IBM nennt es eine Kur, doch es sieht nach Selbstzerstörung aus

06.03.1992

Berater bei der Manticore-Consultancy, früher für das Systems Research Institute und die Data Systems Division der IBM tätig.

Vor wenigen Monaten gab IBM-Chef John Akers bekannt, daß er das Unternehmen umstrukturieren werde. In der Ankündigung war von dem bereits routinemäßigen Personalabbau die Rede. Diesmal aber erhielten wir zugleich einen Einblick in das, was den Anfang vom Ende für jenes Phänomen bedeuten könnte, das uns als "Big Blue" bekannt ist.

Die Ankündigung, allem Anschein nach in erster Linie für Wallstreet-Analysten gedacht, sollte eine neue Vorstellung davon vermitteln, wie die IBM organisiert sein wird und wie sie in den 90er Jahren ihre Geschäfte tätigen will.

Doch ließ die Absichtserklärung keinerlei neue Ansätze erkennen. Sie brachte dasselbe an Produktsparten orientierte Gewinnstreben zum Ausdruck, das die IBM seit beinahe zwei Jahrzehnten beseelt. Sie bestätigte organisatorische Konzepte, die die IBM von der Wahrung oder Rückeroberung der Führerschaft in einem Markt abgehalten haben, der sich auf Probleme der Systemintegration und Infrastruktur konzentriert.

Die Ankündigung ging von der Annahme aus, das, was im Grunde IBMs gegenwärtige Produktorganisation ausmacht, könne in Produktgrößen fragmentiert werden, die dem erbitterten Wettbewerb gewachsen seien. Sie ging weiter von der Annahme aus, ein Ganzes stelle weniger dar als seine Teile, und übersah dabei die einmalige Chance für eine entsprechend umstrukturierte IBM, der Marktdynamik der 90er Jahre vorzugreifen. Reagieren allein genügt nicht.

Für die derzeit definierten Produktklassen liegt das Risiko darin, daß die für sie ausersehenen Nischen entweder nicht zu halten oder bereits von Konkurrenten besetzt sind, von Wettbewerbern, die die jeweilige Technologie entwickelt oder definiert haben. Technisch und produktstrategisch kann kein IBM-Einzelprodukt in seiner Nische Erfolg haben. Nur durch Synergie zwischen den IBM-Produkten läßt sich Attraktivität erzielen.

Eine erfolgversprechende "Umstrukturierung" der IBM müßte eine technisch-visionäre Neuverteilung der Produktver antwortlichkeiten vorsehen, die den verschwimmenden Grenzen zwischen der Unix- und der Nicht-Unix-Welt ebenso Rechnung trägt wie der ins Wanken geratenen traditionellen Rollen verteilung zwischen den verschiedenen Rechnerklassen sowie der Notwendigkeit ambitionierter kundenspezifischer Systemkonzepte.

Ohne Frage ist Entbürokratisierung angesagt angesichts der kampflustigen Haie, die sich in den derzeit seichten Gewässern der DV-Branche eingefunden haben. Doch liegt das Problem nicht allein in einem Zuviel an Mitarbeitern, die sich an Kaffeeautomaten herumdrücken. Die IBM gebärdet sich seit langem wie ein Verwaltungsapparat für Anlagegüter, der Bürokraten und Erbsenzähler hochkommen läßt. Ein von Befehl und Kontrolle geprägtes System verhindert jede konstruktive interne Mitwirkung an den Zielsetzungen für die Zukunft des Unternehmens. In einer solchen Kultur ist angemessenes technologisches Risiko nicht möglich, ebensowenig der Aufbau einer Führerschaft, wie sie in Krisenzeiten angebracht wäre.

Überdies haben die vom Markt diktierten Bemühungen um Qualität die IBM zu Handlungen veranlaßt, die Kafka stolz gemacht hätten. Wäre der Abbau des Verwaltungsapparates wirklich ein Ziel, dann würde es Sinn machen, den Posten des IBM Direktors of Telephone Process - er stellt für die Angestellten die Normen für Telefonnachrichten auf - zu streichen, bevor man die Suche nach einer stimmigen Produktstrategie aufgibt.

Ironischerweise werden für die Probleme der IBM gerade jene Kräfte verantwortlich gemacht, die sich der Politik eng gesteckter Ziele und minimalen Wachstums entgegenstellten. Sie kämpften für SAA und bugsierten IBM in die Unix-Welt. Tatsächlich sind die Probleme des Unternehmens auf die Weigerung zurückzuführen, diese Bemühungen zu unterstützen.

Institutionen, so lernten wir am Beispiel der ehemaligen Sowjetunion, lösen sich auf, wenn sie keine Daseinsberechtigung mehr haben. Die IBM kann es vermeiden, zur "ehemaligen IBM" zu werden. Dies aber verlangt Engagement in technischen Visionen und eine neue Strategie des Wandels, eine Strategie, die sich nicht auf Fragmentierung stutzt und Wege einschlägt, die den Fortschritt behindert und die Krise herbeigeführt haben.

Es gibt Talente bei der IBM, die seit Jahren bemüht sind, das Management auf die Notwendigkeit und das Vorhandensein einer strategischen Vision hinzuweisen. Eine Beachtung dieser Stimmen könnte ein Unheil abwenden, das die industrielle Zukunft Amerikas zutiefst treffen würde.

Aus: COMPUIERWORLD