Java-Variante parallel zu herkömmlicher Architektur

IBM fährt bei Lotus Notes zweigleisig

13.09.2002
Lotus-Chef Al Zollar kündigte Anfang des Jahres an, Notes/Domino werde zukünftig auf Java 2 Enterprise Edition (J2EE) und der DB2-Datenbank beruhen. Auf der gleichen Veranstaltung wurde diese Aussage abgeschwächt, indem IBM-Verantwortliche eine Java-Zukunft auf Basis des bestehenden Produkts in Aussicht stellten. Diese Unklarheiten betreffen unmittelbar das zukünftige Verhältnis von Websphere und Notes - ein Thema, das Anwender hierzulande schon seit geraumer Zeit verunsichert. Janette Horan, IBM Vice President for Worldwide Development and Support Lotus Software, nahm im Gespräch mit den CW-Redakteuren Wolfgang Miedl und Wolfgang Sommergut zu diesen Fragen Stellung.

CW: Womit dürfen Notes-Anwender denn nun rechnen: mit einer Neuentwicklung von Domino auf Basis von J2EE, oder einer bloß verbesserten Java-Unterstützung des bestehenden Produkts?

Horan: Wir haben in den letzten Jahren den monolithischen Domino-Server um zahlreiche Internet-Standards ergänzt und so für neue Anwendungen geöffnet. Mit Java und Web-Services können wir diesen Kurs fortsetzen und so Kernkomponenten von Domino von außen zugänglich machen. Ein wesentlicher Aspekt unserer Strategie besteht also darin, dass Notes-Anwendungen mit Applikationen koexistieren können, die auf Basis eines J2EE-Servers entwickelt werden. Der Domino-Server, wie wir ihn heute kennen, wird weiterentwickelt und um neue Funktionen ergänzt. Etwa 18 Monate nach der Version 6, die in Kürze freigegeben wird, wollen wir bereits das nächste größere Release auf den Markt bringen.

Parallel dazu arbeiten wir an einem Projekt unter dem Code-namen "Nextgen". Dort verfolgen wir das Ziel, unsere reichhaltige Collaboration-Software in Form von Komponenten und Services auf eine J2EE-Infrastruk-tur zu bringen. Wir denken dabei an die Funktionalität von Produkten wie "Quickplace", "Sametime" oder den "Knowledge Discovery Server".

Unsere Java-Notes-Strategie folgt somit zwei Pfaden: dem der Koexistenz und jenem der Parallel-Entwicklung. Bei der Nutzung von Domino benötigt man zusätzlich einen Java-Server, man hat es also mit zwei Servern zu tun. Dem gegenüber implementiert Nextgen seine Collabora-tion-Fähigkeiten nativ auf einer J2EE-Plattform.

CW: Wird Nextgen demnach seine Collaboration-Features als Enterprise Javabeans (EJBs) realiseren?

Horan: Das hängt vom Produkt ab, dessen Funktionen wir auf J2EE umsetzen. Einiges werden wir sicher als EJBs programmieren, vieles aber auch auf der Ebene des Containers implementieren. Die Collaboration-Komponenten liegen jedenfalls als native Websphere-Applikationen vor. Entwickler, die Java-Anwendungen auf Basis von Websphere schreiben, können dann Features wie Instant Messaging oder Diskussionsforen in ihre Programme integrieren.

CW: Das klingt aber nicht mehr nach einer Portierung von Domino auf Java. Gibt es dafür überhaupt Pläne?

Horan: Quickplace repräsentiert eine Menge von dem, was Sie wahrscheinlich als Kernfunk-tionen von Domino bezeichnen würden. Quickplace auf Websphere können Sie sich daher in vielerlei Hinsicht als äquivalent zu Domino auf Websphere vorstellen. Aber das Notes-Anwendungs- und Programmiermodell kann nicht ohne weiteres auf eine andere Plattform portiert werden. Es verfolgt einen integrierten Ansatz. Unsere Kunden haben auf dieser Basis zahllose Anwen-dungen entwickelt. Domino wird solchen bestehenden Code auch weiterhin ausführen können.

CW: Die Versionen 5 und 6 von Domino setzen schon viel von dem um, was Sie für die Koexistenz mit der Java-Welt benötigen. Dazu zählen die Java-APIs für den Zugriff auf die Backend-Klassen oder künftig die JSP-Taglibs. Was gibt es für Domino 7 in dieser Hinsicht noch zu tun?

