IBM feiert 20 Jahre AIX

23.03.2006
Die Entwicklung des Betriebssystems ist ein Zeugnis der Unix-Geschichte.

Für Unixer gab es in den frühen 90er Jahren kein besseres Feindbild als IBM. Der Koloss hielt unverdrossen an seinen "großen Eisen" fest und verteidigte damit ein zentralistisches IT-Konzept. Dabei war das Gebot der Zeit Client-Server-Computing, und das hieß Unix. Derlei hatte IBM mit "Advanced Interactive eXecutive" (AIX) auch. Aber Big Blue nahm man eins nicht ab: ein "offenes Standardbetriebssystem", so nannte man damals Unix, zu wollen.

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Ob Big Blue wollte oder nicht, eins bleibt festzuhalten: Experimentierfreudige Köpfe hat es immer reichlich gegeben in dem IT-Imperium, und ihnen ist es zu verdanken, dass IBM früher an Unix dran war als die meisten DV-Anbieter, die später mit ihm groß werden sollten. Seit Anfang der 80er Jahre hatten sie mit Unix System V von AT&T und der freien Variante Berkeley Software Distribution (BSD) experimentiert.

Die findigen Köpfe präsentierten 1985 "IX/370". Am Namen ist zu erkennen, dass dieses Unix auf dem Mainframe /370 lief, und zwar als Gastbetriebssystem unter VM SP 3.0 - in dem Versionsstand war damals schon die heute hochmoderne Technik der virtuellen Maschinen! Dieses Unix hatte allen anderen Varianten vor allem eins voraus: Eine Datei musste der aktuelle User erst schließen, bevor andere darauf zugreifen konnten. Bis dato war Unix eine Art Kollisionsautomatik gewesen.

Aber unter den Mainframe-Anwendern interessierten sich nicht viele für IX/370. Das mag der Grund gewesen sein, warum IBM eigene Untersuchungen ignorierte, aus denen hervorging, dass der Unix-Markt explodieren werde. Big Blue ließ sich Zeit. Eher nebenbei entstand noch IX/390 für eine nächste Generation der "Big Iron".

Die Hardware-Entwicklung leitete eine Wende ein. IBM-Forscher hatten - erstmals 1975 - erkannt, dass die immer größer werdenden Befehlssätze die Prozessoren mehr warten als arbeiten ließen. Die radikale Alternative war "Reduced Instruction Set Computing", Risc: kurze Befehlssätze, die sich möglichst in einem Prozessortakt abarbeiten ließen. Big Blue entwickelte die Prozessoren selber und nannte sie "Power Optimisation with Enhanced Risc" (Power). Mit ihnen begründete es eine neue Computergeneration, für die Unix ideal war.

In Symbiose mit Risc-Rechnern gewachsen

Im Februar 1986 erschien das System "RT", offiziell unter dem Label "6150" mit IBMs erstem Risc-Prozessor. Er war positioniert als technisch-wissenschaftlicher Rechner (mit Erweiterungen eine CAD/CAM-Workstation), und in diesem Segment war Unix populär. IBM hatte seine bisherige Unix-Entwicklung teilweise über Bord geworfen und sich einer fremden Entwicklung bedient. Doch anders als im Fall Microsoft und DOS hatte Big Blue diesmal die wesentlichen Grundlagen, nämlich das Unix-System-V-Derivat "IN/ix" integriert, indem man dessen Schöpfer, die kalifornische Firma Interactive Systems gleich übernommen hatte.

Das einzige Betriebssystem eines IBM-Rechners hieß erstmals AIX. In Echtzeit und mit Multitasking konnte es acht Terminal-Benutzer bedienen. Nur? Aber wie! IBM brachte Erfahrungen ein: Ein Virtual Resource Manager sorgte für Geräteunabhängigkeit, Virtual Memory für Dateizwischenspeicherung im RAM. 1 TB Speicher ließ sich nutzen, in 256 MB großen Segmenten.

Nebenher gab es auch noch AIX-Varianten für andere Systeme mit dem blauen Label. IX/370 wurde zu AIX/370, und 1995 sollte AIX/ESA für die neue Generation von Mainframes folgen. Letzteres basierte auf OSF/1. Dieses war das erste Unix-Betriebssystem der Open Software Foundation (OSF). Es steht für eine Episode in der Unix-Geschichte: die "Unix-Kriege".

