Lieferschwierigkeiten und Verluste machen der PSG zu schaffen

IBM kämpft mit Problemen seiner PC-Sparte

28.07.2000
MÜNCHEN (ba/wh) - IBMs kränkelnde PC-Sparte kommt nicht aus den Schlagzeilen. Neben anhaltenden Verlusten muss der IT-Konzern nun auch Lieferprobleme für verschiedene Modelle einräumen. Der geplante Direktvertrieb und Gerüchte um einen bevorstehenden Verkauf von Fertigungsstätten haben zu Spekulationen geführt, Big Blue könnte sich schrittweise aus dem PC-Geschäft zurückziehen.

Beinahe zwei Jahre kämpft IBM nun schon mit Defiziten seiner Personal Systems Group (PSG). Nach dem Rekordverlust von knapp einer Milliarde Dollar im Geschäftsjahr 1998 verlor die Division auch im Folgejahr noch fast 600 Millionen Dollar. Nach weiteren 170 Millionen Dollar Verlust im ersten Quartal 2000 ging der Fehlbetrag im kürzlich abgelaufenen zweiten Quartal auf "nur" noch 69 Millionen Dollar zurück. Ob dieser Aufwärtstrend ausreicht, den ungeduldigen CEO Louis Gerstner zu besänftigen, wird in der Branche bezweifelt.

Neben den wenig erfreulichen Finanzergebnissen der PSG dürften den Manager auch die jüngsten Meldungen über Lieferschwierigkeiten auf die Palme bringen: IBM hat Probleme, seine europäischen Distributoren mit Geräten aus der "Netvista"- und "Netfinity"-Linie zu versorgen. Die Ursachen liegen offenbar in der schottische Produktionsanlage in Greenock. Diese fertigt IBMs sämtliche PC-Produkte für die Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika (Emea). Kunden müssen zur Zeit mit Verspätungen von bis zu drei Monaten rechnen, berichten Insider.

Diese Verzögerungen heizten die Gerüchteküche an. So hieß es etwa, Big Blue nehme die Schwierigkeiten billigend in Kauf, weil demnächst der Verkauf des Werkes anstehe. Heißester Übernahmekandidat sei der taiwanische PC-Hersteller Acer. Gerstner selbst gab den Spekulationen Auftrieb. Er erklärte gegenüber Analysten, im Zuge der Einführung eines Direktvertriebs im PC-Sektor werde möglicherweise die Fertigung ganz eingestellt; IBM-PCs könnten in Zukunft von Auftragsfertigern produziert werden. Sollte die PC-Division nicht bald aus den roten Zahlen herauskommen, müsse man über derartige Schritte nachdenken, mahnte der CEO.

Bei IBM Deutschland in Böblingen ist man unterdessen um Schadensbegrenzung bemüht: Michael Cerny, Leiter PC-Geschäft der Personal Systems Group (PSG) in Böblingen, erklärte gegenüber der CW, Lieferverzögerungen habe es primär in zwei Kategorien gegeben: bei Servern und bei der neuen Netvista-PC-Linie. Diese hätten die Kollegen in Greenock aber zum großen Teil nicht zu verantworten. So habe es im Server-Bereich Engpässe bei Zulieferern von Board-Komponenten gegeben. Diese Situation werde sich innerhalb der nächsten sechs Wochen verbessern. Ab Anfang September werde man den Rückstand aufholen können. Diskussionen über das schottische Werk hätten damit "überhaupt nichts zu tun".

Annette Dingeldein, Pressereferentin der PSG, räumte ein, dass es in der schottischen Produktion Probleme gibt. Diese beträfen allerdings nur Systeme aus den Netvista- und Netfinity-Reihen. Die Verzögerungen bei den Netvista-Geräten seien dadurch zu erklären, dass es sich dabei um eine komplett neue Rechnerserie handle. "Bei einer Neueinführung gibt es einfach Zeitverzögerungen", wiegelt die Sprecherin ab. Außerdem beträfen die Probleme nur einzelne Produkte wie den neuen All-in-One-Rechner "Netvista X40" oder das abgespeckte Modell "Netvista S40", nicht aber die Nachfolger der "300"er PC-Serie ("A40").

Die Verzögerungen sind aber offenbar nicht auf Desktop-PCs und Server beschränkt. Ausgerechnet die "Thinkpad"-Notebooks, die zu den erfolgreichsten PC-Podukten Big Blues zählen, sollen von den Lieferschwierigkeiten in besonderem Maß betroffen sein. Von den 108 angebotenen Konfigurationen seien 79 Varianten nur mit Verspätung lieferbar, berichteten mehrere Online-Medien. Die Ursachen dafür - unter anderem eine Knappheit von Komponenten wie DVD- oder CD-RW-Laufwerken - treffen zwar auch andere Rechneranbieter. Die Schwierigkeiten der IBM sind nach Einschätzung von Analysten aber besonders gravierend. Der Konzern werde dadurch Marktanteile verlieren.

Cerny mag diese Meldungen nicht bestätigen. Einzelne Modelle könne man seinen Informationen zufolge zwar nicht sofort liefern. Die meisten Konfigurationen seien jedoch verfügbar. "Die Aussage, dass wir in Deutschland oder Europa drei Viertel der Produktlinie nicht liefern können, ist falsch", wehrt sich der Manager.

