IBM entdeckt den Mittelstand neu

12.09.2005
IBM intensiviert das Geschäft mit kleinen und mittleren Kunden. Weltweit bearbeitet Steve Solazzo diesen Markt, in Deutschland ist Andreas Kerstan zuständig. CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer sprach mit beiden.

CW: IBM hat die Organisation in Europa kräftig umgekrempelt und das Headquarter in Paris entmachtet. Wie wirkt sich das auf die Adressierung des Kundensegments Mittelstand in Europa und insbesondere in Deutschland aus?

Hier lesen Sie …

• wie sich die Umorganisation der IBM Europe auf den deutschen Mittelstand auswirkt;

• warum IBM glaubt, nach jahrelangen Bemühungen um kleinere und mittelständische Unternehmen jetzt Erfolg haben zu können;

• was deutsche Mittelstandsunternehmen an Big Blue kritisieren;

• und warum der Computerriese dieses Firmensegment besonders attraktiv findet.

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*79243 (IBM bedient den Mittelstand mit Speichersystemen);

*80201 (Forrester: IT-Budgets im Mittelstand);

*70727 (IBM zeigt On-Demand-Strategien);

*71753 (IBM lockt Softwarehäuser auf I-Series-Server).

Solazzo: Wir haben nicht nur einfach die Organisation geändert, sondern auch Management-Entscheidungsprozesse erheblich modifiziert und in die einzelnen Länder verlagert. Die Organisation, die auch für Deutschland verantwortlich ist, hat ihr Hauptquartier jetzt in Zürich.

CW: Sie haben Paris als führenden Standort aufgelöst und jetzt werden die Entscheidungen in Zürich getroffen?

Kerstan: Nein, früher wurden Entscheidungen, etwa über die Preisgestaltung, in Paris getroffen. Das passiert heute für den deutschen Markt in Deutschland und sogar durch den jeweils verantwortlichen Vertriebsmanager. Wir haben da einiges geändert. Vielleicht setzen wir dieses neue Konzept heute noch nicht überall um, aber das ist das Ziel.

Solazzo: Das Team in Zürich ist übrigens nur sehr klein. Den größten Teil der Leute in Paris haben wir in die Länderorganisationen zurück beordert. Wir haben jetzt mit Madrid eine Zentrale, die für Südwesteuropa zuständig ist, und Zürich, das alle Geschäfte für Nordosteuropa organisiert. In Zürich arbeiten übrigens gerade mal acht Leute, die sich um das Thema Small and Medium Business, also das Geschäft mit Mittelstandskunden und kleinen Unternehmen, kümmern.

Kerstan: Um das noch einmal zu betonen: Dem deutschen Mittelständler ist es doch egal, wo unsere Europazentren sind. Er will eine direkte Ansprache der IBM haben. Wir haben insbesondere in Deutschland viel investiert, um unsere Partnerstruktur auf dem gleichen Niveau beizubehalten.

CW: In Deutschland häuften sich aber die Beschwerden von Mittelstandskunden über die IBM. Nur ein Beispiel: Da wurden Werbebriefe an Unternehmen versandt, in denen die Vorteile etwa der I-Series-Systeme beworben wurden, und IBM hat nicht einmal gewusst, dass es sich bei den angeschriebenen Adressaten längst um teils langjährige Kunden handelt. Was läuft da falsch in den Kundenbeziehungen?

Salazzo: Nun, IBM ist ein sehr großes Unternehmen mit komplexen Kunden-, Vertriebs- und Partnerstrukturen. Wir haben Jahr für Jahr Abermillionen von Kundenkontakten. Da kann so etwas schon einmal passieren. Aber ein Vorteil der jetzt gerade vollzogenen Management-Umstrukturierung ist, dass wir alle Entscheidungen, beispielsweise zum Marketing oder zur Preisfindung, jetzt in den Ländern selbst treffen. Da gibt es keine zentralen Marketing-Kampagnen beispielsweise zu den von Ihnen angesprochenen I-Series-Systemen mehr von Paris aus. Das geschieht jetzt auf die jeweiligen Anforderungen der Märkte zugeschnitten in den einzelnen Ländern.

Kerstan: Wir haben in Deutschland eine klare Strategie, wie wir den Mittelstand ansprechen. Die schlägt sich auch in unserem Customer-Relationship-Modell nieder. Ich will Ihnen aber insofern Recht geben, als auch wir durch Kundenbefragungen herausgefunden haben, dass IBM nicht immer nahe genug am Kunden operiert. Das wird sich aber durch die neue Organisation ändern. Wir haben klare Modelle, wie und in welchen Zeiträumen wir unsere kleinen und mittelständischen Kunden ansprechen. Übrigens ist es jetzt auch möglich, ganz gezielt lokalisierte Marketing-Kampagnen zu vollführen. Da können sich Unterschiede sogar zwischen Nord- und Süddeutschland ergeben.

CW: Wird sich das Marketing, also die Ansprache an potenzielle Mittelstandskunden, dadurch ändern?

Solazzo: Definitiv ja. Sie sehen das auch an den Kampagnen, in denen wir unsere On-Demand-Strategie auf die Mittelständler münzen. Im Prinzip sollten alle Unternehmen, egal welcher Größenordnung, On-Demand-Unternehmen werden. Firmen müssen ihre Kostenstruktur zunehmend variabler gestalten. Sie sollten ferner je nach Anforderungen die sich ständig wechselnden Ansprüche an IT-Ressourcen modifizieren können. Wenn man sich Mittelstandsunternehmen ansieht, so fällt doch auf, dass sie alle ähnliche Anforderungen haben wie Großkonzerne.

