusammen, ergibt das bei beiden Fragen etwa einen Anteil von 50 Prozent. Die andere Hälfte der Befragten traut im Umkehrschluss offensichtlich keinem der renommierten Speicheranbieter zu, die Entwicklung offener Standards voranzubringen.