Big Blue verweigert AT&T die Unix-Gefolgschaft

Bisher hatte alle Anbieter von Unix-Systemen an AT&T Lizenzgebühren zahlen müssen, wenn sie auf deren System-V-Code zurückgriffen, und der galt bei den Kunden als Standard. Unter der Führerschaft von DEC, IBM und HP gründete sich die Open Software Foundation (OSF), um ein AT&T-freies Unix zu schaffen. Im Gegenzug baute AT&T seine Unix-Abteilung in ein eigenes Unternehmen um: Unix System Laboratories (USL). Die organisierte die "Unix International" (UI) als Gegenfront zur OSF. Dort waren Sun AT&T und ICL führende Mitglieder. Die Unix-Community war endgültig gespalten.

Immerhin gab es damals schon "Posix", einen Schnittstellenstandard für Unix. Und der Herstellerverband X/Open bemühte sich, ein völliges Auseinanderdriften der Unix-Versionen zu verhindern. AT&T wurde der Unix-Kriege überdrüssig und verkaufte das Betriebssystem schließlich an Novell. Das Unternehmen schob es nach einem halben Jahr weiter an SCO. Die Rechte an Unix gingen an die X/Open-Nachfolgeorganisation Open Group über.

Inzwischen hatte IBM die Power-Prozessoren weiterentwickelt und plante nun eine neue Rechnerbaureihe. Dafür sollte gleichzeitig AIX verbessert werden. Im Februar 1990 war es soweit: IBM präsentierte die RS/6000 und AIX 3. Dieses entsprach dem aktuellen Posix-Standard, basierte wieder auf System V - IBM distanzierte sich also wieder etwas von der OSF - und war mit BSD 4.3 kompatibel. Mit der "Trusted Computing Base" wurden Sicherheitsstandards eingeführt.

Die weitere Entwicklung verlief zügig. Im April 1992 kam die Version 3.2.1 - übrigens mit der OSF-Technik "Distributed Computing Environment" (DCE) für heterogene verteilte Datenverarbeitung. Im September 1993 folgte das Release 3.2.5, wieder speziell entwickelt für die neuen Power-PC- und Power-2-Prozessoren. Dies war weit mehr als sein offizieller Name "Update Package" verriet: Erstmals waren Erweiterungen in "Subsystemen" zusammengefasst, was für AIX-Administratoren, ge- linde gesagt, "gewöhnungsbedürftig" war. Andererseits brachte die erste Version des "Visual Systems Manager" (VSM) eine Benutzeroberfläche für alltägliche System-Management-Aufgaben.

Der nächste Sprung kam mit AIX 4 im Jahre 1994. Die Installationsroutinen wurden einfacher, die benötigten Ressourcen waren geringer. IBM nahm ferner deutlichen Abstand von proprietären Entwicklungen und implementierte Industriestandards. Unix ging den Weg in Highend: Die 2-GB-Dateigrößengrenze fiel, kleinere Blockgrößen ermöglichten eine bessere Nutzung der Plattenspeicher. Das wurde noch unterstützt von Verbesserungen des "Journaled File System" (JFS) und dem "Logical Volume Manager". Der "Network Install Manager" (NIM) bot die Möglichkeit der Netzwerkinstallation. Eine Änderung in der Lizenz erlaubte es den Anwendern, mit einer RS/6000 nun auch AIX weiter zu verkaufen.

Mitte der 90er Jahre der Pubertät entwachsen

Die Version 4.1.3 vom Juli 1995 bewegte viele Anwender der alten 3er-Releases zum Wechsel. Wenige Monate später bot sich Release 4.1.4 als Server für PC-LAN-Umgebungen an. Im April 1996 kam AIX 4.2 und mit ihm Java, der "Netscape Navigator", der "Adobe Acrobat Reader" und "Netscape Fasttrack Server für den Aufbau von Web-Servern. AIX war Internet-fähig. Ab April 1997 wurde AIX auf den RS/6000 vorinstalliert und musste nun nicht mehr separat geordert und eingerichtet werden.

