Erste Sierra-Auslieferungen um einen Monat auf Oktober vorgezogen:

IBM-Boß Akers: Stagnierender Gewinn bis 1986

21.06.1985

YORKTOWN HEIGHTS (CW) - Big Blue wird in den ersten drei Quartalen des laufenden Geschäftsjahres weniger verdienen als 1984. Auch für das Gesamtjahr stehen die Chancen für einen höheren Überschuß nicht sonderlich gut. Mehr Gewinn sei, so IBM-Chef John F. Akers vor Wertpapieranalytikern in Yorktown Heights, nur möglich, wenn das vierte Quartal außerordentlich gut laufe.

Bleibe eine Belebung der amerikanischen Konjunktur im zweiten Halbjahr 1985 aus oder gerate der Aufschwung im Ausland ins Stocken, müsse der aktuelle Trend möglicherweise gar in das Jahr 1986 fortgeschrieben werden. "1985 scheint insbesondere in den USA eines der wachstumsschwächsten Jahre für unsere Industrie zu sein", meinte Akers. Nicht revidiert wurde die Umsatzprognose: IBM erwartet Erlöse von mehr als 50 Milliarden Dollar, nachdem 1984 rund 45,9 Milliarden Dollar verdient wurden.

Erklärungen für die weniger erfreulichen Aussichten seines Unternehmens lieferte der IBM-President gleich nach einem Bericht des Wall Street Journal mit: Neben Wettbewerbsnachteilen durch den starken Dollar und einer allgemein schwachen Konjunktur hätten die Sachanlageinvestitionen in den USA nachgelassen. Sie waren in den letzten drei Jahren doppelt so schnell angestiegen wie in typischen Aufschwungphasen der Nachkriegszeit. Quer durch die Branche seien die Bestellungen für Büro-, Computer- und Buchführungsausrüstungen von März auf April 1985 um 30 Prozent zurückgegangen.

An andere als konjunkturelle Ursachen der gegenwärtigen Misere - etwa, daß sich das Wachstum der Computerindustrie langfristig generell deutlich verlangsamt - mochte Akers freilich nicht glauben. Die Industrie leidet unter Überkapazitäten, die unter dem Eindruck des Booms der Jahre 1983 und 1984 aufgebaut worden seien. Er räumte allerdings ein, daß der Auftragseingang bei IBM derzeit für die aktuelle Produktlinie im oberen und mittleren Bereich schwach sei. Die angesichts der Sierra-Ankündigung eingetretene "Pause" bei den Großrechner-Bestellungen habe sich fortgesetzt. Deshalb sollen die ersten "Sierras" nicht wie zunächst geplant im November, sondern schon im Oktober ausgeliefert werden.

Die Planer der IBM seien zu optimistisch gewesen, als sie für 1985 eine Zunahme der Auslieferungen um 30 Prozent und damit die Fortsetzung der Wachstumsraten der beiden Vorjahre prognostizierten. Man müsse vielmehr von lediglich 20 Prozent Stückzahl -Zuwachs ausgehen, erklärte Akers, der während der gesamten Präsentation keinen allzu glücklichen Eindruck machte.

An Wall Street neigt man zu noch mehr Vorsicht. "IBM wird ihren Erwartungshorizont sicherlich noch einmal nach unten verschieben", meint etwa Marc Schulman, Computer -Spezialist bei Hambrecht & Quist Inc. Akers Statement habe es wahrscheinlicher gemacht, daß die Börse ihre Erwartungen in Sachen IBM in sechs Monaten eher nach unten als nach oben revidiere.

Das IBM ihr Ziel, in der kommenden Dekade das auf 15 Prozent veranschlagte durchschnittliche Wachstum der DV-Branche nachvollziehen zu können, erreichen kann, wird zunehmend in Zweifel gezogen. Würden sich IBMs Erwartungen erfüllen, wäre der Mainframe-Marktführer innerhalb von zehn Jahren so groß wie Exxon oder General Motors. Gemessen an ihrer Vergangenheit grenzt es an Ketzerei, die Wachstumserwartungen der Branche in Zweifel zu ziehen. Dennoch nimmt die Zahl derer zu, die vor strukturellen Veränderungen warnen, durch die das Wachstum von IBM und anderen DV-Anbietern auch nach den gegenwärtigen Konjunkturabschwung nachhaltig gebremst werden könnte.

IBM - das Unternehmen bestritt 1984 rund 40 Prozent aller Umsätze und 70 Prozent aller Gewinne der amerikanischen Computerindustrie - hatte in einem innovativen Markt immer mit der Trägheit zu kämpfen, die ihre gewaltige Masse zwangsläufig begleitete. Nun, so meinen die Zweifler, wird Big Blue und die Computerbranche insgesamt auch noch mit zunehmender Sättigung bei ihren größten Kunden, einigen Banken und Versicherungsgesellschaften, konfrontiert. Einige dieser Unternehmen hätten ihre Organisation weitgehend automatisiert. Anders als vor fünf oder zehn Jahren habe der Druck, in Datenverarbeitungsanlagen zu investieren, deutlich nachgelassen.

Käufer kleiner Rechner beklagen die Schwierigkeiten, ihre Maschinen in ein Konzept zu integrieren und die Versprechungen der Hersteller umzusetzen. Thomas Bogan, der sich bei der Alliance Capital Management auf die Beobachtung der Computerindustrie spezialisiert hat, vergleicht den Stand der Dinge mit der Lage der Automobilindustrie in den 20er Jahren.

Außerhalb der großen Städte habe man Automobile nur auf holprigen Feldwegen fahren können. Ähnlich gebe, es auch heute nur wenige Wege, auf denen Informationen zwischen großen Datenbanken und kleinen, aber leistungsfähigen Computern ausgetauscht werden könnten, die auf den Schreibtischen vieler Manager stünden. Dieser "Straßenbau" sei ein Schlüsselelement zum weiteren Wachstum der Branche.