Suse und Turbolinux werden Distributionen anbieten

IBM macht den Mainframe zum größten Linux-Rechner

26.05.2000
MÜNCHEN (kk) - Für die rund zehn Millionen Anwender, die mit einem Mainframe arbeiten, ist ein neues Zeitalter angebrochen: IBM hat das Open-Source-Betriebssystem Linux auf den Großrechner portiert.

Schon seit Januar des Jahres ist der Kernel von "Linux für S/390" kostenfrei von der IBM-Homepage zu beziehen, aber erst jetzt kündigte Big Blue dafür vollen Service und Support an. "Das Interesse war bislang schon riesig", erklärte Jürgen Ley, IBMs Produkt-Manager für Linux und OS/390. Seit Januar verzeichnete er über 2100 Downloads des Programmcodes, und auch auf der diesjährigen CeBIT sei die Nachfrage enorm gewesen: "Gerade junge Leute aus dem akademischen Umfeld, die sich mit Linux beschäftigen, waren begeistert davon, dieses Betriebssystem auch auf dem Mainframe ablaufen zu sehen." Rein rechnerisch verdoppelte sich durch die IBM-Initiative die Anzahl der Linux-Benutzer von derzeit neun auf knapp 20 Millionen, vorausgesetzt, alle Großrechner würden damit ausgestattet.

Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, bietet IBM doch drei Möglichkeiten an, Linux auf S/390 zu nutzen. Die in Zukunft wohl am meisten verwendete Variante dürfte die sein, das offene Betriebssystem in eine oder mehrere der logischen Partitionen (LPARs) des Großrechners zu laden. Dort können - nach einer Rekompilierung - Linux-Programme gefahren werden. Ley empfiehlt Anwendern, zunächst eine Linux-Partition aufzumachen und Erfahrungen zu sammeln, "beispielsweise mit einem Apache-Web-Server oder File- und Print-Services".

Damit können Mainframe-Kunden auf ihrem "Big Iron" nun auch Linux-Applikationen nutzen, nachdem IBM schon seit längerem die Unterstützung für die Unix-Services in OS/390 sichergestellt hatte. Die Stabilität der Rechnerboliden im Vergleich zu Windows-NT-Installationen ist laut Ley ein zusätzliches Argument für Linux auf S/390: "Ein Apache-Web-Server läuft auch unter NT, fällt aber wegen Systemabstürzen im Durchschnitt 15 Stunden pro Monat aus. Unter Windows 2000 dürfte der Wert etwas besser liegen." Der Linux-Code selbst sei aber so stabil, dass er - auf den Großrechner gebracht - maximal 1,5 Stunden Stillstand pro Monat verursache. Schon deshalb gebe es Sinn, neue Anwendungen auf den Mainframe zu bringen.

Das "Meta"-Betriebssystem "VM" ist der zweite Weg, Linux auf dem Großrechner zu nutzen. VM dient als übergeordnetes Mainframe-Betriebssystem, unter dem andere Systemsoftware - beispielsweise OS/390 oder jetzt Linux - als Gastsystem arbeiten kann. Insbesondere Besitzer älterer IBM-Maschinen unter VM/VSE sollen damit erstmals in die Lage versetzt werden, moderne Applikationen zu nutzen. Allein in Deutschland soll es rund 1000 dieser Kunden geben, weltweit dürften es nach Schätzung von IBM mehr als 10000 sein.

Ein zusätzlicher Vorteil von VM liegt darin, dass es de facto keine Beschränkung bei der Anzahl der darunter arbeitenden Betriebssysteme gibt: Bei der Aufteilung des Mainframes in LPARs liegt die obere Grenze bei maximal 15 Partitionen, unter VM könne man "Tausende von Linux-Kopien laufen lassen".

