IDC untersucht Stellung von "Big Blue" im Kommunikationsmarkt:

IBM macht sich stark für den Kampf mit AT&T

11.11.1983

FRAMINGHAM (hh) - Mit einem Weltmarktanteil von 71 Prozent im Mainframe-Bereich will IBM zu einem neuen Höhenflug ansetzen: dies analysiert das US-Marktforschungsunternehmen IDC, ausgehend von den IBM-Ergebnissen des Jahres 1982. Die Zahlen seien nicht nur die besten seit rund zehn Jahren. auch sei wachsende Aggressivität im Kommunikationsmarkt daraus zu interpretieren. Zu dem Rekordergebnis hätten jedoch auch die Superverkäufe von 308X-Großrechnern sowie entsprechender Disks beigetragen. Nach Jahren sinkender Marktanteile im Gesamtmarkt der Informationsverarbeitung habe sich der DV-Gigant wieder als potenter Wettbewerber für AT&T präsentiert.

Gemessen am Gesamtumsatz der DV-Welt erwirtschaftete die IBM im vergangenen Jahr einen Anteil von 47 Prozent aller Auslieferungen.

Eine aggressive Preispolitik, Jointventures und eine harte Marketingpolitik geben nach Meinung der amerikanischen Marktforscher nur ein unvollständiges Bild über die Anstrengungen der IBM wieder, möglichst viele umsatzträchtige Sektoren des informationsverarbeitenden Marktes auszuschöpfen. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, habe IBM einige "philosophische" und strategische Positionen neu überdenken müssen.

Galt bislang noch der Schutz und die Propagierung der /370-Architektur als das A und O, so bahnte sich nach IDC-Angaben mit dem IBM Personal Computer eine Wende an.

Erstmals in der Geschichte eröffneten sich durch die Plazierung des PC Möglichkeiten für die IBM, durch Fremdsoftware und -peripherie den Marktanforderungen flexibler zu entsprechen.

Im Zuge dieser durch den PC hervorgerufenen Philosophieveränderung zeige sich "Big Blue" nun auch sichtlich offener gegenüber Mitbewerbern, die das IBM-eigene SNA (Systems Architecture Network) unterstützten.

Darüber hinaus wurden die DCA/ DIA-Spezifikationen (Document- Content- und Document-Interchange-Architecture) lange vor der Verfügbarkeit auf einem Großteil der IBM-Produkte veröffentlicht.

DCA/DIA scheine den Weg zu verdeutlichen, mit dem IBM bisher inkompatible Produkte des Hauses verknüpfen wolle, um den Büroautomationswünschen der Anwender stärker zu entsprechen.

Die Strategie ist nach Meinung der IDC-Forscher offenliegend. Durch eine Verbindung des 3270-Protokolls, SNA und den DCA/DIA-Formaten hofft der Marktführer, De-facto-Kommunikationsstandards für die nächste Dekade zu setzen. Das weitere Wachsen des PCM-Marktes räume der /370-Architektur überdies Chancen ein, sich zu einem Standard zu entwickeln.

Die Kontrolle der Kommunikationsstandards gebe, so IDC, dem Marktriesen ausreichend Munition für den bevorstehenden Kampf mit AT&T oder anderen Großunternehmen um die beherrschende Stellung im Bereich integrierter, digitaler Netzwerke. Prognosen gehen davon aus, daß diese Netzwerke in den nächsten fünf Jahren weitaus mehr Gewicht erlangen werden als die Prozessoren und Peripheriegeräte, die an sie angeschlossen sind. Da die Verantwortlichen wüßten, so die IDC-Autoren, daß IBM nicht alle Marktanforderungen befriedigen könne, wolle IBM die Anwender durch die neue Politik dazu bringen, eher Fremdprodukte, die zu IBM-Netzwerken kompatibel sind, zu kaufen als umgekehrt. Um die eigene Wettbewerbssituation zu stärken, gebärde sich der Marktführer zunehmend aggressiver.

So sei zwar der 100-Milliarden-Markt der Sprach- und Datenkommunikation bisher von der IBM verhältnismäßig schwach angegangen worden, aber das IDC-Team zeigt sich in der Studie "IBM - a Giant Awakens" davon überzeugt, daß hier ein Wechsel stattfinden wird.

Das IBM-Informationsnetzwerk SBS (Satellite Business Systems) gilt als erster Schritt in diese Richtung.

Einen zweiten Strategiewechsel zeigen organisatorische Maßnahmen des Marktführers.

So heiße die Politik nicht mehr "Dominanz auf wenigen Marktsegmenten", sondern "Partizipation in vielen wachsenden Bereichen", resümieren die Marktforscher.

Die Gründung unabhängiger Geschäftseinheiten in jungen, erfolgversprechenden Segmenten wie PCs oder "Robotics" und der erwachende Enthusiasmus für Fremdvertriebswege verdeutlichen diese Richtung.

Abgesehen von den IBM-Positionen m Groß- und Kleinrechnerbereich, erwarten die IDC-Analytiker eine stärkere Konzentration Big Blues im mittleren Systembereich - um der Konkurrenz von DEC, Wang und anderer besser begegnen zu können.

Auch auf juristischer Seite verpasse sich IBM ein neues Image, schreibt IDC. Nach 13 Jahren in der Defensive gegen die US-Regierung, gebärdet sich das Unternehmen jetzt wieder offensiv. Die Prozeßanstrengungen gegen Hitachi und Mitsubishi stellen nur die herausragendsten Bemühungen dar, die IBM-Technologie zu schützen und sich als harter Gegner darzustellen. Source Code Restrictions und Maßnahmen gegen Bridge Technology, Cybernex und NCR Comten zeigen, daß IBM willens ist wie auch immer seine Pfründe zu schützen.