Die Ursachen für die Lieferprobleme sind vielschichtig. Bei den Planungen für die Netfinity-Produktion habe sich IBM verschätzt, konzediert etwa Dingeldein. Auf Basis der schwächeren Verkaufszahlen des Vorjahres habe man für das Quartal zwei und drei des laufenden Jahres zu vorsichtig geplant. Einen Zusammenhang zwischen den Lieferproblemen und dem geplanten Direktvertrieb will die Sprecherin nicht sehen. Vorgesehen sei, bis Oktober einen direkten Kanal einzurichten. Doch dies beträfe die Distributoren kaum, da Kunden, die zusätzliche Dienstleistungen zum Rechner wünschten, nach wie vor über Fachhändler bedient würden.

Cerny relativiert diese Aussagen: Lediglich das Lowend, also Privatkunden und kleine Unternehmen, sollen künftig direkt bedient werden. Diese Klientel ziehe es vor, PCs direkt über das Internet zu konfigurieren und zu bestellen. Derzeit sei dieses Marktsegment nicht besonders groß. In den nächsten zwei Jahren sei mit einer weiteren Ausdehnung zu rechnen. Entgegen einschlägigen Presseberichten betrachte IBM diesen Vertriebsweg nicht als Kostensenkungsmaßnahme, sondern als Investition in einen wachsenden Markt.

Einen Verkauf der schottischen Fertigungsanlage dementiert Cerny. Entsprechende Meldungen seien "definititv falsch". Es gebe keine Verkaufsabsichten für das Werk.

Dass die Lieferprobleme für die Vertriebspartner IBMs nicht ohne Folgen bleiben, ergab eine Stichprobe der CW: So ärgert sich etwa der Distributor Ingram/Macrotron über regelmäßige Verzögerungen. Eine Mitarbeiterin des IBM-Competence-Centers beklagt, dass es bei der IBM ganz normal sei, dass immer wieder Produkte, die unter normalen Umständen innerhalb von zwei Wochen beim Kunden stehen, erst nach vier bis sechs Wochen ausgeliefert würden. Mittlerweile hätten sich bereits erste IBM-Kunden über die Verspätungen beschwert. "Im Moment ist es wieder eine schlimme Phase", schimpft die Mitarbeiterin.

Der Soester Distributor Actebis kann sich nicht über generelle Lieferprobleme beklagen, muss aber bei Einzelprojekten Verzögerungen hinnehmen, erklärt Sprecherin Birgit Fahlbusch. Bei den Netfinity-Geräten hake es wohl an bestimmten Motherboards, die nicht rechtzeitig zur Verfügung stünden. Im PC-Sektor dagegen lägen die Hauptprobleme im Built-to-Order-(BTO-)Bereich. Dabei gebe es anscheinend Probleme hinsichtlich der Versorgung mit einzelnen Komponenten. Dies sei aber ein generelles Problem des BTO-Verfahrens, behauptet Fahlbusch.

Thomas Reuner, Analyst bei der Gartner-Group-Tochter Dataquest, sieht dagegen durchaus ein IBM-spezifisches Problem. "Wir hören immer wieder, dass die Verfügbarkeit von Produkten für IBM ein Problem ist. Ich sehe hier wenig Verbesserungen." Dazu wäre eine funktionierende Supply Chain mit einem Built-to-Order-Verfahren erforderlich. Dieses habe IBM bis heute nur zum Teil realisiert. Dabei gehe es nicht nur um Verfügbarkeit. Auch die hohe Lagerhaltung, die zu Abschreibungen und Verlusten führe, stelle ein Problem dar.

"Wenn Dell immer wieder als Beispiel herangezogen wird, stellt sich weniger die Frage nach direktem oder indirektem Vertrieb, sondern nach einer optimierten Supply Chain", so Reuner gegenüber der CW. Der texanische PC-Anbieter habe sich hier einen Vorsprung erarbeitet und seine Lagerhaltung verringert. Die Konkurrenten, insbesondere Compaq und IBM, hätten darunter zu leiden. Die schlechten PC-Zahlen der IBMs sieht Reuner denn auch als eine Folge dieser Entwicklung. Die Begründung des Herstellers, Zulieferbetriebe trügen die Schuld für die Verzögerungen, lässt der Gartner-Analyst nicht gelten: "Die Knappheit von Komponenten kommt sicher erschwerend hinzu; damit kann man ein oder zwei Quartale entschuldigen. Aber IBM kämpft schon seit Jahren mit diesem Problem."

PSG verliert Marktanteile in EuropaDie Frage nach den Zukunftsperspektiven der PC-Sparte beantwortet Reuner zurückhaltend: "Solange die Gesamtrechnung bei IBM noch stimmt, kann man immer argumentieren, das PC-Geschäft wird gebraucht, um andere Bereiche voranzubringen." Angesichts der vielfältigen Probleme der PSG, darunter auch die fortdauernden Anteilsverluste im europäischen PC-Markt, hält er einen schrittweisen Rückzug der IBM aus dem PC-Geschäft aber für denkbar.

"Ich vermisse auch eine neue strategische Ausrichtung", moniert Reuner. In den USA beispielsweise habe sich IBM vollständig aus dem Händlergeschäft mit Consumer-PCs zurückgezogen und verkaufe nur noch online. In Europa sei der Konzern im Consumer-Markt nur noch dort vertreten, wo man durch Verträge gebunden sei. In Deutschland etwa bestünden noch Kontrakte mit Vobis und Comtech, aus denen Big Blue nicht kurzfristig aussteigen könne. Reuner: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Unternehmen, auch in der Größe IBMs, langfristig solche Verluste in einem Geschäftsbereich tragen kann.