Big Blue in den Startlöchern für das E-Business-Geschäft

IBM: Deutschland trägt bei Web-Nutzung rote Laterne

09.12.1998
STUTTGART (CW) - Mit großem Aufwand sind Big Blue und andere Hersteller seit geraumer Zeit bemüht, die Bedeutung des Electronic Business hervorzuheben. Auch der neue IBM-Deutschland-Chef Erwin Staudt nahm sich des Themas an. Sein Credo: Deutsche Firmen und private Verbraucher laufen Gefahr, erneut eine wichtige IT-Entwicklung zu verschlafen.

Weltweit sind bei Big Blue momentan rund 2400 Mitarbeiter mit diesem Thema befaßt - davon laut Ludwig von Reiche, Leiter sowohl des Geschäftsbereichs E-Business Solution als auch der Berliner IBM-Niederlassung, 600 in Europa und 130 in Deutschland. "Für uns ist E-Business längst zum strategischen Kerngeschäftsfeld geworden, das alle anderen Unternehmensbereiche tangiert", rückte der IBM-Manager vor der Presse in Stuttgart die entsprechenden Konzernaktivitäten ins rechte Licht: "Wir erzielen mit diesen Produkten bereits beachtliche Umsätze". Konkrete Zahlen wollte der E-Business-Verantwortliche von Big Blue aber nicht nennen.

Auch der neue Vorsitzende der Geschäftsleitung der IBM Deutschland GmbH, Erwin Staudt, nutzte das Thema E-Business vergangene Woche für seinen ersten Auftritt vor Fachjournalisten. "E-Business ist eine Chance, die im Geschäftsleben noch nie da war. Das Kundenpotential im Internet ist nahezu unbegrenzt", meinte der Nachfolger von Hermann-Josef Lamberti. Bei dieser Aussage stützt sich Staudt auf Umfragen, die IBM Mitte des Jahres bei rund 2000 IT-Verantwortlichen großer europäischer Unternehmen veranstaltete. Danach erwarten 85 Prozent der Befragten gravierende Nachteile im Wettbewerb, wenn sie nicht in E-Business-Lösungen investieren. 69 Prozent der IT-Manager gehen davon aus, daß das E-Business künftig zentraler Bestandteil der Marketing- beziehungsweise Vertriebsaktivitäten sein wird. Immerhin 70 Prozent wollen festgestellt haben, daß Kunden zumindest mehr Möglichkeiten zur elektronischen Kommunikation mit ihren Lieferanten und sonstigen Geschäftspartnern wünschen. Allerdings ergab die bis dato unter Verschluß gehaltene IBM-Untersuchung auch, daß es bei den europäischen Firmen in aller Regel noch an einer konsequenten Strategie für ihre E-Business-Aktivitäten mangelt.

Weltweit sieht Staudt wie die meisten Experten ein enormes Wachstumspotential für E-Business. Ein Geschäftsbereich übrigens, den man bei Big Blue als generelle Neuausrichtung eines Unternehmens in Sachen Internet- und Intranet-Kommunikation definiert - intern wie extern. Nach Erhebungen der Armonker wird sich das Investitionsvolumen in E-Business-Komponenten und Netzwerke bis zum Jahr 2002 von derzeit 280 auf über 600 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln.

Davon dürften knapp 60 Prozent auf Service-Aktivitäten entfallen, während das einschlägige Geschäft mit Hardware (28 Prozent) und Software (14 Prozent) unter ferner liefen rangiert (siehe Abbildung). "Wir können alles aus einer Hand anbieten", rührte Staudt dabei die Werbetrommel in eigener Sache. Schon jetzt hätten beispielsweise Handelsfirmen wie die französische Medienkette Fnac oder der Schweizer Migros-Konzern mit Hilfe von IBM-Equipment ihre gesamten Unternehmensprozesse umgestellt.

Im Vergleich dazu ist Staudt zufolge die Situation in Deutschland jedoch ernüchternd: "Die Bedeutung der IT wird hierzulande prinzipiell nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit diskutiert wie in anderen Ländern." Auch an der Konsequenz bei der Umsetzung entsprechender Projekte und Maßnahmen mangle es. Deshalb sei Deutschland derzeit "nicht nur Mittelmaß im Fußball, sondern rangiert auch in der weltweiten IT-Liga nur auf einem Platz im Mittelfeld", brachte Staudt das seit längerem bekannte Standortproblem auf den Punkt. Auch die Zahl der Internet-Anschlüsse sei deprimierend. Ein Land wie Finnland besitze eine "mehr als sechsmal höhere Dichte an Web-Zugängen". Eine Schwierigkeit, der sich Unternehmen hierzulande vor allem auch bei der Eroberung des Consumer-Marktes gegenübersehen dürften.

Untersuchungen der hiesigen Herstellervereinigungen bestätigen dies. So wies unlängst der Fachverband Informationstechnik im VDMA und ZVEI erneut darauf hin, daß Deutschland im weltweiten Maßstab zwar zu den Ländern mit den besten infrastrukturellen Voraussetzungen für Electronic Business zählt, diese aber nicht ausreichend nutze. So würden hierzulande nur zehn Prozent aller Geschäfte elektronisch abgewickelt. Angemessen wären 25 Prozent. In den USA verfügte 1997 bereits jede fünfte Person über einen Internet-Anschluß, in Deutschland hingegen nur jeder zwanzigste. Zahlen, die tendenziell auch vom konkurrierenden BVB Bundesverband Informations- und Kommunikations-Systeme e.V. bestätigt werden.

Auch eine Untersuchung, die das Marktforschungsunternehmen Meta Group im Sommer 1998 organisiert hat, spricht Bände. Danach wurden 980 Unternehmen in Deutschland nach ihrem Einsatz und der Planung von E-Commerce-Lösungen befragt. Das Ergebnis: Zwar verfügen bundesweit ingesamt bereits zwei Drittel der mittelständischen Betriebe und Großunternehmen über eine Web-Site. Doch von den befragten Unternehmen nutzen nur 29 Prozent diese Internet-Präsenz für E-Commerce oder planen zumindest entsprechende Aktivitäten im Cyberspace. Laut Meta Group unterschätzen viele Unternehmen die Bedeutung des E-Commerce noch und tun deshalb zuwenig dafür.

Angesichts solcher skeptischen Prognosen sei es, so Staudt, dringend erforderlich, in der Bevölkerung ein stärkeres Bewußtsein für das Netz der Netze zu wecken. Dies müsse schon bei der Schulbildung anfangen, was wiederum die Unterstützung der Bundesregierung voraussetze. Dabei verwies Staudt darauf, daß etwa in den angelsächsischen Ländern oder in Asien die Bedeutung des Internet nicht nur erkannt worden sei, sondern zum Teil auch ungewöhnliche Maßnahmen zu dessen besserer Nutzung ergriffen wurden. Staudt: "In Singapur wurde beispielsweise der schulfreie Samstag zugunsten eines PC- und Internet-Trainings gestrichen. Etwas Vergleichbares wäre in Deutschland bislang undenkbar.