IBM-Neuankündigungen: Augen zu und als erste druff?

05.03.1982

IBM-Anwender reagieren mit großem Interesse auf Neuankündigungen ihres Herstellers. DV-Leiter überlegen sich, ob dadurch vorhandene Pläne beeinflußt werden, welche Auswirkungen die Ankündigung auf den Second-hand-Markt haben könnte und wie die Reaktion der anderen Anbieter aussehen wird. DV-Leiter Attila Osvath dagegen plaziert erst einmal ein "First-Day-Window-Order". Osvath: "Wir wollen keine technische Generation verschlafen, und kundigen können wir immer noch." Alfred Riepel, DV-Berater in Hannover, bezweifelt indes, ob dieses "unbesehen Ordern" auch künftig noch praktiziert wird. Er glaubt vielmehr, daß Systementscheidungen, inzwischen differenzierter und qualifizierter - oft zusammen mit der Fachabteilung - vorbereitet werden. ih

Attila Osvath, DV-Leiter, Lilly Deutschland GmbH, Gießen (IBM 3031)

Bei einer Neuankündigung plazieren wir einen Letter of Intent oder einen dispositiven Auftrag, bevor wir wissen, wie das neue Modell ist. Je nachdem, wie sich das Produkt entwickelt, entscheiden wir, ob wir die Anlage installieren oder nicht. Ein konkretes Beispiel:

Als die 8100 angekündigt wurde, plazierten wir etwa 50 Stück weltweit, davon läuft heute eine einzige Anlage im Testbetrieb. Das heißt, in dem Moment, in dem wir erkennen, daß das Produkt nicht unseren

Vorstellungen entspricht, kennen wir uns davon. Dieses Vorgehen hat sich bei uns zu einer internen Policy entwickelt. Es gibt bei IBM die Möglichkeit "First Day Window". Man kann weltweit eine bestimmte Anzahl zu einer bestimmten Zeit bestellen, und dieses Angebot nutzen wir.

Es gibt aber die Möglichkeit, diese Bestellung auch wieder zu kündigen. Auf diese Weise sind wir mit der Produktlinie 8100 verfahren. Wir haben uns von der gesamten Palette, bevor sie installiert wurde, getrennt. Unsere derzeitige Anlage, die 3031 war ebenfalls ein First-Day-Window-Order, die wir zwar bei IBM storniert, aber gleichzeitig bei einer Leasinggesellschaft neu bestellt haben. Diese Maschine wurde auch installiert. Wir versuchen auf jeden Fall, im Rahmen der vom Hersteller vorgegebenen Möglichkeiten unsere Vorteile zu wahren. Es ist uns bis jetzt gelungen, unabhängig zu bleiben, weil wir unsere Optionen in jede Richtung offen halten. Wir wären nicht gut beraten, würden wir diese Flexibilität aufgeben.

Als Pioniere oder technische Vorreiter sehen wir uns deshalb nicht. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Mit Sicherheit hätten wir es nicht gerne, in einer ganz neuen Produktlinie die erste Auslieferung zu bekommen. Wir möchten aber bei dem ersten Bestelldurchgang mit dabei sein. Eine Bestellung hinauszuschieben ist nicht schwer, sie kann bis zum Beginn der "Frozen Zone" auch gekündigt werden. Oder die Anlage wird tatsächlich installiert.

Auf keinen Fall wollen wir eine technologische Generation verschlafen. Nicht weil wir in der Technik in der vordersten Front sein möchten, sondern einfach weil der nachträglich kommende Umstellungsaufwand den Vorteil oder den vermeintlichen Vorteil, den man erzielt hat, bei weitem aufzehren würde.

Dr. Helmut Roth Leiter EDV-Projekte, Dragoco, Gerberding GmbH & Co., Holminden (IBM 1370-138)

Als IBM-Anwender verfolgt man relevante Neuankündigungen der IBM, insbesondere in der eigenen Hard- und Softwareklasse, sicher mit großem Interesse. Nach vielleicht anfänglicher Faszination, wie schön schnell, einfach, farbig etc. zukünftig die EDV-Welt werden soll, stellt sich der Benutzer jedoch zwangsläufig Fragen mit konkreterem Hintergrund, wie:

Welche neuen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen sich für den derzeitigen Betrieb (EDV-Organisation, Kommunikation, RZ)?

Wie werden vorhandene Pläne für die mittelfristige Zukunft beeinflußt?

Wartet man bereits auf die neu angekündigten Möglichkeiten?

Welche Auswirkungen werden die Ankündigungen auf den Second-hand-Markt haben können?

Wird man dort vielleicht für eine gewisse Zeit günstig ältere - aber nicht veraltete (was immer das im einzelnen heißt) - Hardware beschaffen können?

Wie lange glaubt man es sich in diesem Fall leisten zu können, sich vom technologischen Fortschritt in Hard- und Software abzukoppeln?

Wann wird dabei ein Punkt erreicht, an dem sich ein eventueller Kostenvorteil aus älterer Hard- und Software in einen Kostennachteil - zum Beispiel aufgrund nicht mehr gewarteter Software - verwandelt?

