Europas Halbleiterinitiative begrüßt den ersten Amerikaner

IBM steigt bei Jessi ein, der ICL-Verbleib ist fraglich

07.12.1990

MÜNCHEN (bk) - Noch keine endgültige Entscheidung hat das Jessi-Board über den Verbleib ICLs in Projekten des europäischen Mikroelektronikforschungsprogramms getroffen. Dafür steht jetzt aber fest, daß sich die Europazentrale des amerikanischen Computerriesen IBM fortan an Jessi beteiligen darf.

Seit der japanische Elektronikkonzern Fujitsu ein Übernahmeangebot für den Computerhersteller ICL unterbreitete, scheiden sich in Europa die Geister, ob das britische Unternehmen noch an europäischen Forschungsprojekten mitwirken soll. Einerseits besteht die Meinung, ein von den Japanern kontrolliertes europäisches Unternehmen müsse von derartigen Programmen wie Jessi ausgeschlossen werden. Andere wiederum wiegeln ab mit dem Argument, ICL bleibe ein europäisches Unternehmen - es wechsle schließlich nur der Besitzer, nicht der Standort von Forschung, Entwicklung und Fertigung.

ICL derzeit an fünf Jessi-Projekten beteiligt

Mit der Zukunft ICLs beschäftigte sich jetzt das Jessi-Board auf einem Vorstandstreffen München. Ergebnis: Mit der Übernahme ICLs durch Fujitsu ergeben sich wesentliche Veräderungen der Projektbedingungen, so daß alle Projekte mit Beteiligung der Engländer entsprechend den Jessi-Regeln einzeln neu betrachtet werden müssen.

Dies bedeutet laut Sprecher Klaus H. Knapp, daß in den kommenden Wochen jedes Projekt, in dem ICL mitarbeitet, dahingehend untersucht wird, welche Rolle die Briten bislang darin spielten und wie sich ihre zukünftige Teilnahme gestalten könnte. Erste Ergebnisse dieser Analyse werden im Januar nächsten Jahres erwartet.

Insgesamt ist ICL derzeit an fünf Jessi-Projekten beteiligt hat aber laut Knapp bei keinem die Federführung. Erleichternd käme hinzu, so der Konsortiums-Sprecher weiter, daß sich alle diese Vorhaben derzeit in der Startphase befänden. In dieser werden die organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführungsphase erarbeitet.

Da sie im nächsten Jahr enden und dann ohnehin neue Verhandlungen anstanden sowie neue Regelungen diskutiert werden müßten, habe man ausreichend Zeit, eine Entscheidung in Sachen ICL zu finden.

Sollten die Briten als japanischer Ableger weiterhin an den Jessi-Forschungsvorhaben teilnehmen, so zieht die Forschungsinitiative in Sachen Mikroelektronik, die einst als europäischer, Zusammenschluß gegen die Konkurrenz ans Übersee gegründet wurde, immer weitere Kreise. Definitiv fest steht nämlich nun auch, daß sich IBM Europa fortan am Jessi-Programm beteiligen darf. Damit wurde erstmals einem Unternehmen Zugang gewährt, dessen Herkunft nicht europäischer Art ist.

Eine Voraussetzung für IBMs Teilnahme war die Annäherung zwischen Jessi und dem amerikanischen Pendant Sematech (Semiconductor Manufacturing Technology) gewesen. Diese kam im Laufe des Jahres zustande, so gaben die beiden Organisationen bei einem Treffen im September den Startschuß für die Durchführungsphase eines Programms zur gemeinsamen Entwicklung von technischen Gerätenormen. Darüber hinaus wurden neue Arbeitsfelder ausgemacht, bei denen eine wechselseitige Nutzung von Erfahrungen und Technologien für die jeweiligen Mitglieder der beiden Konsortien und für ihre Zulieferanten von Vorteil wären, und neue gemeinsame Gruppenaktivitäten erörtert.

Auf der jüngsten Vorstandssitzung wurden denn auch im Unterprogramm "Technologie" die Kontakte zur Sematech, bestätigt und auf eine offizielle Basis, gestellt. Damit wiederum machte das Jessi-Board den Weg für IBM Europa frei. Der Vorstand erteilte dem Computerkonzern die Zustimmung für zwei Projekte, die IBM Anfang des Jahres eingereicht hatte. Sie befassen sich mit der Lithografie im tiefen Ultraviolett und mit der Herstellung von Gate-Dielektrika durch schnelle thermische Prozesse.