Nach knapp vier Jahren Untersuchung vorläufig beendet:

IBM gelobt Besserung - EG setzt Verfahren aus

10.08.1984

BRÜSSEL - Trotz des Säbelrasselns beider Seiten in den vergangenen Wochen endete der jahrelange Streit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (EG) und der IBM wie erwartet mit einem Kompromiß: Big Blue verpflichtete sich, sein Geschäftsgebaren künftig den EG Richtlinien entsprechend zu modifizieren. Im Gegenzug setzte die Kommission das seit dem 6. Dezember 1980 laufende Verfahren IV/29.479, in dem den Armonkern Mißbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt der /370-Rechner vorgeworfen wurde, aus. Beide Seiten verbuchten das Ergebnis als Erfolg für sich.

Einen Tag nach dem "Arrangement" gaben der niederländische Wettbewerbskommissar Frans Anpriessen und seine Mitarbeiter das - vorläufige - Ende der Untersuchung bekannt. Danach basiert die erreichte Regelung, die von IBM frühestens zum 1. 1. 1990 aufgekündigt werden kann, auf zwei Schriftstücken: Zum einen auf einer 15seitigen Verpflichtungserklärung (Undertaking) von IBM, die vom 1. August datiert und die Unterschrift des Ex-Justizministers und heutigen Chef-Justitiars Nicholas Katzenbach trägt, zum anderen auf einem Schreiben Andriessens vom gleichen Tag, in dem unter Bezugnahme auf die "Verpflichtung" das Verfahren für ausgesetzt erklärt wird. Dies gilt so lange, wie IBM der selbstauferlegten Informationspflicht nachkommt, wobei sich die Kommission als "public authority" jedoch vorbehält, die Aussetzung aufzuheben oder ein neues Verfahren in die Wege zu leiten.

Aus Brüsseler Sicht, so unterstrich Andriessen nachdrücklich, enthält das IBM-Papier folgende wesentliche Punkte (Der volle Wortlaut ist abgedruckt auf Seite 4):

- Big Blue teilt künftig Anwendern und Mitbewerbern innerhalb von 120 Tagen nach einem Announcement beziehungsweise zum Zeitpunkt der allgemeinen Verfügbarkeit ("general availability") eines Produktes auf dem europäischen Markt sowohl Schnittstellen-Informationen zwischen oder zu /370-Hardware-Produkten sowie zwischen /370-Zentraleinheiten und entsprechenden Softwareprodukten mit.

- Schnittstellen-Informationen zwischen oder zu /370-Software-Produkten werden spätestens dann veröffentlicht, wenn die Software nach ihrer Ankündigung ausreichend getestet ("reasonably stable") ist, in jedem Fall aber nicht nach dem Zeitpunkt der allgemeinen Verfügbarkeit.

- Auf dem EG-Markt bietet IBM /370-Zentraleinheiten entweder ohne Speicher oder nur noch mit der für Testzwecke unbedingt erforderlichen Speicherkapazität an.

- IBM gibt im Zusammenhang mit /370-Produkten Informationen über seine Netzwerkarchitektur SNA bekannt, soweit diese sich von dem "Open-Systems-Interconnection" (OSI-)Standard der ISO unterscheidet. In einem ersten Schritt erstellen die Armonker bis Ende dieses Jahres ein entsprechendes Handbuch, das den Stand LU 6.2. beschreibt. Darüber hinaus legt das Unternehmen innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten der jetzigen Regelung ein "Services Description Manual" für LU 6.2. sowie ein "SNA Format and Protocol Manual" für "Snads" vor.

Seit Ende '83 auch SNA ein Thema

Obwohl die SNA-Tehnik nicht zu den ursprünglich von der Kommission untersuchten Vorwürfen gehörte, spielte die "Systems Network Architecture" nach Angaben von Andriessen seit Ende letzten Jahres eine zunehmend wichtigere Rolle in den Verhandlungen. Zunächst habe IBM in diesem Punkt eine Anzahl von Vorschlägen unterbreitet, die allerdings nach Meinung der Brüsseler als unzureichend zurückgewiesen wurden. Im Frühjahr habe der Marktführer dann jedoch einen bemerkenswerten Wandel in Richtung OSI-Normen erkennen lassen.

