IBM: Kundenschutz vor Profit?

25.05.1984

"Die IBM betrachtet weiterhin die ursprünglichen und die X-Modelle der IBM 308X als eine Familie mit äquivalenten Funktionen und Unterstützungen durch Betriebssysteme. " IBM-Presseabteilung

Das vermeintlich sichere Ende der DOS-Ära wurde bereits mehrfach vorausgesagt. Tat sachlich hatten IBM-Anwender und Marktbeobachter allen Grund, von einer blauen Stallregie auszugehen, die IBMs "großem" Betriebssystem MVS die Alleinregentschaft zuwies.

Es gab stichhaltige Argumente: DOS hatte so offenkundig seinen Zenit überschritten, daß nur noch Art und Zeitpunkt der Ablösung offenstanden. Dazu ist relevant, daß gerade Anwender mit Mittelklasse-Systemen (4300) und Großrechnern (370/158, /168, 303X) einen steigenden Performancebedarf haben (Dialog macht Appetit) und einige Hardware-Erweiterungen - etwa die 31-Bit-Adressierung oder die 3380-Magnetplatteneinheiten - nur von dem Betriebssystem MVS unterstützt werden. Allzu offensichtlich hatte auch die IBM mit dem XA-Zaunpfahl (Extended Architecture) gewinkt, die Umstellung auf MVS quasi den Kunden nahegelegt, als daß man noch an eine heile DOS-Welt glauben konnte.

Doch siehe da: Das DOS wurde aufgebohrt (CW Nr. 20 vom 11. Mai 1984). Genugtuung bei den DOS-Anhängern. Lange Gesichter bei den Branchenauguren. Zufall? Die Kunden zufriedenzustellen, ist und war immer das gewichtigste Argument der IBM. Und selbst bei hartnäckigen Big-Blue-Kritikern stellt sich das unbestimmte Gefühl ein, die IBM habe recht, wenn sie vom Zwang zum Kundenschutz spricht.

Dies ist keine Heiligenverehrung. Dies ist der Versuch, zu erklären, warum bei der IBM-Politik manchmal Dinge herauskommen, die scheinbar nicht zu erklären sind. Wie die DOS-Aufwertung. Oder Leistungsverbesserungen für die "alten" 308X-Prozessoren (Seite 4). Mit dem jüngsten Announcement sollen, was die Leistung betrifft, die "ursprünglichen" 308X-Modelle den "neuen" Prozessoren angepaßt werden (siehe Vorwort). Aber was macht dann noch den Vorteil der X-Modelle aus? Im Betriebssystem-Fall: Was hat MVS, was DOS nicht hat?

Die IBM, die den DOS-Anwender verhätschelt, wie sie den 308X-Anwender streichelt - alles unter dem Motto "Kundenschutz" - , muß sich eine neue Begründung einfallen lassen, wenn sie echte Technologiesprünge macht, Funktionen ankündigt, die noch nicht da waren. Vielleicht sind einige Kunden ja doch auf die schiere Mehrleistung aus, wollen und können auf vorhandene Anwendungen keine Rücksicht nehmen.

Und daß der Marktführer auch technologisch führend sein muß, dazu seinen Kunden gegenüber geradezu verpflichtet ist (vom Wettbewerbsdruck ganz zu schweigen), daran kann kein Zweifel bestehen. Das Dilemma der IBM, mit DOS und der 360/370-Architektur bis auf weiteres leben zu müssen, ist sattsam bekannt. Den Kundenwünschen nach Kontinuität nachzugeben, mag dem Mainframe-Riesen nicht immer leichtfallen. Doch er läßt seine Anwender nicht hängen - siehe DOS-Announcement, siehe 308X-Erweiterungen. Von Zufall keine Spur. Nur sollte man diese notwendigen Pflegemaßnahmen nicht mit Fortschritts- und Technologie-Argumenten verbrämen.