"Eigene" Anwendungsprogramme sollen Mikro-Absatz Big Blues forcieren:

IBM strebt Regie im PC-Softwaremarkt an

08.06.1984

FRANKFURT/STUTTGART - Um das nach wie vor schleppende Geschäft mit ihrem "Personal Computer" (PC) anzukurbeln, hat sich die IBM jetzt entschlossen, den Vertrieb von Anwendungssoftware für den PC selbst in die Hand zu nehmen. Unter eigenem Label will der Marktführer in diesen Tagen drei "Butter-und-Brot"-Pakete vorstellen, die von einem kleinen Fremdanbieter - der HS Hamburger Softwarehaus GmbH - gestrickt wurden. Für etliche unabhängige Programmierbüros, die sich in den letzten Jahren ins PC-Getümmel stürzten, könnte das IBM-Engagement zum Überlebensproblem werden.

Obwohl das Mikrogeschäft der IBM vor allem in Großunternehmen allmählich anläuft, gelten die bisherigen Absatzerfolge des Branchenleaders - gemessen an dessen Mainframe-Marktdominanz - nach wie vor als äußerst mager. Dabei sind die Verkaufsresultate beim Erstanwender oder kleinen Mittelständler offensichtlich am schlechtesten. Wie aus IBM-Kreisen zu erfahren ist, wurden bislang nur knapp 20 Prozent der Personal Computer - selbst bei wohlwollender Schätzung also 2000 Rechner - in diesem Marktsegment abgesetzt.

Mit der jetzt eingeläuteten Software-Aktion will die IBM nach Ansicht von Marktbeobachtern nicht nur den hierzulande erfolgreicher operierenden Mikro-Anbietern wie Apple oder Commodore, sondern auch den klassischen MDT-Anbietern, die mit ihren etablierten Anwendungsprogrammen noch immer einen Vertrauensvorsprung beim DV-Einsteiger genießen, einen Denkzettel verpassen. Daß dabei auch kleine Softwareanbieter in die Schußlinie geraten, die dem Marktführer ursprünglich den Weg zum Benutzer ebneten, scheint indes eher eine Begleiterscheinung zu sein. Zumindest aber räumte IBM bei ihrer Strategie-Kosmetik den am PC orientierten Programmvermarktern eine Chance ein: Bei der Auswahl geeigneter Standardpakete wurden zahlreiche Anbieter angesprochen, die ihre Produkte präsentieren durften.

Als Sieger bei dieser bisher einmaligen "TÜV"-Aktion des Computerchampions ging die bislang noch weitgehend unbekannte HS Hamburger Softwarehaus GmbH hervor. Die Hanseaten sollen fortan die Programmpakete Lohn und Gehalt, Lagerhaltung und Fakturierung sowie Finanzbuchhaltung an die Frankfurter IBM Produktvertrieb GmbH liefern, die dort als Disketten- und Plattenversion auf allen gängigen PCs zum Einsatz kommen sollen.

Vertraten IBM-Verantwortliche bislang die Ansicht, es sei besser, sich aus dem entwicklungsintensiven und in der Regel wenig lukrativen Geschäft mit vertikaler Software herauszuhalten, so müssen sie jetzt den beim PC-Entree eingeschlagenen Kurs korrigieren. Egbert Heitmann, Inhaber des Hamburger Softwarehauses, bezeichnete die neue Marschrichtung Big Blues denn auch als "gewaltige Trendwende". Der HS-Chef kann sich freuen: Während IBM lediglich die Lizenz an seinen Programmen erwarb, behält er nach eigenen Aussagen alle Rechte an den Produkten, kann sie zudem weiterhin in eigener Regie vermarkten und erhält obendrein einen monatlichen Copyright-Scheck aus Frankfurt.

Klagen über die Software-Qualität

Wenngleich Heitmüller künftig mit einem unverhofften Geldregen rechnen kann, machten ihm die PC-Vertreiber aus der Rhein-Main-Metropole den Software-Deal nicht leicht. So habe er zwar bereits zahlreiche Standardpakete verkauft, mußte aber die Basisprogramme komplett auf die IBM-Anforderungen zuschneiden. Dabei wurde laut Heitmüller die gesamte "Benutzeroberfläche" überarbeitet und verbessert. Die jetzt angebotene zweite Version seiner Anwendungssoftware soll ab Ende August oder Anfang September in den Auslagen der IBM-Distributoren und -Computershops stehen.

An der Entscheidung des Marktführers, gezielt den PC-Softwaremarkt anzugehen, wirkte offensichtlich auch die Händlerschaft maßgeblich mit. Dr. Friedrich Schuh, Ex-Vorstandsmitglied bei Philips und jetzt als Unternehmensberater im Händlerbeirat der IBM-Produktvertrieb GmbH aktiv, berichtet von einer Veranstaltung der Frankfurter während der letzten Hannover-Messe, bei der die PC-Dealer ihre Probleme offen auf den Tisch legten. Von zehn Klagen, die seitens der Distributoren diskutiert wurden, so Schuh, gingen neun in Richtung Software. Konstatiert der Unternehmensberater: "Im Mikrocomputermarkt können nur Anbieter langfristig bestehen, die eine Gesamtlösung anbieten." Die IBM habe mit ihrer Software-Initiative einen logischen Schritt getan, um nicht DV-Einsteiger vollends an die Konkurrenz zu verlieren.

