IBM setzt auf neue Allianzen

19.07.1991

Kurt Grün

ist Wirtschaftsjournalist bei der in Frankfurt erscheinenden "Börsenzeitung" und berichtet aus New York

International Business Machines (IBM) hat innerhalb kurzer Zeit mehrmals für Aufsehen innerhalb und außerhalb der Computerbranche gesorgt. Neue technische und Marketingallianzen mit mehreren Adressen, die ihrerseits jeweils nicht gerade als kleinkalibrige Neulinge betrachtet werden können, markieren einen weiteren Versuch eines einstmals in arroganter Selbstgenügsamkeit schwelgenden Riesenunternehmens, Marktterrain zu halten und eventuell sogar zurückzugewinnen. Die beiden spektakulären Ankündigungen der letzten Tage waren eine Absichtserklärung zur Kooperation mit Apple Computer und die Chip-Vereinbarung mit Siemens.

Gemeinsam mit Apple will IBM neue austauschbare Software-Applikationen entwickeln und die jeweiligen Kleincomputer untereinander kompatibler machen. Über den Lizenznehmer Motorola soll Apple des weiteren die Möglichkeit bekommen, IBM-(RISC-)Chips in seine Kleincomputer einbauen zu können. Und schließlich ist an eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines sogenannten Multimediensystems gedacht, mit dessen Hilfe über einen Tischcomputer Videofilme und Stereoton übermittelt werden können. Das Abkommen mit Siemens zielt aus IBM-Sicht mit der gemeinsamen Fertigung von Großspeichern der 16-Megabit-Dram-Chips in Corbeil Essones in Frankreich auf das Einfangen eines aussichtsreichen Marktes in Europa und das Schaffen eines breiteren Gegengewichts gegen zu erwartende japanische Konkurrenz sowie auf das Aufaddieren kostspieliger finanzieller Ressourcen bei der Entwicklung der 64-Megabit-Chips, der übernächsten Speichergeneration.

Hiesige Branchenanalytiker sind sich noch nicht ganz einig darüber, ob diese und mehrere Dutzend anderer Allianzen - darunter die Gewährung einer Verkaufslizenz für IBM-Computer an Wang Laboratories und eine Partnerschaft mit Diebold auf dem Gebiet von Bankautomaten - mehr defensiven Charakter haben oder den Auftakt für eine neue Phase in der Geschichte des Elektronikriesen, die Entwicklung hin zu einem wieder dominierenden Technologieimperium, darstellen. Joseph L. Badaracco von der Harvard Business School und andere Branchenbeobachter hatten IBM bereits vorher als Beispiel für eine im Frühstadium befindliche Version einer Industriegruppe bezeichnet, für die es in Japan in der Form von Keiretsus bereits Dutzende von Vorbildern gibt. Demgegenüber gibt es Stimmen, die darauf verweisen, daß IBM schon einmal mit zunächst für beide Seiten erfolgreichen, später jedoch fragwürdigen Kooperationen Lehrgeld hat zahlen müssen.

Mit dem Einsatz von Microsoft-Software für den Betrieb der Anfang der achtziger Jahre herausgebrachten IBM-Kleincomputer und der Verwendung eines von Intel produzierten Microchips begab sich IBM nolens volens in die Abhängigkeit zunehmend selbstbewußter agierender Schlüsselproduzenten.

Die Strategie des Partizipierens an außerhalb der Gesellschaft entwickelter Produkt- und Marketingintelligenz war in der Vergangenheit auch von regelrechten Flops begleitet gewesen. Man erinnere sich an das kostspielige Zwischenspiel mit der 1989 wieder verkauften Telekommunikationsgesellschaft Rolm Corp., an eine vorübergehende Kooperation mit MCI Communications und Aetna Life auf dem Gebiet des Satellitenfunks sowie schließlich an einstmals stolze Pläne, zusammen mit Merrill Lynch finanzielle Informationen für Broker bereitzuhalten.

Die fieberhaften Bemühungen, von draußen hereinzuholen, was im eigenen Haus nicht vorhanden war, spiegelt auf ihre Weise die Reaktion auf ein schon 1982 von Thomas J. Peters und Robert H. Waterman jr. in dem Buch "In Search of Excellence" ausgesprochenes Verdikt über IBM im Zusammenhang mit einem beklagten Mangel an dezentralisierten Anreizen: "Der Laden ist immer noch viel zu muffig."

