IBM kurz vor Freigabe der P/390 Testanwender zufrieden mit dem Westentaschen-Mainframe

05.05.1995

CW-Bericht, Karin Quack

MUENCHEN - Voraussichtlich Mitte Mai wird die IBM ihre PC-Karte mit 390-Prozessor auch den deutschen Kunden zugaenglich machen. Welche Vertriebskanaele der DV-Riese dafuer nutzen will, behaelt er bislang fuer sich. Im Gespraech ist unter anderem ein Komplettangebot aus OS/2-PC, Karte und ESA-Betriebssystem zum Preis von 100000 Mark. Dieser "Micro-Mainframe" kann nach Auskunft eines Testanwenders durchaus einen Grossrechner des Typs 4381 P23 ersetzen.

Die Presseabteilung der Stuttgarter IBM-Zentrale machte kein Hehl aus ihrer Abneigung, Fragen zur P/390-Karte zu beantworten. "Dieses Thema ist ein wenig touchy", raeumte ein Unternehmenssprecher ein. Der Grund liegt auf der Hand: Der blaue Riese befuerchtet, mit der ESA-faehigen PC-Karte - mehr noch als mit der kleinen Schwester P/370 - sein noch lukratives Mainframe- Geschaeft zu schaedigen.

Aber totschweigen laesst sich das Thema nun auch nicht mehr. Deshalb bestaetigte die IBM zumindest einen Auslieferungstermin "innerhalb der ersten Jahreshaelfte". Schliesslich war auf der diesjaehrigen CeBIT bereits eine "Technologie-Demonstration" der Karte zu bewundern: Auf einem "PC-Server 500" mit P/390-Innenleben lief eine fuer den Grossrechner unter VSE entwickelte und ESA-faehig gemachte Anwendung der Dresdner Bank AG, Frankfurt am Main.

Karte ist besser als IBM behauptet

Der Finanzdienstleister war der erste deutsche Anwender, der das "little big iron", so die CW-Schwesterpublikation "Computerworld", in die Hand bekam. Falls die innerhalb der naechsten Wochen geplanten Abschlusstests erfolgreich verlaufen, will das Bankhaus die Karte im Spaetsommer dieses Jahres in seinen auslaendischen Niederlassungen und Tochtergesellschaften einsetzen.

Bei der in Hannover gezeigten Applikation handelte es sich um eine Dialoganwendung fuer Bankgeschaefte mit dem Ausland. Die Software mit der Bezeichnung "Auslaendische Niederlassungen Organisationssystem" (Anlos) besteht aus 600 Cobol-Progammen, die insgesamt zwei Millionen Codezeilen aufweisen. Derzeit laeuft sie auf einem zentralen Grossrechner in Muenchen. Aber einige der Laender, in denen die Dresdner Bank ansaessig ist beziehungsweise noch heimisch werden will - beispielsweise Singapur und Thailand - , verlangen eine Datenverarbeitung innerhalb der eigenen Grenzen.

Fuer die VSE-Systemprogrammierung in den auslaendischen Niederlassungen zeichnet Reinhard Hille verantwortlich. Wie der Softwarespezialist erlaeutert, wuerde die Installation eines Mainframe-Rechenzentrums pro Land mindestens zwei Millionen Mark verschlingen. Keineswegs billiger waere es, die aus den 80er Jahren stammende Anwendungssoftware auf ein Unix-System zu portieren. Die Kosten dafuer schaetzt Hille auf rund zehn Millionen Mark.

Die P/390-Karte kommt da wie gerufen. Ein leistungsfaehiger PC- Server mit Mainframe-Prozessor und Betriebssystem-Software wird laut Hille allenfalls mit einer halben Millionen Mark zu Buche schlagen - "einschliesslich der ueblichen Sicherheitsvorkehrungen wie beispielsweise Notstromaggregate".

Das von IBM-nahen Kreisen gebrachte Argument, die I/O-Leistung der Karte bleibe weit hinter dem Durchsatz eines Mainframes zurueck, kann der Systemadministrator entkraeften. Einer der Tests habe darin bestanden, drei Platten e 2,5 GB gleichzeitig zu formatieren, den Inhalt einer Disk auf eine andere zu kopieren und eine dritte vom Band wiederherzustellen. "Das sind insgesamt fuenf Vorgaenge, in denen nichts anderes erledigt wird als I/O-Geschaeft, und wir haben ganz locker mit dem System arbeiten koennen", freut sich Hille.

Gegenueber der P/370 ist die P/390 ESA-faehig

Wie schon das Vorgaengermodell P/370 (vgl. CW Nr. 22 vom 3. Juni 1994, Seite 1 und CW Nr. 28 vom 15. Juli 1994, Seite 18) wird die P/390 rechnerintern von dem PC-Betriebssystem OS/2 angesprochen. Nach Hilles Angaben lassen sich durch mitgelieferte Device-Treiber die in PC-Umgebungen ueblichen Peripherieprodukte nutzen, beispielsweise SCSI-Platten, die mit Antwortzeiten von neun bis zehn Millisekunden anderthalbmal bis doppelt so schnell seien als herkoemmliche 3380-Platten.

