IBM räumt seine Daten-Werkzeuge auf

23.10.2006
Software von Filenet und der "IBM Information Server" sollen die Verwaltung von Unternehmensdaten straffen.

Rapide wachsende Datenmengen, der Mangel an strategischen Informationen und verschärfte gesetzliche Anforderungen an die Datenqualität und -verfügbarkeit können Unternehmen gefährlich werden. Ein systematisches Informations-Management und eine bessere Integration der beteiligten Systeme auf Datenebene sind daher dringend nötig, in der Praxis aber bisher kaum erreicht. "Statt vieler Tools und Einzellösungen muss eine technische Infrastruktur her, die die richtigen Informationen je nach dem geschäftlichen Kontext bereitstellen kann, "forderte Ambuj Goyal, Chef der Softwaresparte Information Management bei IBM, auf der Konferenz "Information on Demand" im kalifornischen Anaheim.

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1215088: Details zum Information Server.

20 Zukäufe in fünf Jahren

Allerdings konnte auch der Hersteller bisher kein schlüssiges Angebot unterbreiten. Nicht weniger als 20 Akquisitionen waren in den letzten fünf Jahren nötig, um Lücken im Portfolio für das Informations-Management zu schließen. Hinzu kamen Eigenentwicklungen sowie die ständige Neuausrichtung und Umbenennung der Tools und Lösungen (vor allem Datenmodelle), die das Bild eines Bauchladens hinterließen, der nur durch Dienstleistungen von IBM Global Services und Partnern zusammengehalten wurde.

Der Rubel rollt

Heute vereint Big Blue in diesem Unternehmensbereich Software für Datenintegration, Enterprise-Content-Management (ECM), Data Warehousing, Stammdatenverwaltung, Suche, Collaboration und System-Management. Dass die Bedeutung dieser Techniken steige, belege laut Goyal die Geschäftsentwicklung seines Bereichs in der IBM Software Group: Im zweiten Quartal konnte mit rund 100 Millionen Dollar den Lizenzumsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppeln. Nicht eingerechnet sind dazugehörige Dienstleistungen, da sie abgesehen vom Deployment nicht zum Geschäft des Konzernbereichs zählen. Rund 5000 Kunden würden heute bereits einige der Produkte einsetzen. Und die Aussichten seien gut, da der Markt für Software für das Informations-Management jährlich um durchschnittlich 19 Prozent wachse und 2009 ein Volumen von 69 Milliarden Dollar erreicht.

Warten auf Filenet-Roadmap

Technisch sollen vor allem zwei milliardenschwere Zukäufe der letzten Zeit beim Aufbau einer durchgängigen Produktarchitektur helfen, die mehr als die Summe ihrer Teile ist, und der Anfang des Jahres formulierten Strategie "Information on Demand" mehr Leben einhauchen: die Übernahme des Datenintegrationsspezialisten Ascential Software im Mai 2005 sowie des ECM-Anbieters Filenet. Die förmliche Filenet-Akquisition wurde jetzt auf der Veranstaltung bekannt gegeben, eine detaillierte Roadmap soll jedoch erst zum Jahresanfang veröffentlicht werden. Sie wird mit Spannung erwartet, wurde doch die Übernahme von Analysten und Marktkennern kritisiert, da sie erhebliche Überscheidungen zwischen dem ECM-Angebot beider Unternehmen sehen. IBM bestreitet dies und hatte in den letzten Wochen betont, dass es vor allem die mit dem Filenet-System "P8" gebotenen Workflow-Funktionen sowie die mit ihm entwickelten zahlreichen vertikalen ECM-Lösungen seien, die man gut gebrauchen könne. IBM habe dagegen beispielsweise mit dem "Content Manager" ein Repository, wie es Filenet nicht bieten könne, sagte Marc Andrews, Program Director, Strategy and Evangelism for IBM Information Management. Ebenso hält der Hersteller offiziell daran fest, alle Produkte weiterentwickeln zu wollen und Version 4.0 von Filenet P8 planmäßig auf den Markt zu bringen.

Trotz dieser vermeintlichen Synergien stellt sich IBM indes auf ein Nebeneinander der Produktlinien ein. Dabei will der Hersteller wie bei seinen Produkten für das Prozess-Management das Konzept einer Service-orientierten Architektur (SOA) in den Vordergrund stellen. In dieser sollen "Information Services" die Datenbewirtschaftung und -integration übernehmen. Solche Dienste bilden die gemeinsame Grundlage für Lösungen im Informations-Management und reichen in ihrer Komplexität von einem SQL-Aufruf bis hin zu Datenaggregationen und Workflows.

Kunden wollen nicht wechseln

Es gibt aber laut Manager Andrews auch einen handfesten Grund für den zunächst zweigleisigen Ansatz: "Wir können Nutzer heutzutage aus Kostengründen kaum davon überzeugen, auf eine neues Produkt zu migrieren." Viele Filenet-Kunden hätten zudem individuelle ECM-Anwendungen aufgebaut, deren Investitionen sie schützen wollten. Auch gehe es gar nicht immer um ein Entweder-oder: "Kunden interessiert es nicht, beispielsweise nur noch ein Content-Repository zu nutzen, da hier kein Mehrwert für sie liegt", behauptet Andrews. IBM werde deshalb sowohl den eigenen "Content Manager" als auch das "Filenet Repository" als Kernbestandteile beibehalten. Auf ihnen sollen künftig Dienste für ein Content-, Records- oder Reports-Management aufsetzen und sich kombinieren lassen. Sicher sei aber auch, dass in deren kommenden Versionen die vormaligen Produkte immer mehr verschmelzen würden. Welche Komponenten dabei das Rennen machen, ließ Andrews offen.