Qualitätseindruck erwecken

Glaubt man den Aussagen von IBM-Händlern, so war in der Tat das bislang mangelnde Programmangebot des Marktführers ausschlaggebend für den ausgebliebenen Absatzerfolg beim Mittelstand. Bei der Vielzahl der inzwischen angebotenen Lösungen bekomme der Benutzer zunehmend Orientierungsprobleme. Die meisten Programme seien zudem noch nicht ausgereift und häufig mit gravierenden Macken versehen. Selbst bei Empfehlungen der Hersteller reagieren die Benutzer noch immer betont vorsichtig, da sich inzwischen herumgesprochen habe, daß auch diese Lösungen nicht genügend ausgetestet seien, sagen Mikrostrategen.

Die Programmvielfalt schreckt nach Meinung von Gerhard Pleil, Ex-Marketingchef bei Apple und jetzt freier Unternehmensberater in Stuttgart, obendrein zahlreiche Gewerbetreibende davon ab, sich auf ein PC-Abenteuer einzulassen. Potentielle Mikrokunden aus der mittelständischen Wirtschaft hätten weder Zeit noch Lust, dutzendweise Programme auf ihre Funktionalität hin zu untersuchen. Schon gar nicht seien sie in der Lage, einzelne Kriterien miteinander zu vergleichen, um das für sie akzeptable Paket auszuwählen. "Bereits ein Finanzbuchhaltungsprogramm", so Pleil, "ist für den DV-Einsteiger ein Buch mit sieben Siegeln." Den jetzt von IBM angebotenen Softwarepaketen räumt Pleil indes große Vermarktungsperspektiven ein. Grund: Ein Softwareprodukt, das den Stempel des Marktführers trage, erwecke beim "normalen", fachunkundigen Benutzer den Eindruck hoher Qualität.

Skeptisch über diese These zeigt sich jedoch Pleils einstiger Mitstreiter beim Münchner Mikro-Maker, Apple-Vertriebschef Udo Mäder. Auch er glaubt an einen Absatzerfolg des Marktführers, der sich zwar in den verkauften Stückzahlen, keineswegs aber in barer Münze niederschlagen werde. Mäder spricht aus Erfahrung: Apple habe bereits vor Jahren diese Strategie eingeschlagen, erklärt der Vertriebsmanager, allerdings nur mit mäßigem Resultat. Vertreibe ein Mikroanbieter ein fremdes Softwareprodukt unter eigenem Namen, so bleibe für ihn kaum ein Markt übrig. Neben den üblichen Marketing- und Werbemaßnahmen müsse auch in umfangreiche Händlerschulungen investiert werden. Außerdem registrierte Apple zahlreiche Sonderwünsche der Anwender. "Der eine will das Datum links oben, der andere rechts unten", verdeutlicht Mäder. Die meisten Händler verfügten jedoch nicht über die erforderlichen Ressourcen, um derartige Änderungen durchzuführen. Wie der Apple-Vertriebschef, so vertreten auch andere Mikroanbieter die Auffassung, daß die begleitende Vermarktung von PC-Software lediglich helfe, den Hardwareverkauf zu forcieren.

Der Startschuß der IBM im Mikro-Softwaremarkt könnte sich nach Ansicht von Benno Hilmer, Geschäftsführer des niederländischen Programmanbieters Holland Automation in Düsseldorf, indes existenzgefährdend für die zahlreichen kleinen Softwarehäuser auswirken. Die Mitläufer der PC-Programmierzunft hätten jetzt nur noch dann eine geschäftliche Perspektive, wenn sie sich in Verbindung mit exzellenter Branchenkenntnis auf die verbliebenen Nischen konzentrierten. Bekräftigt Hilmer: "Softwareanbieter, die vor dem Hintergrund der veränderten Marktlage noch auf die von IBM angegebenen Butter-und-Brot-Lösungen bauen, fallen hinten runter."

Eine Gewitterfront sieht auch der Chef der IDC Deutschland GmbH, Erik Hargesheimer, über die PC-Programmierbüros heraufziehen. Der Wiesbadener Marktforscher will dabei eine Doppelstrategie des Branchenführers ausgemacht haben. Die IBM befreie sich durch ihr Software-Engagement zunächst von der bisherigen Abhängigkeit durch die zahlreichen Programmanbieter und setze gleichzeitig ein Bollwerk gegen die bevorstehende Mikroschlacht mit den Japanern. "Wer heute den PC-Softwaremarkt beherrscht", so Hargesheimer, "macht künftig auch das Geschäft mit der Hardware."