Internet-Euphorie weicht einer realistischeren Betrachtung

IBM-Chef warnt vor einem Unix-Schicksal für Java

20.12.1996

Das rege Interesse an der Internet World belegt eines deutlich: Das Internet und seine unternehmensinterne Spielart, das Intranet, sind aus dem amerikanischen Networking-Business nicht mehr wegzudenken. Während hierzulande noch über die potentiellen Risiken des offenen Netzes diskutiert wird, gehört jenseits des großen Teiches die Kommunikation via Internet bereits zum Alltag. In einem anderen Punkt haben die Amerikaner aber mit den gleichen Problemen wie die Europäer zu kämpfen: Das Netz ist auf dem besten Wege, sich zum Medium einer finanziell gut situierten Elite zu entwickeln, statt das Massenmedium der Information Society zu werden, als das es US-Vice-President Al Gore immer gerne propagiert.

Entsprechend eindringlich appellierte Reed Hundt, Chairman der Federal Communications Commission (FCC) am Vorabend der Messe an Industrie und Staat, die notwendigen Investitionsmittel bereitzustellen, um über Schulen und Bibliotheken endlich dem Gros der Amerikaner das Tor zum Cyberspace zu öffnen. Hundt zufolge dürften dafür Infrastrukturmaßnahmen in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar erforderlich sein, wobei ungeklärt ist, wer diese Summe aufbringen soll.

Einen weiteren Dämpfer erhielt die amerikanische Internet-Euphorie durch eine Studie zum Electronic Commerce, die AT&T gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Odyssey auf der Internet World präsentierte. Zwar verkauften die US-Fluggesellschaften heuer bereits ebenso viele Tickets über das Internet wie via Telefon, doch das Gros der Amerikaner (50 Prozent wollen in den nächsten fünf Jahren online shoppen) dürfte beim Surfen auf geschlossene Läden treffen (siehe Abbildung 1). Lediglich ein Drittel der befragten Unternehmern sehen nämlich in den nächsten fünf Jahren das Internet als wichtiges Verkaufsinstrument. Mit 81 beziehungsweise 64 Prozent bevorzugt die amerikanische Geschäftswelt dagegen eindeutig Telefon und Fax. Selbst bei der Suche nach Informationen bleibt den Surfern in den nächsten Jahren wohl kaum der Griff zum Telefonhörer erspart, da nicht einmal die Hälfte der amerikanischen Firmen eigene Web-Angebote realisieren will.

In den Chor der Skeptiker stimmte auch IBM-Boß Louis Gerstner mit seiner Eröffnungsrede ein: Der CEO sagte, es würde ihn nicht wundern, wenn das Internet in nächster Zeit einen Rückschlag erleiden werde, da die Entwicklungen der letzten zwölf Monate für die Anwender eher verwirrend gewesen seien.

"Wenn wir nicht endlich die Bedürfnisse unserer Kunden erfüllen", so schrieb Gerstner sich und seinen Mitbewerbern ins Stammbuch, "dann werden sich die Consumer fragen, ob sie mit dem Internet nicht ihre Zeit verschwenden und die professionellen Anwender, ob sie nicht ihr Geld vergeuden."

Vor diesem Hintergrund appellierte der Manager an die Unternehmen, endgültig eine Übereinkunft mit der US-Administration in Fragen der elektronischen Sicherheit zu finden - umstritten sind vor allem die Modalitäten der Verschlüsselung - sowie Java endlich als Industriestandard zu etablieren. Gelinge dies, so hätten Intranet und Extranet - wie Gerstners neue Wortschöpfung für das Internet lautet - durchaus das Zeug dazu, endlich die Versprechen des Client-Server-Computings zu erfüllen.

Den Anwender interessiere nämlich mehr eine funktionsfähige, leicht zu bedienende Lösung seiner DV-Probleme, nicht aber ein Krieg um Standards und Browser-Plattformen. Dabei steht es für Gerstner außer Frage, daß Java die Internet-Zukunft gehört. Der CEO gab Besuchern und Herstellern die Warnung mit auf den Weg, die Internet-Programmiersprache nicht durch die Entwicklung von zu vielen Varianten der Basistechnologie zu töten: "Die Industrie sollte Java nicht das gleiche antun wie dem Betriebssystem Unix."

Zumindest die beiden Konkurrenten Netscape und Microsoft scheinen sich die mahnenden Worte des IBM-Chefs zu Herzen zu nehmen. Beide verzichteten auf der Messe auf gegenseitige Attacken und konzentrierten ihre Kräfte darauf, neue Verbündete im Kampf um die Internet-Vorherrschaft zu gewinnen.

