IBM-Fahrplan

22.08.1980

Normalerweise, so lautet die uralte These professioneller IBM-Beobachter, sind es die Konkurrenten des Marktführers, die die lnnovationsschienen legen. IBM dagegen lebe von der Verzögerung von Innovationen.

Die Wahrheit dürfte wie immer in der Mitte liegen.

Richtig ist sicher, daß der Universalrechner-Gigant nicht auf jedem DV-Teilgebiet-gemessen an der Kunst des technisch Machbaren - jeweils das Neueste, Schönste und Beste bietet (was in den Schubladen der IBM-Laboranten schmort, ist eine andere Sache).

Nur: Dies wird seitens der Anwender von IBM auch gar nicht erwartet. IBM-Kunden wissen es zu schätzen, daß ihnen ihr Computer-Hersteller beispielsweise ein Regelwerk stellt, wie die einzelnen Software- und Hardware-Elemente, die IBM selbstverständlich auch liefert, in einem Netz miteinander verkehren können (SNA!). IBM legt nicht die lnnovationsschienen; IBM legt den Fahrplan fest, wobei sorgsam darauf geachtet wird, daß bei einer erforderlichen Umstellung (Generationswechsel) kein allzu großes Durcheinander entsteht. Die Anschlüsse müssen passen, auch wenn eine Spurverbreiterung vorgenommen wird.

Ein prächtiges Beispiel lieferte der Marktführer vor gut 18 Monaten mit der 4300, der mit Rücksicht auf die vielen DOS-Fahrer kein gänzlich neues Betriebssystemkleid verpaßt wurde.

Daß die kleinen 370-Nachfolger von IBM als Rechnerverbund-Maschinen, Distributed Data Processing-Anlagen und dedizierte Anwendungsentwickungs- und Ausbildungssysteme vermerktet wurden, mußte indes pfiffige Anwender stutzig machen. Dazu waren denn doch die Kommunikationsschwächen (keine MVS-Unterstützung) zu offenkundig.

Durch die Freigabe von MVS/SP für die 4341 (CW-Nr. 32 vom 8. August 1980, Seite 1) hat diese Maschine jetzt für 303X-Anwender eine zentrale Bedeutung bekommen. Grund: Ein DV-Leiter kann nunmehr Anwendungsentwicklung betreiben, ohne sich festlegen zu müssen, ob er später einmal in einem 4341-Mehrsystemverbund oder mit einer zentralen Lösung unter der H-Serie arbeiten will.

In dieses Vexierbild paßt, daß ein erweitertes MVS das Native-Betriebssytem der kommenden H-Serie werden dürfte (Parallele zur 4300 mit DOS/VSE).

Die 4341 als Ausbildungs- und Entwicklungssystem für die 303X-Nachfolger ist ein Konzept, das sich dem Marktführer unter dem Aspekt der Sicherung von Software-Investitionen seiner Kunden geradezu aufdrängt.

Daß der IBM-Markt dadurch offen wird für die Steckerkompatiblen Amdahl, NAS, Magnuson etc., die sich an der 370/303X/4300-Systemsoftware orientieren können, ist ein Nebeneffekt, den IBM einkalkuliert, weil er nicht weh tut. Dafür kann der Mainframe-Riese sicher sein, daß die Alternative "H-Serie oder 4341-Verbund" viele Kunden - im doppelten Sinne - "fesseln" wird. Denn die MVS-Connection eröffnet ja auch die Möglichkeit, Datenbank-Projekte unter IMS auf einem dedizierten 4341 -System durchzuziehen -, ohne den laufenden Betrieb in einem Datenfernverarbeitungsnetz zu stören.

Große Unternehmen, bei denen ein Ausbildungs- und Entwicklungsengpaß besteht, brauchen diesen Komfort. Die Frage ist, ob das neue Konzept, Ausbildung und Entwicklung von der Produktion zu trennen, von den Anwendern verstanden wird.