IBM lebt von der Anwenderangst: Trotz Dominanz schlechte Noten für System-SW

16.12.1983

NEWBURY (hh) - Als Lieferanten für Systemsoftware bewerten britische Anwender die IBM denkbar schlecht. So rangiert das Großunternehmen an elfter Stelle beim Support, an 19. bei der Produktqualität und bei der Kosten/Nutzen-Analyse sogar erst an zwanzigster Stelle. Dennoch entscheiden sich knapp 50 Prozent der Anwender einer IBM-Anlage auch für die Systemsoftware des Hauses. Angst vor zukünftigen Kompatibilitätsproblemen. so schrieben die Autoren einer Studie der Xephon Technology Transfer Ltd. aus Newbury sei einer der wichtigsten Kaufgründe.

Ausgewertet wurden von dem Marktforschungsinstitut 163 beantwortete Fragebögen von IBM-Anwendern über die Zufriedenheit mit der eingesetzten Systemsoftware, sowie über Kauf- und Auswahlgewohnheiten. Dabei haben die befragten DV-Verantwortlichen durchschnittlich 14 verschiedene Pakete im Einsatz. 18 Hauptkategorien additiver Systemsoftwarepakete wurden vor, dem britischen Marktforschungsunternehmen durchleuchtet - bei zwölf von ihnen besitzt die IBM Marktanteile, die Tiefstwerte von nur sieben Prozent (Job accounting packages) aufweisen. Die restlichen sechs Produktbereiche (Online-Entwicklungshilfen, TP-Monitore, DBMS, Grafikpakete, Textverarbeitungssysteme und Timesharingsysteme) werden allerdings so von IBM-Programmen beherrscht, daß sich der Gesamtteil Big Blues bei 47 Prozent einpendelt. Das Bild zeigt jedoch, daß die Unabhängigen im Wettbewerb mit der IBM durchaus bestehen.

Dennoch, Unterschiede lassen sich nach Meinung der Autoren dieser Studie bei den Auswahlpraktiken der Produkte feststellen. Die Anwender sind durchwegs kritischer bei der Wahl unabhängiger Systemprodukte geworden. So wenden mehr als 70 Prozent über zehn Stunden für die Prüfung fremder Systemsoftware auf - diese Sorgfalt zeigen bei IBM-Produkten nur 28 von 100 Anwendern.

Darüberhinaus wählten 64 Prozent der Fremdproduktkäufer mehrere unterschiedliche Methoden zur Leistungsbemessung, IBM-Käufer nur zu 30 Prozent. Alternative Produkte zogen über die Hälfte der Anwender in Betracht, die sich für Programme anderer Hersteller als IBM entschlossen. Diesen Blick über den Gartenzaun tätigten nur 14 von 100 Mitgliedern aus der IBM-Anwenderriege.

Die Studie gibt auch Auskunft darüber, nach welchen Kriterien User ihre Systemsoftware auswählen. An erster Stelle steht dabei die Güte der Dokumentation - wobei bezüglich der IBM-Dokumentation die Aussage laut wurde, daß die Informationen zwar grundsätzlich vorhanden seien, diese aber erst unter Schwierigkeiten vom Anwender gesucht werden müssen.

An zweiter Stelle steht die finanzielle Gesundheit des liefernden Unternehmens. Probeeinsätze oder Testinstallationen müssen durchführbar sein - fast alle Anbieter haben diesen Service im Programm. Des weiteren muß die ausgewählte Software ohne Veränderungen an die IBM-Umgebung ablauffähig sein. Standardschnittstellen finden sich deshalb bei fast jedem Produkt. Obwohl die Käufer auch Wert auf Kundenreferenzadressen legen, nutzen fast 75 Prozent der Anwender diese zusätzliche Informationsmöglichkeit nicht.

Aus diesen Kriterien erkennen die britischen Autoren keinen Grund für die positive Einschätzung der Anwender gegenüber IBM-Produkten. Schon Gene Amdahl, so schreiben sie weiter, habe vor etlichen Jahren eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen gefunden. FUD. Fear (Angst), Uncertainity (Unsicherheit) und Doubts (Zweifel) beeinflusse die Pro-IBM-Entscheidungen. Die IBM-User bezweifeln insbesondere, ob Produkte unabhängiger Anbieter jetzt und in Zukunft problemlos in eine IBM-Umgebung einfügbar sind.

Tatsächlich haben 34 Prozent der beantworteten Fragebögen offengelegt, daß hier Schwierigkeiten aufgetreten sind. Jedoch waren die Probleme in der Regel trivial und schnell gelöst.

Verursacher dieser Unstimmigkeiten waren übrigens in der Mehrzahl der Fälle nicht die unabhängigen Softwarehäuser, sondern die IBM selbst durch ihre Aktivitäten im Systemsoftwarebereich. FUD bezieht sich deshalb weniger auf die momentane Situation, sondern vielmehr auf die Möglichkeiten, in Zukunft vor Probleme gestellt zu werden - und zwar durch Big Blue.

Während nämlich die IBM zunehmend kooperativer gegenüber Herstellern von Anwenderprogrammen wird, kühlt die Politik gegenüber unabhängigen Systemsoftwarelieferanten merklich ab. Die Source-Code-Restriktionen, über die auch die COMPUTERWOCHE berichtete, gelten als eines der offensichtlichsten Ereignisse dieser neuen Richtung.

Obwohl die unabhängigen Hersteller in aller Regel Auswirkungen dieser Politik auf ihre Produkte verneinen, befürchten über die Hälfte der befragten User dennoch Einschränkungen bei der Aufrechterhaltung der vollen IBM-Kompatibilität. Die Studie mit detaillierten Einzelergebnissen kostet rund 120 Mark und ist bei Xenon Technology Transfer Limited, Western House, 3 London Road, Newbury RG13 1JL, Berkshire England erhältlich.