Auch bei den Dialoganwendungen wird die Dresdner Bank kaum Abstriche machen muessen. Via Terminal-Control-Units oder Token- Ring-LAN koennen, so Hille, zwischen 150 und 250 Benutzer auf das System zugreifen, ohne dass es in die Knie geht. Das ganz grosse Eisen lasse sich durch eine P/390-Karte allerdings nicht ersetzen. "Wir wuerden niemals auf die Idee kommen, damit unseren innerdeutschen Massenzahlungsverkehr abzuwickeln."

Fuer eine lizenzrechtliche Beschraenkung auf 16 Anwender, wie sie bei der P/370-Karte ueblich ist, gibt die P/390 keinen Anlass. Eigenen Angaben zufolge will die IBM dennoch die Anzahl der Benutzer eingrenzen. Allerdings schweigt der Hersteller sich bislang darueber aus, welche Zahl ihm dabei vorschwebt.

In Ermangelung einer besseren Alternative hat die Dresdner Bank zunaechst einmal Erfahrungen mit der P/370-Karte gesammelt. Dabei stellten Hille und seine Mitarbeiter jedoch fest, dass hier lizenzrechtliche und technische Beschraenkungen offenbar recht eng beieinanderliegen. Mit den Worten des Systemexperten: "Dadurch, dass sie keine ESA-Faehigkeit hat, ist die P/370 auf eine zu geringe Anzahl von Anwendern limitiert." Zudem lasse sich die maximale Arbeitsspeicherkapazitaet von 16 MB kaum tolerieren. "Der Zwang zum Paging fuehrt das System bisweilen an seine physikalische Grenze." Der P/390-eigene Speicher koenne dagegen bis auf 250 MB ausgebaut werden.

Folglich liebaeugeln auch einige der frischgebackenen P/370- Anwender mit der Moeglichkeit, auf die 32-Bit-faehige P/390 umzusteigen - selbst dann, wenn sie keineswegs vorhaben, ein ESA- Betriebssystem einzusetzen. Sie hoffen darauf, dass IBM ihnen automatisch ein Update anbieten wird, sobald die neue Karte verfuegbar ist.

In Deutschland testen 20 Firmen den Mini-Mainframe

Dem Vernehmen nach gibt es in Deutschland rund 20 Unternehmen, die die P/370 zumindest testweise einsetzen. Es waeren sicher noch mehr, wenn die IBM das Produkt aktiv vermarkten wuerde. Zumindest fuer gewoehnliche Kunden ist die Karte lediglich ueber einige wenige OEM-Partner zu haben, waehrend die internen Vertriebsbeauftragten davon nicht viel wissen wollen. Dazu Paul Otto Wolf, Geschaeftsfuehrer der Noba Datenverarbeitung e.G., Bremen: "Die haben das in ihrer Liste gar nicht drin."

Wer Wolf nach seinen Gruenden fuer den Einsatz der P/370 fragt, muss den IBM-Verkaeufern zunaechst einmal recht geben. Seine Motive lassen sich in Mark und Pfennig ausdruecken - als Einsparungen, die sich auf den Umsatzkonten der VBs als Minus niederschlagen.

"Fuer den Grossrechner brauchte ich 200 Quadratmeter klimatisierte Rechenzentrums-Flaeche", erlaeutert der Bremer. "Heute steht da ein kleiner PC; genauso gross geblieben sind lediglich die Drucker." Allein fuer die Systemsoftware musste Wolf jaehrlich 360000 Mark an die IBM ueberweisen. Hinzu kamen 80000 Mark fuer die Wartung und 50000 Mark fuer die Klimatisierung des Rechenzentrums. Fuer die P/370-Karte hat die Noba - einschliesslich des VSE-Betriebssystems - ganze 30000 Mark hinblaettern muessen. Unter dem Strich rechnet der Geschaeftsfuehrer also mit einer jaehrlichen Ersparnis von bis zu 450 000 Mark.

Dass ein Anwender gleich sein gesamtes Rechenzentrum durch einen OS/2-PC ersetzt, ist allerdings eher die Ausnahme. "Ich habe an einigen Veranstaltungen zum Thema P/370 teilgenommen und noch nie gehoert, dass jemand mit der Karte einen Mainframe ersetzen will", bestaetigt der DV-Berater Willi Kuhn.

Kuhn beziehungsweise sein Kunde hatten ein Alternativsystem von Digital Equipment ins Auge gefasst. Die Kosten dafuer haetten sich jedoch auf insgesamt eine halbe Million Mark belaufen - zuzueglich des Aufwands, den es kostet, die Benutzer mit einem neuen System vertraut zu machen. Die P/370-Loesung erlaubt es der Bank, dasselbe Betriebssystem und die bekannten Anwendungen weiterzufahren.

Dieses Beispiel zeigt, welches Marktpotential die IBM ausschoepfen koennte, wenn sie die beiden Prozessorkarten engagiert vermarkten wuerde. Ein Anwender, der erwaegt, auf eine P/370 umzusteigen, ist fuer die schoene teure Welt der grossen Mainframes ohnehin verloren. Zu tief ist die Kluft zwischen den dort verlangten Softwaregebuehren und den im Unix- oder PC-Bereich ueblichen Preisen.