Kunden verlangen DD-Erweiterung für das strategische Datenbankprodukt von Big Blue:

IBM gerät wegen Data Dictionary in Zugzwang

23.01.1987

FRAMINGHAM/LONDON (CW) - Noch in diesem Jahr will Big Blue das "Super-Data-Dictionary" für DB2 vorstellen. Diese Vermutung äußerten jetzt amerikanische Brancheninsider. Sie berichten über ein geheimnisvolles "Repository-Projekt", in das sämtliche DB2-Komponenten eingebettet sein sollen. Außerdem habe der Marktführer eine "Systems Applications Architecture" für die Integration der unterschiedlichen IBM-Systemkonzepte (/370, /3X, PC) in der Pipeline.

Bei dem globalen IBM-Repository handelt es sich theoretisch um ein "Super-Data-Dictionary". Seine Aufgabe ist es, die Datendefinitionen und Regeln zu verwalten, die für die MVS-Subsysteme wie DB2, CSP, TSO und CICS von entscheidender Bedeutung sind. Außerdem spielt es eine zentrale Rolle für das Netzwerk-Management und die Device-Definition.

Das Repository ist zwar bislang noch nicht als Produkt angekündigt, doch hat Big Blue bereits Kundenbriefings zu diesem Thema veranstaltet. Hier wurde das System als Integrationsmittel für die MVS-Subsysteme und ein DB2-Dictionary beschrieben.

Der Marktführer, so heißt es in gewöhnlich gut informierten Kreisen, reagiere damit auf die Kritik vieler Kunden, daß der gegenwärtige DB2-Katalog hinsichtlich seiner Funktionen zu limitiert sei. Ein vollständiges Data Dictionary für das DBMS-Zugpferd von Big Blue werde deshalb unerläßlich.

Gleichzeitig, so glauben viele US-Analysten, ist die Repository-Strategie von Big Blue ein Anzeichen dafür, daß das globale Dictionary für die MVS-Subsysteme - wie TSO und CICS - noch lange auf sich warten läßt.

Thomas Belz, Mitarbeiter der Information Systems Division bei IBM, gab zu, daß die Kunden mehr und mehr Dictionary-Fähigkeiten fordern. IBM sei deshalb mit den Benutzern in einen Dialog getreten, um ein genaues Bild über ihre Bedürfnisse zu gewinnen.

Von offizieller Stelle gibt man sich allerdings bedeckt: Weder die IBM-Zentrale in Paris noch die Verantwortlichen in Stuttgart wollen von dem Repository-Projekt etwas gehört haben. Amerikanische Branchenkenner sind sich gleichwohl ihrer Sache sicher: Das Projekt lief seit mehr als drei Jahren in der IBM-Niederlassung in Poughkeepsie, New York, sei aber Ende letzten Jahres in das IBM-Entwicklungslabor im kalifornischen Santa Teresa transferiert worden. Hier erfolgen auch die Entwicklungsarbeiten für IMS und DB2, wissen amerikanische IBM-Kunden und Marktforscher zu berichten.

Eine Begründung für die Verlagerung des Projektstandorts sehen die US- Marktbeobachter in der Produktpolitik von Big Blue: Als das Projekt in Poughkeepsie anlief, habe MVS im Mittelpunkt der Entwicklungsaktivitäten des Marktführers gestanden. Die rasch anwachsende Installationsbasis von DB2 habe jedoch dazu geführt, daß sich die entsprechenden Aktivitäten nunmehr auf DB2 konzentrieren.

Unklar scheint, ob die in Poughkeepsie mit der Entwicklungsarbeit betrauten Mitarbeiter nach wie vor im Rahmen dieses Projekts tätig sind. Es bestünden jedoch Anzeichen dafür, heißt es in US-lnsiderkreisen, daß der Umzug nach Kalifornien auch mit personellen Veränderungen verbunden gewesen sei. Man müsse als ziemlich sicher annehmen, daß dieser Wechsel der "Entwicklungsleitstelle" zu einer Verzögerung des Repository-Projekts führen werde. Die User hätten also wieder einmal das Nachsehen.

Als ein weiteres strategisches Konzept, so ist aus amerikanischen DV-Kreisen zu hören, entwickle die IBM gegenwärtig die Systems Applications Architecture. Diese Programmierspezifikationen sollen es dem Software-Entwickler ermöglichen, Applikationen auf sämtlichen IBM-Produktlinien und unter allen Betriebssystemen laufen zu lassen.

Branchenkenner vergleichen diese Architektur hinsichtlich ihrer Bedeutung mit der Systems Network Architecture (SNA) des Marktführers und sehen in ihr die Antwort der IBM auf den Vorwurf der Kunden, daß bisher nur wenig unternommen worden sei, die unterschiedlichen Produktfamilien des DV-Giganten untereinander kompatibel zu machen.

Zunächst, so heißt es etwa in einer Meldung des Londoner Informationsdienstes "Computergram", solle die Systems Applications Architecture die Verträglichkeit zwischen den /370-Betriebssystemen MVS, VM und DOS/VSE verbessern. Eine Erweiterung für die Systeme /36 und /38 sowie die PCs des Marktführers sei geplant.

Insider werten diese Pläne als Teilantwort auf die Bedrohung durch Unix, mit der sich IBM immer stärker konfrontiert sehe. Aber auch bei der Strategie von Big Blue selbst seien die Schattenseiten nicht zu übersehen. Die eklatanteste davon: Es gebe bereits unzählige bestehende Anwendungen, die sich nicht an den Schnittstellenbestimmungen für die Systems Applications Architecture orientierten.

Darüber hinaus hätten die meisten großen DV-Abteilungen sowieso schon mit einem enormen Anwendungsrückstau zu kämpfen; dieser dürfte noch mehr anwachsen, wenn die Verantwortlichen eine Umstellung auf die neuen Interface-Definitionen durchziehen und die bereits bestehenden Programme anpassen würden.

Zudem könnten Applikationen, die auf eine bestimmte Maschine ausgelegt sind, auf einem an sich inkompatiblen Rechner eine schlechte Performance aufweisen, selbst wenn sie der Systems Applications Architecture entsprächen. Der Marktführer übt ob des neuen Konzepts vornehme Zurückhaltung: "Kein Kommentar", so die lapidare Stellungnahme aus Stuttgart.