Perestroijka in Armonk soll den Konzern wieder vorwärtsbringen

IBM: Ring frei für interne Produktkonkurrenz

05.02.1988

NEW YORK/MÜNCHEN (IDG/ujf) - Kurz nach der Veröffentlichung enttäuschender Geschäftsergebnisse hat die IBM eine tiefgreifende Organisationsreform angekündigt. Chairman John Akers gibt wichtige Kompetenzen ab; neu sind fünf "Lines of Business" mit konzernweiter Verantwortung, darunter eine für die Systeme /36 und /38.

Als "größte Umwälzung in der Konzerngeschichte" bezeichnet ein britischer Branchendienst die Entscheidung der Konzernspitze, den verschiedenen Produktsparten weltweite Verantwortung für Entwicklung, Kalkulation und Marketing-Planung zu übertragen. Für erfahrene amerikanische Anwender wie Bill Eaton, als Vice-President of Information Systems des Jeans-Riesen Levi Strauss & Co. DV-Mann mit Vorstandsrang, handelt es sich schlicht um einen Rückschritt: "Sieht aus, als ginge es zurück in die Zeit, als sich die, General Systems Division' und die, Data Processing Division' interne Konkurrenz machten."

Tatsächlich führt die Neuordnung der Divisions dazu, daß im Midrange-Bereich wieder zwei Managementgruppen parallel und unabhängig voneinander arbeiten: Für die Modelle 4381 und 9370 ist die 370er-Abteilung "Enterprise Systems" unter Carl J. Conti verantwortlich, für die Midrange-Modelle /36, /38 - und künftig "Silverlake" - jedoch das Ressort "Application Business Systems" unter Leitung von Stephen B. Schwartz. Amerikanische Industrie-Beobachter werten dies als Eingeständnis der IBM, daß sich das

System 9370 als Einstiegsmodell in die 370-Welt nicht durchgesetzt hat. Die mittleren Unternehmen bevorzugten nach wie vor die Schrägstrich-Systeme.

Ob die Umgestaltung des Armonker Hauptquartiers - laut "Wall Street Journal" eine der "erstaunlichsten Bürokratien der Welt" - zu effizienterem Arbeiten führt, wird von Analysten bezweifelt. Der professionelle IBM-Watcher Ulric Weil, Insider seit 1960, warnt vor einem weiteren Ausufern des Verwaltungsapparats: "Wer dezentralisiert, braucht auch Mitarbeiter, die die Interaktion zwischen den verschiedenen Geschäftsbereichen sicherstellen. Ehe man sich's versieht, eskalieren die Personalkosten."

Die Branche diskutiert inzwischen aber auch, ob die Neuordnung negative Folgen auf die Einführung der Softwarearchitektur SAA haben wird. Der Münchner Softwareberater Hannes Merten, Geschäftsführer der auf das System /38 spezialisierten Soft M GmbH, befürchtet eine zu SAA gegenläufige Entwicklung, weil die Abstimmung der Produkte zwischen den Divisions erschwert werden könnte. Merten: "Mit SAA deckt die IBM zwar den Mantel der Einheitlichkeit über alle ihre Produktlinien. Im übrigen aber überläßt sie es dem freien Spiel der Marktkräfte, welche der Divisions nun am erfolgreichsten ist."

Im Vertrieb würden somit die Interessen der beiden Sparten aufeinanderprallen; Kritiker halten hier Konflikte für unausweichlich, weil die meisten VBs entweder als "370-minded" oder als "Schrägstrich-Verkäufer" gelten. Zu Zeiten der Stuttgarter Abteilung "Basis-Datenverarbeitung" hatte es hierzulande bereits zwei getrennte Vertriebsmannschaften für die Mainframes beziehungsweise die Minirechner der damaligen Baureihen /32 und /34 gegeben. Ein Sprecher der schwäbischen IBM-Dependance, nach einer eventuellen Neuauflage dieses internen Wettbewerbs an der Kundenfront befragt, hält entgegen, dann müßten auch die PCs und die Kommunikationsprodukte einen separaten Vertrieb bekommen. Doch er dementiert eine solche Möglichkeit nicht ausdrücklich.

Soft-M-Chef Merten ist optimistisch, was die Midrange-Modelle betrifft, vor allem wegen der kommenden Generation mit dem Arbeitstitel "Silverlake" (alias "Olympic" alias "9380"); sie werde sich neben der "veralteten 370-Welt" gut behaupten können: "Durch ihre schier unbegrenzten Wachstumsmöglichkeiten wird die, Olympic' in jedem Fall unter den erfolgreichen Produkten sein."

Über die genannten "Lines of Business" hinaus führt Big Blue übrigens eine Abteilung "Personal Systems" ein, die neben Mikrocomputern auch für Schreibmaschinen und Fotokopierer verantwortlich ist (Leitung: George H. Conrades), ferner die "IBM Communications Systems" (Ellen M. Hancock) und im Halbleiterbereich die "IBM Technology Products" (Patrick A. Toole). Außerdem gibt es nun ein eigenständiges Management für das sanierungsbedürftige USA-Geschäft. Boß dieser neuen "IBM United States" wird Terry Lautenbach, 49 Jahre alt und seit drei Jahrzehnten im Konzern.

Der ehemalige Manager der Communications Products Division gilt sogar als Anwärter auf die Nachfolge von John Akers in der Funktion des Präsidenten der Corporation.