IBM, der einstmals als unanfechtbar geltende Pionier moderner Produkte und eines fortschrittlichen Führungsstils, befindet sich in einer kritischen Phase einer seit Jahren angestrebten Rationalisierungs- und Verjüngungskur. Niemand Geringerer als der seit sechs Jahren um eine Wende bemühte Chairman, John F. Akers, hat den frustriert klingenden Satz ausgesprochen: "Es macht mich verdammt wütend, zu sehen, daß wir Marktanteile verlieren." Und weiter: "Jeder ist viel zu ungerührt in einer Zeit, in der sich das Unternehmen in einer Krise befindet." Was Akers damit meinte, spiegelt sich in den Ertragsrechnungen und anderen relevanten Kennzahlen auf eindrucksvolle Weise

Ein 1984 erzielter Gewinnrekord von 11,4 Milliarden Dollar ist seitdem nie wieder erreicht worden. Damals war für das Jahr 1990 ein Umsatz von 100 Milliarden Dollar budgetiert worden. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete IBM bei einem Umsatz von "nur" 69 Milliarden Dollar einen Gewinn von etwas mehr als 10 Milliarden Dollar. Die Gewinnspanne (vor Abschreibungen), die noch 1982 an 35 Prozent herangereicht hatte, ist auf 19 Prozent geschrumpft. Der IBM-Marktanteil (für Hardware, Software und Services) ist weltweit von einstmals 36 auf 21 Prozent gesunken.

In Wall Street machen wenig schmeichelhafte Urteile die Runde, in denen IBM als "die Sears-Roebuck-Gesellschaft des Computer-Hardware-Geschäfts" bezeichnet wird. Während der Dow-Jones-Industrial-Aveage-Index, bei dessen Zusammensetzung IBM als die blaublütigste unter den Blue Chips immer noch das größte Einzelgewicht hat, auf neue Rekordhöhen geklettert ist, lag der IBM-Kurs mit zuletzt 95 Dollar je Aktie nicht höher als 1983 und immer noch um 40 Prozent unter dem 1987 registrierten Allzeithoch.

Bei soviel Pessimismuskonsens wird auf der anderen Seite möglicherweise übersehen, daß bei IBM die Probleme zumindest diagnostiziert und angegangen worden sind. Das Unternehmen kann bei seinem Bemühungen im übrigen auf einen trotz allem immer noch stattlichen Cash-flow zurückgreifen. Der Etat für Forschung und Entwicklung beträgt bei IBM immerhin 6,5 Milliarden Dollar jährlich. Das sind mehr als der gesamte Apple-Umsatz (5,5 Milliarden Dollar). Mit der Entscheidung, aufgrund neuer Bilanzierungsrichtlinien fällige

Einmalrückstellungen für Pensionsverpflichtungen in Milliardenhöhe auf einmal, das heißt in einem einzigen Quartal, wegzudrücken, hat IBM manch anderes amerikanisches Unternehmen in diesem Jahr in einen unangenehmen Zwang zum Mitziehen gebracht.

Die seit zwei Jahren mit noch größerer Intensität verfolgten Rationalisierungsbemühungen der IBM-Verwaltung zielen auf die Schaffung von kleineren Unternehmenseinheiten und damit auf das Anpassen an die bei kleineren Wettbewerben auf den sich rasch entwickelnden Märkten neidvoll registrierte Möglichkeit zu flexiblerem Handeln. Allianzen mit dritten Unternehmen passen in eine solche Strategie Kürzere Laufzeiten von der Entwicklung bis zur Marktreife von neuen Produkten gelten als Schlüssel für künftigen Erfolg. Derartige Veränderungen in der Unternehmenskultur haben zwangsläufig ein mindestens so großes Gewicht wie die meist im Vordergrund vieler Analysen stehenden Abspeckkuren bei den Gemeinkosten und auch bei der mit 373 000 Mitarbeitern immerhin noch eindrucksvoll starken Belegschaft.

IBM hat seit 1986 insgesamt 47 000 Mitarbeiter freigesetzt. In diesem und in den nächsten Jahren halten manche Beobachter den Abbau von bis zu weiteren 40 000 Arbeitsplätzen für denkbar. Und vereinzelt rechnen Wall-Street-Analysten auch damit, daß IBM noch in diesem Sommer weitreichende neue Pläne zur Konsolidierung, verbunden mit massiven Abschreibungen in Höhe mehrerer Milliarden Dollar, bekannt geben wird. Von Chairman Akers kam im Hinblick auf die unmittelbaren Geschäftschancen ein selbst bis dahin pessimistische Erwartungen übertreffendes Urteil: Anläßlich der Vorankündigung eines drastisch reduzierten Gewinns für das zweite Vierteljahr ("weniger als 0,50 Dollar je Aktie nach 2,45 Dollar im zweiten Quartal 1990) wurde zwar für die zweite Jahreshälfte eine Belebung des Geschäfts, doch für das Gesamtjahr kein Umsatzwachstum für möglich gehalten. IBM ist seitdem aus den Empfehlungslisten verschiedener Brokerfirmen gestrichen worden.