Interessenkonflikt im Midrange-Bereich unvermeidlich

IBM forciert Power-RISC: Verwirrung um die AS/400

30.10.1992

MÜNCHEN (hv) - Mit der Power-RISC-Architektur will Big Blue nicht nur den Workstation-Markt erobern, die Prozessortechnologie könnte langfristig allen IBM-Rechnerlinien zugrunde liegen: den PCs, der proprietären Midrange-Linie AS/400 - möglicherweise sogar den ES/9000-Mainframes. Das zumindest hat Vice-President William Filip angekündigt,

"Das AS/400-Team hat mitgeteilt, es werde sich in Richtung RISC bewegen", zitiert der englische Branchendienst "Computergram" Filip, der die Advanced Workstations and Systems Division leitet. Der Grund dafür liege darin, daß sich die Abteilung die Möglichkeit verschaffen wolle, die Leistung der Rechner zu erhöhen, ohne dabei zusätzliche Kosten hinnehmen zu müssen. Wie der Manager auf einer RS/6000-Roadshow in Paris bekannte, gibt es bereits ein gemeinsames Entwicklungsabkommen zwischen der Workstation-Abteilung und der Intermediate Systems Division. Dessen Ziel sei es, eine RISC-basierte Version er AS/400-Familie zu entwerfen.

Die Power-RISC-Architektur, so bekundete Filip, ist keineswegs auf die RS/6000 beschränkt. IBM werde mit diesen Chips schon 1993 "aggressiv in den Low-end-PC-Markt" einsteigen. Die Workstation-Abteilung diskutiere derzeit sogar intensiv mit den ES/9000-Entwicklern

über mit den ES/9000-Entwicklern über Möglichkeiten, die RISC-Prozessoren auch im Mainframe-Bereich einzusetzen.

Axel Hain, Produkt-Manager für die AS/400 in Deutschland bestätigt das RISC-Engagement im Midrange-Bereich. Die IBM werde ihr "überlegenes Prozessor-Design" möglichst breit nutzen, vielleicht sogar in Lizenz Dritten anbieten.

Analysten können Big Blues Marktpolitik generell nachvollziehen, zumal schon heute die künftige Bedeutung der von Apple, Motorola und Bull unterstützten Power-Architektür absehbar sei. Gleichwohl mag etwa Gerhard Sundt von der Gartner Group, Frankfurt, nicht an einen, hundertprozentigen Schwenk des AS/400-Teams auf die RISC-Linie glauben. Der Marktbeobachter vermutet, daß die Rechner künftig nur bei entsprechenden Anwenderbedürfnissen auf IBMs RISC-Architektur ungerüstet werden können.

Das große Manko der AS/400 besteht laut Sundt darin, daß die Maschine als Kommunikations-Server - und damit auch für den Einsatz in Client-Server-Umgebungen - kaum geeignet sei. Hier habe die RISC-basierte RS/6000-Rechnerlinie klare Vorteile. Ebensogut könne diese Aufgabe aber auch eine AS/400 auf der Basis der IBM-RISC-Architektur übernehmen. Stärken weise die proprietäre Rechnerfamilie dagegen dann auf, wenn sie als reiner Datenbank-Server genutzt werde. Allerdings hätten auch hier die Workstations Boden gut gemacht.

Die IBM kämpft nach Ansicht des Analysten aufgrund ihrer zweigleisigen Produktpolitik im Midrange-Bereich mit einem: großen Problem - das zeige auch die inzwischen chronisch gewordene Auseinandersetzung zwischen deren Workstation- und AS/400-Abteilungen. In Insider-Kreisen spreche man heute bereits von zwei konkurrierenden "IBMchen". Der Analyst will die Möglichkeit nicht ausschließen, daß auch Manager Filip mit seiner Ankündigung im Interesse der eigenen RS/6000-Division über das Ziel hinausgeschossen sei.

Wie Sundt erkannt haben will, gibt es deutliche Signale dafür, daß der AS/400-Boom - ein in Deutschland überdurchschnittlich ausgeprägtes Phänomen - seinen Zenit bereits überschritten habe. Weltweit sei der Trend in Richtung Unix längst nicht mehr aufzuhalten, daher werde der AS/400-Markt schon sehr bald einen "heftigen Gegenwind" verspüren. Mit Schwierigkeiten müßten Softwarehäuser rechnen, die den Unix-Trend nicht frühzeitig erkannt und sich auf den AS/400-Markt konzentriert hätten.

Aussagen des jüngsten "Computer Industry Report", einer von IDC herausgegebenen Publikation über Entwicklungen im Midrange-Bereich, geben dem Marktbeobachter der Gartner Group recht. Dort wird daran erinnert, daß IBM plane, die Präsenz der RS/6000 vor allem im kommerziellen Sektor deutlich zu erhöhen. Dafür spreche auch die Ankündigung des Transaktionsmonitors CICS für die RS/6000.

IDC listet die wichtigsten Anbieter von Midrange-Rechnern auf und demonstriert damit, daß Big Blue schon heute mit der proprietären AS/400-Linie die Stellung eines Exoten einnimmt. Der Markt wird nämlich von Workstations auf der Basis verschiedener RISC-Prozessoren sowie von liitels CISC-Prozessoren dominiert. In der Liste der Betriebssysteme steht OS/400 als proprietäres System sogar allein da; fast alle Anbieter setzen auf Unix-Derivate sowie demnächst auch auf Windows NT und zum Teil auch auf OS/2.

Welche Konsequenzen diese Entwicklung für den Softwaremarkt, aber letztlich auch für Anwender haben dürfte, belegt das Beispiel des größten US-amerikanischen AS/400-Softwarehauses, der System Software Associates Inc. in Chikago. Das Unternehmen hat mit der Auslieferung des Software-Engineering-Tools "AS/SET WDK-U" begonnen, mit dem sich RPG-Anwendungen in C-Programme für die RS/6000 konvertieren lassen. "Computergram" kommentiert diese Entscheidung so: "Das Softwarehaus scheint nicht gerade zuversichtlich zu sein, was die Zukunft der AS/400-Linie angeht."