Derzeit arbeiten Teams beider Hersteller zunächst an einer besseren Interoperabilität zwischen den Produkten, sagte Andrews. So soll sich künftig Filenets Workflow-Technik mit der Software für das Geschäftsprozess-Management "Websphere Process Server" integrieren lassen, um regelbasierende Dokumentenabläufe in operative Prozesse einbinden zu können.

Erste Arbeitsziele

Andere Arbeitsziele sind eine gemeinsame Benutzeroberfläche (Workplace), eine höhere Skalierbarkeit der gemeinsamen ECM-Plattform, die P8 stellen soll, sowie die Kombination von Content-Repositories (Federation). Entschieden sei, dass das Produkt "IBM Commonstore" erhalten bleibe. Diese Software diene wie das Filenet-Produkt "E-Mail Manager" für die Verwaltung elektronischer Post, sei aber auf das Auslagern, Speichern und Auswerten großer E-Mail-Mengen ausgelegt, während der E-Mail Manager seine Stärken im Records-Management habe.

Andererseits relativierte der Manager das grundsätzliche Versprechen, alles weiterzuentwickeln. So werden der P8-Vorläufer "Panagon" sowie die Technik für das Reports-Management wohl nur noch gewartet. Produkte für Reports-Management verfügen über spezialisierte Funktionen für den Umgang mit umfangreichen strukturierten und semi-strukturierten Listen und Berichten. Sie dienen häufig der Auslagerung umfangreicher Daten aus dem Backend und helfen diesem mit Bearbeitungs- und Verwaltungsfunktionen gezielt zu sortieren und auszuwerten. Allerdings nimmt die Bedeutung solcher Produkte ab, da kaufmännische Anwendungen oder von Business-Intelligence-Lösungen (BI) mittlerweile vergleichbare Features bieten.

Während die ECM-Strategie erst im Lauf der kommenden Monate an Kontur gewinnen wird, sieht sich IBM auf einem anderen Teilgebiet des Informations-Managements vor dem Durchbruch: der Dateninte- gration und -bewirtschaftung. Mit dem "IBM Information Server" habe man eine Produktplattform geschaffen, die funktional einmalig im Markt sei, ja eine neuartige Produktkategorie begründe, schwelgte Goyal. Tatsächlich finden sich im Ansatz vergleichbare Strategien bei BI-Herstellern wie SAS Institute, Teradata oder Business Objects sowie Integrationspezialisten wie Tibco.

Techniken vereint

Zudem ist das Produkt nicht völlig neu, sondern führt selbst entwickelte beziehungsweise zugekaufte Techniken für die Datenbewirtschaftung und - integration in einer Produktarchitektur zusammen. Herzstück sind die aus diversen Datenbankwerkzeugen entstandene Produktlinie "Information Integrator" und die Datenintegrationstechnik von Ascential. Hinzu gesellen sich Techniken aus den übernommenen Spezialisten Unicorn, Venetica und Crossaccess sowie Best Practices.

Alles zusammen ergibt laut Hersteller eine Basis für SOAs. Sie enthält derzeit Komponenten für das Datenqualitäts-Management, für die Extraktion, Transformation und das Laden von Quelldaten, die Metadatenverwaltung, den virtuellen Datenzugriff, den Aufbau wiederverwendbarer Information Services, Modellierungswerkzeuge, ein Glossar für Datendefinitionen, einen Replikations-Server sowie einen Event-Publisher.

Preise und Partner

Derzeit im Betatest bei 75 Kunden, soll der Information Server Anfang Dezember allgemein verfügbar sein. Die Module sind einzeln erhältlich. Der Einstiegspreis für eine vier-Prozessor-Maschinen-Lizenz liegt bei 125 000 Dollar. Mitgeliefert wird eine Version der DB2-Datenbank sowie des Java-Applikations-Servers "Websphere". Eine Nutzung mit anderen Datenbanken und Java-Servern soll aber möglich sein. Rund 30 Partner haben bereits ihre Unterstützung angekündigt, darunter Hyperion, Cognos, Teradata, Netezza, Applix, Iway, Microstrategy, Intel und Sun Microsystems.

Der Information Server wird weitreichende Folgen für das gesamte IBM-Portfolio haben. So übernimmt er die Datenbewirtschaftung der nächsten Version der Data-Warehouse-Software "DB2 Data Warehouse Edition 9.1", die Ende des Jahres auf den Markt kommt. Ebenso unterstützt er die Metadatenverwaltung der Produkte für das Stammdaten-Management "IBM Product Center" und "IBM Customer Center". Eine Nutzung mit dem ECM-Angebot ist bisher nicht vorgesehen. Man stehe noch am Anfang der Produkt- entwicklung, räumte Goyal ein. So sind im nächsten Schritt mehr Funktionen für die Verwaltung von Datenmodellen und Stammdaten geplant, und auch Support für Suchtechnik für das Auffinden unstrukturierter Informationen ist angekündigt. Insgesamt hänge die Weiterentwicklung von den Kunden- wünschen ab, sagte Goyal. Die Anwender müssen nun prüfen, ob eine solche Plattform ihre zahllosen Tools und Anwendungen für die Informationsverwaltung ergänzen oder gar ersetzen kann.