Experten der Kommission werten diese Verhaltensänderung als Reaktion darauf, daß den OSI-Normen als international verbindlicher Standard auf dem DV- und Telekommunikationssektor weltweit zunehmende Bedeutung zukomme: Neben den Europäern, die sich Anfang des Jahres auf die Einführung der OSI-Normen verständigt hätten, machten sich auch in den USA das dortige National Bureau of Standards und Großanwender wie General Motors und Boeing für die Open-Systems-Philosophie stark.

Auch Quellcode-Politik unter der EG-Lupe

Insgesamt wertete Andriessen das erzielte Ergebnis als Kompromiß: "Es gibt keine Sieger und keine Verlierer." Er erwartete sich durch die Regelung längerfristig eine Verbesserung der Wettbewerbssituation, so daß die europäische Industrie die Chance habe, ihren Marktanteil in der EG zu vergrößern. IBM werde zwar auch weiterhin ein beherrschende Stellung einnehmen, doch sei der formelle Rahmen "wesentlich verbessert worden", da das Verhalten des Marktführers einer ständigen Kontrolle unterworfen werde und Brüssel sich die Möglichkeit vorbehalten habe, jederzeit den Fall neuerlich aufzurollen.

Andriessen wörtlich: "Die Finger der Kommission bleiben am IBM-Puls." Mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl ist darüber hinaus auch die Passage im Schreiben des Wettbewerbshüters, in der er IBM daran erinnert, daß seine Mitarbeiter gerade dabeisind, die Armonker Quellcode-Politik etwas näher zu beleuchten.

IBM nennt Kompromiß "Vergleich"

Demgegenüber kommentierte IBM-Chairman John R. Opel das Verhandlungsergebnis so: "Wir begrüßen, daß ein Vergleich erreicht wurde. Diese Zusage unsererseits trägt den Wünschen der Kommission Rechnung und bringt die Angelegenheit zum Abschluß, ohne uns zu wesentlichen Änderungen in unserer Geschäftspraxis zu veranlassen".

Weiter heißt es in der von der IBM Deutschland GmbH übermittelten offiziellen Stellungnahme aus Armonk: "IBM hat sich freiwillig bereit erklärt innerhalb bestimmter Fristen Schnittstellen-Informationen zur Verfügung zu stellen, die den Anschluß von Mitbewerber-Produkten an neue IBM-System-/370-Produkte zulassen. Weiterhin wird IBM technische Informationen über sein SNA (Systems Network Architecture) zur Verfügung stellen, um den Anschluß von Mitbewerbersystemen und -netzwerken an SNA-Netzwerke zu ermöglichen. IBM wird keine rechtlich geschützten Einzelheiten über das Design ihrer Produkte bekanntgeben. Die EG setzt das Verfahren gegen das Unternehmen aus."

Stellungnahme der Siemens AG

"Wir begrüßen die Vereinbarung als einen Erfolg der Kommission, die Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der Datentechnik im Interesse der Kunden und der Mitbewerber des Marktführers IBM zu verbessern. Sie ist aus unserer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung und unter den gegebenen Umständen ein fairer Kompromiß. Insbesondere die verabredete freizügigere Offenlegung von Schnittstellen erscheint uns allein deswegen notwendig, weg die Datentechnik immer mehr den Charakter einer Infrastruktur annimmt, wie er bisher in der Informationstechnik nur der Kommunikationstechnik vorbehalten war. Wie die Kommission sind wir jedoch der Meinung, daß sich die Auswirkungen der getroffenen Vereinbarungen erst durch ihre praktische Realisierung werden beurteilen lassen."