So hat Netscape beispielsweise in den fünf Baby Bells Ameritech, Bell Atlantic, Bell South, Pacific Bell und Southwestern Bell Partner gefunden, die den Browser des Unternehmens ihren Kunden für das eigene Internet-Angebot liefern wollen. Microsoft dagegen setzt mit seinen neuen Verbündeten Pointcast und US Web eher auf den Mehrwert des Internet. So hat sich Pointcast bereits als Content-Provider einen Namen gemacht, während sich US Web darauf spezialisiert, Unternehmen beim Aufbau von Intranets und Internet-Angeboten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Während ein verbaler Krieg zwischen den Playern diesmal also ausblieb, bemühte sich zumindest Microsoft um eine eindrucksvolle Präsentation. Auf dem Pavillon hatte der Softwaregigant fast 50 Aussteller versammelt, die mit ihren Active-X-Produkten die Bedeutung dieser Java-Alternative untermauern sollten. Dieser Gigantomanie konnte Java-Promoter Sun auf seinem Stand nur wenig entgegensetzen. Enttäuscht zeigten sich amerikanische Besucher auch vom Messeauftritt Netscapes, hatten sie sich doch von der Company mehr erwartet als die Vorstellung der Entwicklungsumgebung "Suitetools". Selbst eingefleischten Netscape-Fans entfuhr angesichts Microsofts Vorführung des "Internet Explorer 4" ein begeistertes "Wow".

Kunterbunt präsentierte sich dem Messegänger dagegen der Rest der Ausstellungsfläche: Bildete das Trio Sun, Microsoft und Netscape immerhin noch eine thematische Einheit, so herrschte ansonsten weitgehend das Chaos. Anbieter von Soundkarten mischten sich mit Modemherstellern, durchsetzt von einzelnen Firewall-Produzenten. Überhaupt war auffallend, wie wenig das Thema Sicherheit in New York im Vergleich zu Netzwerkmessen wie der Interop in Atlanta eine Rolle spielte. Dafür schlug am Hudson River die große Stunde der Anbieter von Web-Authoring- und Management-Tools.

Der Themenmix des Events kann wohl stellvertretend für die derzeitige Situation der Internet-Entwicklung gesehen werden: Auf der einen Seite der Consumer-Markt, auf der anderen Seite der Trend, Internet-Technologien in der Unternehmens-DV einzusetzen. So warben neben den Modemherstellern zahlreiche Online-Dienste und Internet-Provider um die Gunst der Verbraucher, ganz zu schweigen von Online-Banking-Angeboten, wie sie Citibank oder Wells Fargo präsentierten. Companies wie Tradeex oder Open Market wandten sich dagegen an professionelle Anwender, die sie für die Implementierung elektronischer Handelsplattformen gewinnen wollten.

Wenig nachvollziehbar war für den europäischen Besucher angesichts der Performance-Engpässe auf dem alten Kontinent, mit welcher Inbrunst die Amerikaner das Internet als Massenmedium der Zukunft propagierten. Nach Internet-Telefonie und Video-Conferencing soll das globale Netz künftig auch, so die Vorstellung einiger Aussteller, zur TV-Ausstrahlung genutzt werden. Daß dabei auch Radiosendungen in Stereo zum guten Ton gehören, versteht sich von selbst.

Des weiteren fiel beim Messerundgang die Vielzahl kleinster Stände mit Startup-Companies auf. Eine Tatsache, die mancher Besucher als ein Indiz dafür wertete, daß das Internet endlich aus den Startlöchern kommt und sich zu einem Geschäft entwickelt. Das Echo auf das dargebotene Sammelsurium war allerdings geteilt: Während die einen die verwirrende Vielfalt als Konsequenz der Aufgliederung des Internet in Consumer- und Profi-Bereich werteten, appellierten andere an den Veranstalter, sich zu überlegen, künftig getrennte Messen für Endverbraucher und Profis zu organisieren.

Aus den Reihen dieser Klientel war auch die Kritik zu vernehmen, die Messe habe zuwenig Neuigkeitswert, so manche Innovation entpuppe sich beim zweiten Hinsehen als Altes in neuer Aufmachung, echter technologischen Fortschritt sei selten zu erkennen.

Die Internet World in bescheidenerem Rahmen plant Veran- stalter Mecklermedia vom 27. bis 29. März 1997 in Berlin. Dort rechnen die Organisatoren mit rund 15000 Besuchern und 70 Ausstellern.