Bis Mitte der Dekade mehrere Milliarden Dollar Umsatz geplant

IBM sieht im OEM-Geschäft die Chance zu mehr Marktanteilen

24.05.1991

NEW YORK (CW) - Die IBM Corp. hat sich offenbar entschlossen, ihren Marktanteil als Original Equipment Manufacturer (OEM) in die Höhe zu schrauben. Die Armonker wollen nicht nur fast alle ihre Hardwareprodukte inklusive ihrer Mainframes der Konkurrenz zum Weiterverkauf anbieten, sondern laut "Wall Street Journal" auch Software und Service anderen Vertreibern zur Verfügung stellen. Die ebenfalls selbst produzierten Speicher-Chips will man allerdings auch weiterhin nur in den eigenen Produkten verwenden.

Die etwa dreistelligen Millionenbeträge, die die IBM Corp. bereits heute als OEM-Lieferant einnimmt, reichen ihr offenbar in Zeiten der rapiden Marktveränderungen und der immer stärker werdenden japanischen Konkurrenz nicht mehr aus. In der Konzernzentrale ist man deshalb entschlossen, bis Mitte der neunziger Jahre mehrere Milliarden Dollar in diesem weltweit auf insgesamt 100 Milliarden Dollar geschätzten Markt umzusetzen. Ein solcher Schritt würde außerdem die riesigen Fertigungskapazitäten auch weiterhin auslasten, was Big Blue die teuren Stellenstreichungen der letzten beiden Jahre künftig ersparen könnte.

Erst kürzlich kündigte IBM zwei OEM-Deals an: Einen hat sie mit der Reply Corp. über Peripherieprodukte geschlossen, die in die Systeme des kalifornischen Unternehmens integriert werden sollen. Der andere Vertrag gibt der Mitsubishi Corp. Japan das Recht, einige der bis dahin von solchen Verträgen unberührten IBM-Mainframes weltweit unter eigenem Label zu verkaufen. Dem Pressesprecher der IBM Deutschland, Michael Erben, zufolge handelt es sich dabei um sechs Typen der ES/ 9000-Reihe, und zwar um die Modelle 190, 210, 260, 320, 440 und 480.

Gegenüber dem "Wall Street Journal" erklärte der in Armonk für das OEM-Geschäft zuständige Vice-President Bill Bowles, daß in diesem Jahr noch weitere Ankündigungen folgen und daß 1992 mit mindestens einer Ankündigung pro Monat gerechnet werden müsse.

Sollte die IBM als OEMer großen Stils erfolgreich sein, könnte sie ein großes Stück des Kuchens erobern, von dem sich bereits eine ganze Reihe Mitbewerber ernähren. Vor allem kleinere Hersteller - beispielsweise von PC-Plattenlaufwerken - werden durch diese Aktivitäten bedroht, weil die Armonker hier sehr konkurrenzfähige Produkte aufbieten können.

Das Image steht auf dem Spiel

Um den Plan in die Tat umsetzen zu können, müssen die Armonker allerdings erst einmal die Konkurrenz trotz des ausgeprägten Feindbildes dazu bringen, IBM-Produkte zu kaufen. Gleichzeitig kann Big Blue nur sehr vorsichtig agieren, weil die Konzernstrategen verhindern wollen, daß der Wettbewerb IBM-Geschäftsfelder erobert.

Darüber hinaus besteht das Risiko, Image zu verlieren, wenn IBM-Produkte in Systeme eingebaut werden, die sich als fehlerbehaftet oder minderwertig herausstellen.

Der OEM-Plan wird vor allem für den europäischen Markt von großer Bedeutung sein, weil sich dort die Spielregeln für Big Blue langsam, aber sicher verändern. Hitachi ist nämlich bereits mit den OEM-Partnern Comparex und Olivetti erfolgreich. Das gilt auch für Fujitsu, deren langfristiger OEM-Vertrag mit ICL im vergangenen Jahr zur Übernahme des britischen Unternehmens geführt hat. Über kurz oder lang muß außerdem mit NEC als drittem japanischen Player gerechnet werden. NEC verhandelt zur Zeit mit Groupe Bull über eine Beteiligung. Die IBM hat sich wohl auch deshalb entschieden, ins OEM-Geschäft einzusteigen, weil sie verhindern will, daß sich die Japaner auf diesem Weg noch weitere der schwächlichen europäischen Hersteller einverleiben.

Einzig vor dem OEM-Geschäft mit Speicher-Chips scheut Big Blue zurück. Offenbar will man sich nicht dem "Schweinezyklus" unterwerfen, in dem sich nur für denjenigen Hersteller die enormen Investitionen auszahlen, der zuerst mit den entsprechenden Bausteinen am Markt ist.

Konkurrenz für das eigene Haus

John McDonald, Marketing-Chef der Amdahl Corp., findet die IBM-Strategie allerdings recht verworren. Big Blues Produkte würden bereits heute über so weitverzweigte Distributionswege verteilt, daß sich der Computerriese durch das OEM-Geschäft nur selbst Konkurrenz machen würde.

Michael Erben sieht das anders: "Generell haben wir keine Angst davor, uns selbst Konkurrenz zu machen." Als Beispiel für diese Furchtlosigkeit führt Erben das erst vor zwei Wochen zusammen mit der GMO AG ins Leben gerufene Joint-venture AD/Vice für Software-Entwicklungsberatung und Schulung im AD/Cycle-Bereich (51 Prozent GMO) an. Dieses Feld werde auch im eigenen Haus bearbeitet.

Rüdiger Stubenrecht, Pressesprecher der ICL Deutschland, interpretiert die geplante OEM-Offensive der IBM nicht so sehr als Abwehrmaßnahme gegen die Japaner, sondern als Mittel, "den Markt der sehr real existierenden offenen Systeme mit IBM-Equipment anzugehen, was unter eigenem Label vielleicht gar nicht machbar ist." Er kann sich vorstellen, daß sich OEM-Partner mit Unix-basierte Anlagen sehr viel leichter im Markt tun, als wenn IBM versuchen würde, einen weiteren Schritt in den Unix-Bereich zu machen.

Der Vertrag mit Mitsubishi tangiere ICL allerdings nicht, weil die Japaner in Europa und auch in USA nicht über einen entsprechenden Systemvertrieb verfügen. "Dem Mitsubishi-Deal kann ich eigentlich nur entnehmen, daß die großen drei Buchstaben nun bereit sind, das eigentliche Kerngeschäft anderen Vertriebswegen in größerem Maßstab zugänglich zu machen - auch in Konkurrenz zu den eigenen Distributionskanälen."