Datenbankprototyp für technisch-wissenschaftliche Anwendungen:

IBM-Entwickler basteln an NF2-Erweiterung

25.03.1988

HEIDELBERG (qua) - IBM-Wissenschaftler haben einen Datenbankprototyp entwickelt, für den die Tabellenform kein Dogma darstellt. Das DBMS ist insbesondere für technisch-wissenschaftliche Aufgaben ausgelegt; inwieweit es als Produkt vermarktet werden wird, steht allerdings noch in den Sternen.

"Es ist nicht möglich, die Komplexität der technischen Welt in ein einheitliches Datenbanksystem zu fassen", so das Fazit des Erlanger Informatikprofessors Hartsut Wedekind. Gleichwohl wird vielerorts an Datenbanken für komplexe Objekte gearbeitet - unter anderem auch am IBM-eigenen Wissenschaftlichen Zentrum Heidelberg (WZH), das jetzt sein zehnjähriges Bestehen feierte.

"Advanced Information Management Prototype" (AIM-P) nennt sich das entsprechende Forschungsprojekt, mit dessen Verwirklichung und Verbesserung ein gutes Dutzend Wissenschaftler seit mehr als fünf Jahren beschäftigt ist. Der Datenbankprototyp baut auf der relationalen Technik auf, weist aber teilweise über sie hinaus. Dazu der Forschungsgebietsleiter Peter Dadam: "Bei technisch-wissenschaftlichen Anwendungen zeigt das relationale Modell Schwächen, da die Daten eines komplexen Objekts auf eine große Anzahl von Relationen verteilt werden müssen."

Einer radikalen Abkehr von den konventionellen Datenbankmodellen will der IBM-Wissenschaftler jedoch nicht das Wort reden. Zwar böten beim heutigen Stand der relationalen Technik navigierende Schnittstellen in einigen Fällen die elegantere Lösung; doch im großen und ganzen sehe er innerhalb der kommenden 15 Jahre keine Alternative zu den relationalen Systemen: "Deren Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft." Allerdings habe sich das Wissenschaftlerteam mittlerweile "ein bißchen vom Denken in Tabellen gelöst".

Das System basiert auf der als "Non-First-Normal-Form" (NF2) bekannten Erweiterung des relationalen Modells. Darüber hinaus entwickelten die WZH-Mitarbeiter für das Projekt eine eigene Datenbanksprache, die sie "Heidelberg Data Base Language" (HDBL) tauften. Die Abfragesprache SQL ist laut Dadam ungeeignet für den NF2-Einsatz, weil sie nur flache Tabellen beschreibt.

Ziele des Projekts waren neben der Unterstützung von komplexen Objekten auch die Möglichkeiten zur Vergabe von benutzereigenen Definitionen sowie die Abfrage von nichtaktuellen Datenbankinhalten. Lauffähige Versionen des Prototyps sind bereits im Einsatz - vorwiegend im Hochschulbereich.

Daß die Heidelberger Datenbankentwicklung geeignet sei, DB2 aus dem Rennen zu werfen, bezweifelt Dadam: "Es wäre blauäugig, zu glauben, daß eine Forschungsgruppe von maximal acht Personen ein Produkt ersetzen könne, an dem Hunderte von Leuten arbeiten." Außerdem hieße dies, so der Datenbankfachmann, "das Kind mit dem Bade auszuschütten". AIM-P sei speziell auf technisch-wissenschaftliche Bedürfnisse ausgerichtet, also für kommerzielle Anwendungen nicht unbedingt die effizienteste Lösung.

Der Vorschlag des Wissenschaftlers lautet, eine Schicht mit komplexeren Strukturen über das Standard-DB2 zu legen, um für jede Aufgabe das geeignete Datenbankinstrument verfügbar zu haben. Wann die IBM die Ideen der Heidelberger Datenbank-Experten aufgreifen und in Produkte umsetzen wird, sei bislang noch nicht absehbar. Getreu seinem Wahlspruch "Never the first" interessiere sich das Unternehmen zunächst auch für die Reaktion der Mitbewerber auf das Projekt. Dadam: "Es ist nicht wichtig, der erste zu sein; wichtig ist vielmehr, daß das, was auf den Markt kommt, wissenschaftlich ausgegoren ist."