Werden vielleicht Mitarbeiter in Betriebe mit modernerem Equipment abwandern?

Wie sieht die Reaktion von anderen Anbietern, insbesondere solchen mit IBM-kompatibler Hardware, aus?

Die Antworten auf diese Fragen müssen ganz individuell im betrieblichen Umfeld gefunden werden. Sie bestimmen das weitere Interesse. Damit hat man dann aber zumindest eine Reaktion auf relevante Neuankündigungen gezeigt: ein Überdenken der Stellung der eigenen Informationsverarbeitung in der sich verändernden Hard- und Softwarelandschaft.

Alfred Riepe OEB Gesellschaft für Organisation EDV Betriebsberatung, Hannover

Es gab Zeiten, in denen die Ankündigung neuer Modelle oder Systemfamilien durch den Marktführer die Anwender und Interessenten in großen Scharen veranlaßte, das neue System mehr oder weniger "unbesehen" zu ordern. Manchmal wäre das System bei Vertragsabschluß auch noch gar nicht zu besehen gewesen.

Dieser gelegentlich euphorische Züge annehmende Run auf das neueste System wurde durch die Einstellung aller Beteiligten im Unternehmen begünstigt. In Vorstandsetagen galt es als besonderes Renommee, zu den ersten zu gehören, die die neue "XXX" bekommen. Der EDV-Leiter sah eine gute Chance, sich zu profilieren und aufzuwerten. In Fachabteilungen herrschte vielfach die Auffassung vor - damals oft nicht ohne Berechtigung jeder Marktführer verfüge über geeignete Standardsoftware-Produkte, bestimmte Problemlösungen zu verwirklichen. Die Aussicht, bei längerem Zögern Lieferzeiten von zwei bis drei Jahren in Kauf nehmen zu müssen, beschleunigte zudem noch den spontanen Schritt zum Vertragsabschluß.

Inzwischen haben sich die Verhältnisse merklich geändert. Zwar gibt es immer noch EDV-Verantwortliche, die besonderen Wert darauf legen. möglichst als erster den neuen "XXX" zu installieren. Gelegentlich verkündet auch heute noch ein Vorstandsmitglied voller Stolz, schon die neue Maschine bestellt zu haben, die acht- bis zehnmal schneller und dabei billiger als das jetzige System sei. Generell jedoch läßt sich die Tendenz beobachten, Systementscheidungen differenzierter und qualifizierter vorzubereiten. Die EDV-Verantwortlichen bemühen sich gemeinsam mit den Fachabteilungen, den Bedarf an Computerleistung und das Leistungsverhalten der in die engere Wahl gezogenen Systeme realistischer zu spezifizieren und beides in Einklang zu bringen. Die Folge ist häufig eine Verlängerung des Entscheidungsprozesses.

Der Zwang zum kostenbewußteren Handeln verläßt viele Anwender, ernsthaft auch andere Alternativen, wie zum Beispiel steckerkompatible Hardware der Konkurrenz in die Überlegung einzubeziehen oder darauf zu setzen, daß bisherige in der Leistung ausreichende Modelle nach Neuankündigung im Preis nachhaltig reduziert werden. Die Verantwortlichen für ein neues System sehen sich vermehrt erheblich verbesserten Kontrollmöglichkeiten durch andere Abteilungen des Unternehmens gegenüber. Fehleinschätzungen der Leistungsfähigkeit eines neuen Systems wirken sich meistens, insbesondere bei Dialoganwendungen, unmittelbar in den Fachabteilungen aus. Die Sensibilität des gesamten Unternehmens für die Qualität einer Systementscheidung ist offensichtlich größer geworden. Über Fachzeitschriften, -literatur und -veranstaltungen verfügbare Informationen erhöhen wirkungsvoll die Markttransparenz. Die Konsequenzen einer Systementscheidung sind häufig totaler und weittragender geworden, da die Abhängigkeit zum Beispiel von der eingesetzten Betriebs- und Anwendersoftware dazu führen kann, daß zumindest der Wechsel des Herstellers für die absehbare Zukunft illusorisch wird. Last, but not least, messen auch der oder die Hersteller qualifizierten Systementscheidungen größere Bedeutung bei, da sich gezeigt hat, daß beträchtliche Image- und Profiteinbußen entstehen, wenn vorschnell und übereifrig Aufträge über ein neues System mit unzureichender Performance hereingeholt werden.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die aufgezeichneten Tendenzen in hohem Maße begrüßenswert sind. Eine noch intensivere Orientierung an Wirtschaftlichkeitsfaktoren könnte nicht schaden. Es wäre fatal, wenn bei Investitionsentscheidungen über EDV-Systeme das Prestigedenken den Vorrang vor Rentabilitätsaspekten hätte. Unabhängig davon sollten Anwender, Hersteller und Berater verstärkt Anstrengungen unternehmen, neue Wege beispielsweise durch Dezentralisierung von Computerintelligenz zu einer Entflechtung der Mammutsysteme und damit für größere Flexibilität und Unabhängigkeit zu sorgen.