Horan: Einige Standards rund um Web-Services befinden sich noch im Fluss. Wir bemühen uns bei Domino 7, den Zugriff auf Kernfunktionen über Web-Services zu vereinfachen. So wollen wir etwa den Kalender auf diese Weise zugänglich machen. Wir gehen davon aus, dass sich für Funktionen wie dem Planen von Meetings oder der Suche nach freier Zeit herstellerübergreifende XML-Schemata etablieren werden.

CW: Wollen Sie damit sagen, dass in Domino 6 derartige Funktionen nicht über Web-Services angesprochen werden können?

Horan: Doch, das ist schon möglich. Allerdings benötigen Sie dann ein separates Web-Service-Toolkit und müssen die Schnittstelle selbst implementieren.

CW: Für viele Domino-Anwender ist Messaging das mit Abstand wichtigste Feature. Haben Sie vor, auf Basis von Web-Sphere auch einen Mail-Server zu realisieren?

Horan: Wir werden voraussichtlich ein simples Mail-System auf Basis von Websphere und DB2 anbieten. Es soll für einfache Anwendungsfälle genügen. Unser Flaggschiff in diesem Bereich bleibt Domino.

CW: Bisher hat IBM das Verhältnis von Domino und Websphere so definiert, dass der Lotus-Server für Collaboration und der Java-Server für Transaktionen gedacht sei. Damit sollte die Verunsicherung bei Anwendern und Partnern beseitigt werden. Wie sieht die Arbeitsteilung zwischen den beiden Produkten aus, wenn Websphere um Collaboration-Komponenten erweitert wird?

Horan: Ich glaube, dass viele Unternehmen heute schon eine grundsätzliche Entscheidung für ein Anwendungsmodell treffen. Wir überlassen es derzeit unseren Kunden, ob sie Anwendungen auf Domino oder Websphere entwickeln wollen.

Wir arbeiten aber eng mit dem Team von "Websphere Studio" zusammen, um das von Domino her bekannte Konzept des Rapid Application Development (RAD) innerhalb unserer Entwicklungsumgebung anbieten zu können. Viele unserer Partner, denen heute noch die Java-Kenntnisse für die Programmierung auf Websphere fehlen, werden dann eine vertraute Umgebung vorfinden.

CW: Es gab schon Ankündigungen, dass die Unterstützung für Lotusscript und sogar für die Formelsprache in Websphere Studio geplant sei. Sollen damit Notes-Entwickler auf Websphere gelockt werden?

Horan: Nein, wir werden keine Unterstützung für Lotusscript in Websphere Studio anbieten. Wir übertragen nur das Konzept der visuellen Entwicklung und das Event-Modell in die Java-Umgebung. Ansonsten wird sich die Entwicklung für Nextgen auf Java und Javascript beschränken.

CW: Wie lange wird es dauern, bis die IBM ihren Kunden empfiehlt, nicht mehr für Domino, sondern nur mehr für Nextgen zu programmieren?

Horan: Ich glaube nicht, dass wir unseren Kunden jemals derartige Vorschriften machen werden. Vielmehr werden diese nach und nach von selbst die Vorzüge des Java-Modells entdecken. Es lässt sich viel besser mit unserer Portalstrategie und dem Konzept der "Contextual Collaboration" vereinbaren. Es sieht vor, dass alle möglichen Typen von Software um Teamfunktionen ergänzt werden. Vermutlich wird es nicht allzu lange dauern, bis mehr Anwendungen in Java als in Lotusscript entwickelt werden.

CW: In letzter Zeit macht Notes-Erfinder Ray Ozzie mit "Groove" viel von sich reden. Sehen Sie in solchen Peer-to-Peer-Ansätzen eine Bedrohung oder eine Ergänzung zu Notes?

Horan: Ray macht mit Groove zweifellos einige interessante Experimente. Nach meiner Einschätzung ist er zu sehr dem Desktop-Paradigma verhaftet. Ich habe mit einigen großen Anwendern gesprochen, die sich schon mit dem Tool beschäftigt haben. Sie konnten aber keinen geschäftlichen Nutzen darin entdecken. Dafür waren sie besorgt über die Netzlast, die es erzeugt. "Lotus Quickplace" eignet sich besser für ihre Zwecke, weil es wie Groove ebenfalls Ad-hoc-Collaboration ermöglicht, aber Server-gestützt ist und die Programmierung mit Java erlaubt.