Mit der AIX-Version 4.3, erstmals ausgeliefert im Oktober 1997 mit dem RS/6000-Server "S70", ging es in eine neue Dimension: 64-Bit Computing. Es war dabei möglich, gleichzeitig 32- und 64-Bit-Programme auszuführen. Die Anwender wurden also nicht zum Wechsel in die 64-Bit-Welt genötigt. Unter anderem war der System-Manager nun Browser-basiert, was die Systemadministration entfernt von der physischen Lokalität des Servers gestattete.

Bis jetzt war aber immer noch erforderlich, dass Administratoren dauernd ein Auge auf das Leistungsverhalten des AIX-Systems hatten, um gegebenenfalls einzugreifen. Das änderte sich mit der Version 4.3.3. Erstmals hielt Automatisierung Einzug in AIX. Der "Workload Manager" (WLM) stellte selbständig sicher, dass definierte kritische Anwendungen die notwendigen Ressourcen an CPU, RAM, I/O und Speicher auch bekamen. Die Ressourcen ließen sich granular den Prozessen zuordnen.

Inzwischen hatte IBM erkannt, dass Intels x86-Architektur sich wegen ihrer Kostenvorteile am Markt durchsetze - und mit ihm Microsofts NT. AIX sollte auf x86 angepasst werden, und gleich noch auf die Zukunft dieser CPU-Architektur. Dazu schloss IBM sich mit Sequent und dem x86-Unix-Spezialisten SCO zusammen. Das Projekt hieß "Monterey" und sollte ein AIX-basierendes Unix auf Power- sowie Intels 32- und 64-Bit-Prozessoren bringen.

Mit dem Buchstaben "L" hält Linux Einzug

Das Projekt entwickelte sich ziemlich unerfreulich. Die Partner waren erstens viel zu klein. Sequent wurde von IBM sogar übernommen, wobei es vor allem um deren Patente ging. SCO konnte nicht mehr Schritt halten.

Big Blue entschloss sich, SCO links liegen zu lassen, und in eine völlig neue Richtung zu entwickeln. Ende der 90er Jahre hatte IBM Linux als Betriebssystem der Zukunft ausgemacht, es sollte künftig gleichberechtigt neben den anderen Betriebssystemen des Anbieters für alle Systeme angeboten werden.

Das Ergebnis war im Mai 2001 AIX 5L 5.1. Der Buchstabe "L" steht für Linux-Affinität. Das bedeutete zunächst, dass AIX Schnittstellen bot, um Linux-Anwendungen unter AIX zu nutzen. Die nächste Version 5.2 vom Oktober 2002 brachte etwas, was sofort Thema Nummer Eins unter IBM-Kunden wurde: LPAR. Logische Partinionierung konnte die Systemressourcen für unterschiedliche Betriebssystemumgebungen aufteilen.

LPAR bringt dynamische logische Partitionierung

AIX 5.2 machte LPAR dynamisch. Im laufenden Betrieb war die Zuteilung von Ressourcen möglich, Unix war jetzt endgültig zu einer virtuellen Maschine geworden. Mit der Version 5.3 vom August 2004 erweiterten sich die Virtualisierungsmöglichkeiten des Betriebssystems auch auf SCSI und Ethernet. Eine Partition kann dabei nur ein Zehntel der Prozessorkapazität beanspruchen. Leistungsverschiebungen aber können per "Micro Partitioning" auf ein Hunderstel feingetuned werden.

IBM kann jede Menge Argumente für AIX vorweisen. Aus diesem Unix ist ein mächtiges Betriebssystem geworden. Trotzdem sind seine Anwender verunsichert, weil IBM enorme PR-Kraft für Linux einsetzt. Wird Big Blue AIX aufgeben?

Die Anzeichen sprechen nicht für ein Ende von AIX. Erstens gilt es eine breite Kundenbasis zu pflegen, in deren IT-Umgebungen das blaue Unix für geschäftskritische Anwendungen genutzt wird. Und diesen Anwender sendet IBM Signale: Im Dezember 2005 eröffnete das Unternehmen im texanischen Austin das "AIX Collaboration Center", in dem Softwarepartner und Anwender ihre Applikationen testen können. Etat für die ersten zwei Jahre: 200 Millionen Dollar. Das schaut nicht so aus, als würde für AIX die weiße Flagge gezeigt.