Vorwurf falscher Bilanzierung

IBM soll Cloud-Erlöse künstlich aufgepumpt haben

08.04.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Angeblich hat das IBM-Management Mainframe-Einnahmen als Umsätze für Zukunftsthemen wie die Cloud verbucht, um höhere Boni einzustreichen. Investoren haben deshalb in den USA Klage gegen IBM eingereicht.
Um sein Cloud-Geschäft schön zu rechnen, soll IBM Einnahmen aus anderen Bereichen entsprechend "kreativ" verbucht haben.
Um sein Cloud-Geschäft schön zu rechnen, soll IBM Einnahmen aus anderen Bereichen entsprechend "kreativ" verbucht haben.
Foto: Irina Anosova - shutterstock.com

Konkret soll IBM Einnahmen aus dem lukrativen, aber wenig zukunftsträchtigen Mainframe-Geschäft in strategische, für die Entwicklung des Unternehmens wichtigere Geschäftsfelder umgeleitet haben. Die Klage wurde am 5. April vor einem Gerichtshof im südlichen Bezirk von New York eingereicht. Beschuldigt werden neben IBM als Firma auch die langjährige IBM-CEO Virginia Rometty und der ehemalige Finanzchef Martin Schroeter, der heute als Chef des IBM-Spin-off Kyndryl fungiert, sowie die amtierenden Geschäftsführer Arvind Krishna (CEO) und James Kavanaugh (CFO).

IBM "hat in unzulässiger Weise und unter Verstoß gegen die allgemein anerkannten Rechnungslegungs-Grundsätze (Generally Accepted Accounting Principles - GAAP) einen betrügerischen Plan verfolgt, um Einnahmen in Milliardenhöhe von seinem Mainframe-Geschäftsbereich in die Bereiche Strategic Imperatives und CAMSS zu verlagern", heißt es in der Anklageschrift. CAMSS steht für Cloud, Analytics, Mobile, Social und Security. IBM hatte diesen Zukunftsmarkt bereits 2014 in der Ära Rometty definiert und angesteuert. 2015 wurde die neue Ausrichtung mit dem Begriff Strategic Imperative (SI) umschrieben. Rometty hatte IBM als Nachfolgerin von Samuel Palmisano von Anfang 2012 bis Ende 2020 geführt.

Die Investoren fordern im Rahmen der Wertpapier-Sammelklage Schadensersatz. Wie viel, ist noch nicht bekannt. Mit den Bilanzmanipulationen hätten die IBM-Verantwortlichen dem Markt Erfolge in wichtigen CAMSS-Zukunftsmärkten vorgegaukelt und selbst höhere Boni eingestrichen. IBMs Annual Incentive Program (AIP) habe die Führungskräfte dazu verleitet, den Aktienkurs künstlich in die Höhe zu treiben. Um den Erfolg des Bonus-Programms sicherzustellen seien IBM-weit viele Tausend hochrangige Mitarbeiter in das AIP-Programm eingebunden gewesen.

Unter Ex-IBM-CEO Ginny Rometty wurden die umstrittenen Boni-Regeln eingeführt, die offenbar dazu geführt haben, dass Umsätze in den Bilanzen verschoben wurden.
Unter Ex-IBM-CEO Ginny Rometty wurden die umstrittenen Boni-Regeln eingeführt, die offenbar dazu geführt haben, dass Umsätze in den Bilanzen verschoben wurden.
Foto: IBM

Hat IBM die Finanzmärkte in die Irre geführt?

Im März 2018 soll ein Mitarbeiter eine E-Mail an die damalige Senior Vice President (SVP) von IBM und Chief Human Resources Officer Diane Gherson geschrieben und um ein Treffen gebeten haben, berichtet der britische IT-Nachrichtendienst "The Register". Dabei sei es um ethische Bedenken im eigenen Geschäft gegangen. Der Mitarbeiter habe um Vertraulichkeit gebeten, weil seiner Einschätzung nach das Top-Management involviert sein könnte. The Register hat eigenen Angaben zufolge die Korrespondenz einsehen können. Demzufolge umfassten die Bedenken des Mitarbeiters auch den Vorwurf, IBM wolle womöglich die Finanzmärkte in die Irre führen.

Im Zuge der aufkommenden Bedenken innerhalb des eigenen Managements beendete IBM dann sein CAMSS-basiertes Vergütungssystem. Boni orientieren sich seitdem am Gesamtumsatz. Um den angeblichen Betrug zu vertuschen, habe IBM dann damit begonnen, Manager und Mitarbeiter zu entlassen, die an dem ehemaligen Bonus-System beteiligt waren. "Intern war die Verwendung des Begriffs Strategic Imperatives zu einem Problem geworden, da die Mitarbeiter die Taktik in Frage stellten, mit der die Umsätze von Nicht-strategisch auf Strategisch verschoben wurden", heißt es in der Anklageschrift. Tausende von IBM-Kundenbetreuern seien entlassen, andere hochrangige Führungskräfte in neue Abteilungen oder Positionen versetzt worden. Das Ziel: "Den betrügerischen Plan zu vertuschen und den Markt dazu zu bringen, sich nicht mehr auf die Strategic Imperatives als Kennzahl für die finanzielle Entwicklung zu konzentrieren oder sie zur Bewertung der Unternehmensleistung zu verwenden."

Wer Bedenken äußerte wurde gefeuert oder kalt gestellt

Die angeblichen Bilanzmanipulationen bei IBM sollen System gehabt haben. The Register berichtet, IBM habe Kunden mit klassischen Softwarelizenzen dazu gedrängt, Cloud-Services zu kaufen, statt bestehende Lizenzverträge zu verlängern. An der Nutzung der laufenden Software würde sich indes nichts ändern. Die Cloud-Dienste müssten nicht genutzt werden. IBM habe die Einnahmen jedoch als Cloud-Umsätze verbuchen können.

Wer Bedenken gegen diese Geschäftspraktiken äußerte, bekam den Informationen zufolge Probleme. The Register seien mehrere Beschwerden ehemaliger IBM-Mitarbeiter bei der amerikanischen Arbeitsschutzbehörde bekannt. Diese behaupten, sie seien von IBM bestraft worden, weil sie ethische Bedenken geäußert und Fehlverhalten gemeldet hätten. Zuletzt waren zudem Vorwürfe laut geworden, der IT-Pionier wolle in den USA systematisch ältere Mitarbeiter loswerden. IBM wollte die Klage der Investoren bis jetzt nicht kommentieren.