CW: Kann man die Anforderungen von Mittelständlern wirklich mit denen von Großkonzernen gleichsetzen?

Solazzo: Doch, im Prinzip haben sie die gleichen Anforderungen. IT-Abteilungen wollen ihren hausinternen Kunden immer im weitesten Sinn Dienstleistungen anbieten. Beide halten horizontale Softwarelösungen vor, beide bedienen auch ähnliche Problematiken - nehmen Sie etwa das Thema Sicherheit...

Kerstan: Stimmt. Allerdings nutzen Großkonzerne andere Anwendungen. Zudem ist der Mittelstand eher pragmatisch: Diese Firmen achten stark auf den Return-on-Investment und sind nicht so sehr an strategischen Fragen interessiert, die quasi eine Laufzeit von mehreren Jahren haben. Das Hauptaugenmerk von kleineren Firmen liegt momentan zum einen auf den Themen Sicherheit und Basel II, zum anderen auf ERP-Systemen und der Konsolidierung ihrer IT-Infrastruktur sowie schließlich dem Thema CRM und der inkrementellen Verbesserung ihrer Geschäftsmodelle. Das sind die Probleme der Mittelstandsfirmen.

Solazzo: In diesem Szenario wollen wir kleinen und mittelständischen Firmen nun helfen, On-Demand-Firmen zu werden.

CW: Aber noch einmal die Frage, jetzt auf das On-Demand-Thema reduziert: Sind solche Konzepte überhaupt geeignet für Mittelstandskunden?

Solazzo: Erstaunlicherweise sind es sehr häufig Firmen mittlerer Größe, die bezüglich neuer Konzepte quasi eine Avantgarde darstellen. Also Unternehmen - wie wir den Mittelstand definieren - mit weniger als 1000 Mitarbeitern oder solche, die noch im Privatbesitz sind. Die großen Konzerne haben ja alle eine ausdifferenzierte IT-Infrastruktur, so dass sie häufig gar nicht sofort auf so etwas wie On-Demand-Strategien anspringen. Mittelständische Betriebe dagegen wenden sich oft Konzepten zu, mit denen sie schnell neue Techniken wie etwa Sicherheit, Web-Commerce etc. angehen. Sie sind diesbezüglich häufig so genannte Early Adopters, Speerspitzen einer Entwicklung also.

Kerstan: Man muss übrigens noch einmal betonen, dass On-Demand kein Produkt ist, das man kaufen kann. Vielmehr handelt es sich um eine bestimmte Art, seine IT-Infrastruktur so aufzusetzen, dass man in sie auch Partner, Kunden und Lieferanten einbinden kann, um so schnell auf Marktveränderungen reagieren zu können.

CW: Warum eigentlich lanciert IBM eine Marketing-Strategie in Sachen Mittelstand gerade jetzt? Big Blue versucht doch schon seit Jahren, dieses Segment zu adressieren. Sind Sie nicht zufrieden mit den Ergebnissen?

Solazzo: Es ist richtig, IBM hat das Thema Mittelstand schon seit mehr als zehn Jahren adressiert. Dieses Marktsegment war und ist für uns schon immer interessant gewesen. Warum also jetzt? Weil dieses Segment schneller wächst als der restliche Markt.

CW: Und deshalb machen Sie jetzt in Mittelstandsfokussierung?

Solazzo: Nein, es ist so, dass IBM sich jetzt richtig aufgestellt hat. Das spiegelt sich innerhalb der IBM wider: In der I-Series-Division gibt es eigens eine auf den Mittelstand fokussierte Abteilung. Für die Software gilt das Gleiche, ebenso in der Dienstleistungs- und der Finanzierungssparte - überall haben wir dafür gesorgt, dass dort Verantwortliche sitzen, die das Thema Mittelstand vorantreiben. Und jetzt machen sich alle unsere Investitionen und Organisationen zum Thema Mittelstand innerhalb der IBM langsam bezahlt. Wenn Sie sich die vergangenen zehn Jahre ansehen, stellen Sie fest, dass wir in Produkte, Vertriebskanäle und Dienstleistungen erheblich investiert haben - und alle diese verschiedenen Aspekte haben wir in den vergangenen zwei Jahren harmonisieren, aufeinander abstimmen können. Im Ergebnis kann ich sagen, dass die IBM-Mittelstands-Geschäftseinheit schneller wächst als IBM insgesamt. Wir haben es geschafft, das SMB-Geschäft (Small and Medium Business, Anm.d.Red.) in eine Wachstumsmaschine zu wandeln.

CW: Mit anderen Worten: IBM geht das Mittelstandsgeschäft jetzt professioneller an als bisher?

Solazzo: Genauso kann man es sagen. Nehmen Sie nur ein Beispiel: Unser Kreditprüfungssystem, das wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben, ist einzigartig, und es ist eben jetzt einsatzbereit. Und so gibt es eine Menge von Investitionen, die sich erst heute bezahlt machen. Wir bei IBM haben einen Ausdruck für diese Entwicklung: SMB ist the place to be!