Die wohl spektakulärste Art und Weise, Linux auf S/390 zu verwenden, ist "Native Linux". Dann läuft auf dem Großrechner nur mehr ein Betriebssystem, und das ist Linux für S/390. Obwohl die deutsche IBM-Niederlassung dem 100-prozentigen Linux-Mainframe kein großes Kundenpotenzial einräumt, erwartet Richard Lechner, IBMs Vice President für das E-Business der Enterprise-Server in den USA, davon einiges an Umsatz: "Das wird uns den Markt der ISPs, ASPs und Dotcoms öffnen." Wie er dem Branchendienst "Computergram" mitteilte, verhandelt die S/390-Verkaufsmannschaft mit einer Reihe von Internet-Service-Providern, die den Mainframe wegen seiner Hochverfügbarkeit gerne für Linux einsetzen wollen.

Die Entscheidung, S/390-Rechner auch ohne (proprietäres) Betriebssystem auszuliefern, bedeutet für IBM einen historischen Schritt: Erstmals gibt Big Blue die Kontrolle über das Betriebssystem seines Flaggschiff-Rechners auf. Hersteller von steckerkompatiblen Mainframes (PCM = Plug Compatible Manufacturer) wie Amdahl haben ebenfalls Zugriff auf das Linux für S/390 und könnten daraus ihr eigenes Geschäftsmodell entwickeln - unabhängig von IBM.

Der Erfolg eines reinen Linux-Mainframes dürfte unter anderem auch von der Frage nach den Kosten für die Systemsoftware abhängen. Dazu Carl Greiner, Analyst der Meta Group: "Solange IBM das derzeit gültige kapazitätsorientierte Preisschema für Software nicht verändert, sind Anwender besser beraten, für Linux-Applikationen billigere Risc-basierte Rechner statt dem Mainframe zu verwenden."

Allerdings stellt IBM Preisnachlässe bereits in Aussicht. Wird beispielsweise im Partitionierungsmodell ein ganzer Prozessorblock für Linux reserviert, fallen dafür keine Lizenzgebühren an, bestätigte IBM-Manager Ley. "Computergram" will erfahren haben, dass Neukunden, die mehr als 15 LPARs für Linux nutzen wollen, für sechs bis acht Monate eine kostenlose Lizenz von VM erhalten.

Die Preise für die Linux-Installation selbst stehen noch nicht fest. Zwar lässt sich der Kernel kostenfrei von IBM beziehen. Für ein lauffähiges System wird jedoch eine komplette Linux-Distribution benötigt. IBM hat zunächst Suse und Turbolinux als Partner genannt. Mit Caldera und Red Hat stehe man in Verhandlungen. Carsten Fischer, Marketing-Verantwortlicher bei Suse in Nürnberg, geht davon aus, dass die Kosten für Linux auf S/390 "über den derzeit verlangten 100 Mark liegen werden". Erst zum Herbst wird darüber Klarheit herrschen, denn dann will Suse die komplette Linux-Distribution für S/390 anbieten. Ab Ende Juni soll von Suse eine erste Betaversion verfügbar sein.

Ähnliche Angaben machte Karen Mygind, Marketing-Manager von Turbolinux in Hamburg. Turbolinux für S/390 ist noch nicht ganz fertig entwickelt und soll im Herbst auf den Markt kommen. Erst dann werden beide Linux-Distributoren auch Support für ihre Produkte anbieten. Bis dahin müssen interessierte Anwender bei Anfragen auf IBMs Global Service Organization zurückgreifen.

Ende des Jahres will IBM mit einer Reihe von Middleware-Produkten das Angebot abrunden. Dazu zählen die "Enterprise-Connectors", die Linux-Anwendungen einen Zugriff auf Mainframe-Applikationen und -Daten erlauben. Im dritten Quartal will Big Blue "DB2 Connect", "IMS Connect", "MQ Series Client for Java" und das "Cisc-Transaction Gateway" in einer Betaversion anbieten.

Zeitgleich sollen eine Linux-Version der DB2-Datenbank sowie der Application-Server"Websphere", der dazu Java unterstützen soll, für Betatester zur Verfügung stehen. Für das "Tivoli"-Framework plant IBM nach eigenen Angaben einen Storage-Manager-Client für das S/390-Linux anzupassen, der Funktionen wie automatisches Backup, Archivierung und Disaster Recovery auch für Linux-Daten bereitstellt.